Ich möchte mich mit meiner Geschichte heute besonders an Eltern von Jugendlichen wenden, die vielleicht gerade ähnliche Erfahrungen machen, wie ich sie gemacht habe, sich aber noch auf einem früheren Stück des Weges befinden. In den vergangenen zwei Jahren hat sich unser Familienleben drastisch verändert. Unser Tochter Caro ist das Opfer eines modernen Phänomens geworden, das sich Cybermobbing nennt und in den letzten Monaten auch in den Medien immer präsenter wird. Unter Cybermobbing versteht man die Belästigung, Bedrohung oder Verunglimpfung Anderer mithilfe von modernen Kommunikationsmitteln. Besonders häufig kommt Cybermobbing in der Anonymität des Internets vor und ist deshalb besonders schwer nachzuverfolgen.
Jugendliche sind besonders häufig von Cybermobbing betroffen, da ihr beeinflussbares Wesen in diesem Alter sie zu leichten Opfern macht. Diese Erfahrung musste auch unsere Tochter Caro (heute 17 Jahre alt) machen und auch wir als Eltern sind durch eine harte Schule gegangen. Cybermobbing war für uns eher ein moderner Medienbegriff und als Thema ein Buch mit sieben Siegeln, als wir unfreiwillig damit in Berührung kamen. Dank der unermüdlichen Hilfe öffentlicher Stellen haben wir uns aber im Laufe der Monate nicht nur einen Weg hinein in den Dschungel der Medienwelten und des Cybermobbings gebahnt, sondern auch wieder heraus. Von dieser Wegfindung möchte ich gerne berichten und damit auch andere Eltern ermutigen, sich eingehender mit diesem komplexen Thema zu beschäftigen und es damit gründlich zu entmystifizieren. Nur so kann man die eigenen Kinder effektiv schützen und ihnen hilfreich zur Seite stehen, falls sich das Internet als Waffe auch einmal gegen sie richten sollte.
Wenn das Glück eines Kindes verblüht
Diese Beschreibung mag ein bisschen theatralisch klingen, aber sie erfasst ziemlich genau, was wir in den letzten zwei Jahren mit Caro erlebt haben. Ich würde sagen, dass unsere Tochter schon immer so ihre Launen hatte, grundsätzlich aber eher ein gut gelauntes und recht unbeschwertes Kind war. Sie hatte eigentlich immer Freundinnen, mal einen ganzen Hühnerhaufen, mal ein oder zwei beste Freundinnen, aber ich hatte immer das Gefühl, dass sie in ihrer Altersgruppe ganz gut aufgehoben ist. Ich habe mich auch nie der Illusion hingegeben, dass sie mir immer alles erzählt, was sie beschäftigt, schließlich war ich selbst mal ein Teenager, aber auch innerhalb der Familie hatte ich immer das Gefühl, dass wir grundsätzlich miteinander reden und ein gutes Verhältnis haben.
Wie sehr man sich täuschen kann. Unser Familienleben hat vor ungefähr zwei Jahren eine drastische Wendung genommen. Caro war damals 15 Jahre alt und alles begann mit einem gemeinnützigen Spendenprojekt in der Schule, an dem sie teilnehmen wollte. Davon ist man als Eltern ja immer begeistert. Der Lehrer, der das Projekt leitete, hatte dann die Idee, dass sich die Teilnehmer über eine Facebook-Gruppe koordinieren könnten, um aktuelle Informationen schnell weitergeben zu können. So kam also auch unsere Caro in dieses viel gepriesene und trotzdem nicht unumstrittene soziale Netzwerk. Da die Initiative von einem betreuenden Lehrer ausging, machten wir uns zunächst wenig Sorgen, auch wenn wir Caro eindringlich baten, nicht zu viele persönliche Informationen dort zu veröffentlichen, und zunächst schien auch alles gut zu gehen.
Nach ungefähr drei Monaten begann ich erste Veränderungen in Caros Verhalten zu bemerken. Sie verbrachte deutlich mehr Zeit allein in ihrem Zimmer und auch die Telefonate mit ihren Freundinnen, die meinen Mann durch ihre epische Länge nicht selten an den Rand des Wahnsinns getrieben hatten, schienen deutlich nachzulassen. Vorsichtige Nachfragen, ob es vielleicht Streit gegeben hatte, hat Caro abgewiegelt oder mit Schweigen beantwortet. Ein Charakterzug, den ich bisher so gar nicht an ihr kannte, der aber in den nächsten Monaten zu unserem ständigen Begleiter werden sollte. Caro wurde immer verschlossener, Unternehmungen mit ihren Freundinnen fanden so gut wie gar nicht mehr statt und es kam mir fast so vor, als würde sie sich kaum noch vor die Tür trauen. Eines Abends habe ich dann meinen Mut zusammengenommen und mir meine Tochter zur Brust genommen. Ich habe sie mit meinen Beobachtungen konfrontiert und sie mehrmals eindringlich gefragt, ob sie Probleme in der Schule oder im Freundeskreis hat. Kopfschütteln und verstocktes Schweigen waren die einzige Antwort, und das sollte auch für lange Zeit so bleiben.
Problem erkannt, aber noch lange nicht gebannt
Es folgten noch viele dieser fruchtlosen Gespräche, denn anstatt zum Kern von Caros Verhaltensänderung vorzudringen, schien sie sich immer weiter vor uns zurückzuziehen und mit jedem Gesprächsversuch verschlossener zu werden. Damit wächst natürlich auch die Hilflosigkeit der Eltern und im Alltag zeigt sich schnell, dass die Kommunikation innerhalb der Familie durch dieses schwarze Loch alles andere als entspannter wird. Lange habe ich mit mir gerungen, aber schließlich habe ich mich doch an Caros Schule gewandt, um herauszufinden, ob die Ursache für ihre Nöte vielleicht dort zu finden ist. Die Klassenlehrerin hatte Caros Wesenswandel natürlich auch bemerkt, hatte aber in der Klasse keinen Grund ausmachen können. Sie war schlicht und ergreifend überfragt, genau wie ich.
Erst der Vertrauenslehrer unserer Tochter gab uns schließlich den Tipp, uns einmal zum Thema Cybermobbing zu informieren. Ich muss gestehen, ich war zunächst wie versteinert. Man hört so viele Schreckensgeschichten in den Medien zu diesem Thema, dass man immer nur hofft, das eigene Kind möge davon verschont bleiben. Erst nach einer schlaflosen Nacht habe ich es tatsächlich geschafft, ein wenig dazu zu recherchieren. Auf der Internetseite www.cybermobbing-hilfe.de wurde ich schließlich fündig. Viele der benannten Symptome und Begleiterscheinungen kamen mir bekannt vor und je weiter ich las, desto sicherer war ich mir, dass unsere Caro tatsächlich das Opfer von Cybermobbing war. Das ist eine Erkenntnis, die ich keiner Mutter wünsche, denn es ist mehr als beunruhigend, wenn ein solches Schreckgespenst auf einmal Einzug in den Schutz der eigenen vier Wände gefunden hat. Mein Mann war allerdings froh, dass wir zumindest einen Namen für das Problem gefunden hatten.
Damit war es aber leider noch lange nicht getan, denn nun standen wir als absolute Laien vor einem großen Problem: Wie können wir unserer Tochter helfen dem Cybermobbing zu entkommen und wieder ein glückliches und befreites Kind zu werden? Mir war klar, dass wir viel zu wenig Ahnung von diesem schwierigen Thema hatten, um uns allein an die Bewältigung zu machen. Ich habe mich deshalb an den Weißen Ring e.V. gewandt, da ich von dieser Organisation auch vorher schon gehört hatte. Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellte, denn dort bekamen wir nicht nur viele wichtige Hintergrundinformationen, sondern auch echte Hilfe für den Alltag.
Erste Schritte in die richtige Richtung
Aller Anfang ist schwer, das haben wir im Kampf gegen das Cybermobbing auch bemerkt. Der wichtigste und zugleich schwerste Schritt war es Caro dazu zu bringen sich uns zu öffnen. Der Berater vom Weißen Ring hat uns geraten sie zwar sanft aber direkt mit unserer Vermutung zu konfrontieren und ihr so zu zeigen, dass wir das Thema ernst nehmen. Das war kein leichtes Gespräch, aber schließlich sind wir wohl doch zu Caro durchgedrungen und sie hat uns alles erzählt. Sie war über Facebook in eine Gruppe von Leuten eingeladen worden, die sich für die gleiche Musik interessierten wie unsere Tochter. Zuerst hat sie sich unter den Gleichgesinnten ganz wohl gefühlt, doch nach einer Weile fingen die Gruppenleiter an die anderen Mitglieder unter Druck zu setzen. Sie sollten „Aufgaben“ für sie erledigen, um in der Gruppe bleiben zu dürfen. Dabei ging es um Internetrecherchen zu verschiedenen Band und schließlich sollten die Gruppenmitglieder sogar Fanartikel und Konzertkarten auf ebay ersteigern und den Gruppenleitern zukommen lassen. Wer nicht dazu bereit war, wurde nicht nur aus der Gruppe geworfen, sondern auch auf Facebook diffamiert. Seit Monaten musste das schon so gegangen sein und Caros Not wurde immer größer. Wir waren entsetzt und gleichzeitig auch erleichtert, dass wir nun endlich den Grund für Caros Wesensveränderung kannten.
Bei unseren nächsten Schritten hat uns der Weiße Ring tatkräftig unterstützt. Man hat uns zunächst über die Rechtslage im Hinblick auf Cybermobbing informiert und Caro einen psychologischen Betreuer vermittelt, der ihr bei der Bewältigung ihrer Angst helfen konnte. Ich habe mich an den Vertrauenslehrer und an den Leiter des Schulprojektes gewandt und wir haben gemeinsam entscheiden Caros Profil bei Facebook zu löschen. Auch ihre E-Mail-Adresse und ihre Handynummer, die sie in der Facebook-Gruppe preisgegeben hatte, haben wir geändert. Gemeinsam mit einem Fachanwalt haben wir außerdem mit dem Kundendienst von Facebook Kontakt aufgenommen und eine Verfolgung des Sachverhaltes erwirkt. Eine endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen, da die Mühlen der Justiz ja bekanntlich sehr langsam mahlen und es in Deutschland leider noch keine eindeutige Rechtsprechung zum Thema Cybermobbing gibt, aber wir hoffen auf ein positives Ergebnis, mit dem vielleicht andere Jugendliche vor ähnlichem Missbrauch geschützt werden können.
Ein vorsichtig optimistischer Blick in die Zukunft
Caro hat noch sehr an den Ereignissen der vergangenen Monate zu knabbern und sie erholt sich nur langsam. Immerhin hat sie den Kontakt zu ihrer besten Freundin wieder intensiviert und war vor zwei Wochen sogar mit ihr im Kino. Melli, ihre Freundin, hat übrigens keinen Facebook Account und wird sich in nächster Zeit wohl auch erst einmal hüten sich einen anzulegen. Ich bin froh, dass auch Caro jetzt erst einmal kaum noch in sozialen Netzwerken aktiv ist, auch wenn man natürlich sagen muss, dass nicht die Portale selbst die Schuld an solchen Ereignissen tragen, sondern verantwortungslose Nutzer, die den Sinn eines sozialen Netzwerkes völlig missverstehen. Anderen Eltern möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich ans Herz legen, sich ein paar grundlegende Informationen zum Thema Cybermobbing anzulesen, damit sie nicht mehr im Dunkeln tappen und für den Fall der Fälle gewappnet sind. Manchmal kommen die ganz großen Probleme auf leisen Sohlen und schleichen sich unbemerkt in den Alltag ein.
Zu meiner Person: Mein Name ist Christine und ich bin 42 Jahre alt. Ich lebe mit meinem Mann und meiner heute 17-jährigen Tochter Caro in Braunschweig, wo ich als Physiotherapeutin in Teilzeit arbeite. Bis vor zwei Jahren waren die modernen Medien nicht gerade mein Steckenpferd, aber die Ereignisse, die unsere Familie in den letzten Monaten ereilt haben, haben mir gezeigt, dass man sich besonders als Eltern bemühen sollte ein wenig mit der Zeit zu gehen.
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Bild 2: Cybermobbing-Hilfe.de
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