Angst in Berlins Südwesten: Wenn am Montag die Fluglärmkommission für den Verkehrsflughafen Schönefeld nach seiner Erweiterung tagt, dann fallen möglicherweise Entscheidungen, die für 55.000 Brandenburger schicksalhaft zu werden drohen. Verzweiflung liegt in der Luft. Fluglärmkommission: Gemeinden, also Bürgermeister betroffener Kommunen, das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft Brandenburgs als Hausherr und alle anderen Mitglieder beraten darüber, wie man lärmschonend die An- und Abflüge zum BBI – dem großen internationalen Flugdrehkreuz von Morgen, verteilen kann.
Damit ist die Crux schon definiert: Verteilen. Den Lärm wird es geben, die Frage ist nur, wohin er geschoben wird. Viele der Verfahrenskriterien erschließen sich den Menschen ebenso wenig wie die Fakten. Die Politik hat es einfach nicht geschafft, diese zu vermitteln. Und der Südwesten Berlins ist nur mit dem Landrat Blasig vertreten, von dem die Menschen im Landkreis Potsdam Mittelmark hoffen, dass er ihre Interessen deutlich macht – und durchsetzt! Alle anderen Mitglieder der Fluglärmkommission werden von den Menschen rund um den Schwielowsee als Lobbyisten bezeichnet.
Vor denen haben viele Brandenburger, die im so genannten Blauen Paradies der südlichen Havelseen wohnen, Angst.
Eigentum, für das sie ein Leben lang gespart haben, droht der fast vollständigen Entwertung anheimzufallen, sagen sie: „Was heute noch 100.000 kostet, wird morgen vielleicht keine 10.000 Euro mehr bringen“, sagt ein Mitglied der Bürgerinitiative „Fluglärmfreie Havelseen“ – und auch vielen, die noch nicht in der BI sind, schwant Böses. Das mag nach Schwarzseherei klingen. Richtig aber ist: „Der Flughafen BBI spricht von 360.000 Flugbewegungen pro Jahr, wobei man hinter vorgehaltener Hand schon von 450.000 und mehr ausgeht“, sagt Johannes Haape aus Caputh. „Vergleichsweise München, der zweitgrößte deutsche Flughafen, hat 380.000 Flugbewegungen pro Jahr, liegt aber 60 Kilometer außerhalb der Stadt.“
Der Flughafen Berlin Brandenburg International BBI hingegen liegt mitten in einem wahren Teppich aufblühender, bisher noch lebens- und liebenswerter Gemeinden im Süden Berlins. Die Menschen im Südwesten fühlen sich angesichts der Phalanx bevorstehender Planungsschritte nun im Stich gelassen. Das liegt nicht allein daran, dass sie nur einen einzigen Vertreter in der Fluglärmkommission haben, eben ihren Landrat, sondern dass sie der Meinung sind, gerade die Tatsache, dass sie keine Lobby haben, werde die Lobbyisten anderer Gemeinden und Regionen dazu verleiten, den Verkehr genau über ihre bisherige Idylle zu führen.
Dabei gäbe es Alternativen: „Außen rum“, sagt Eva Hörger, Geschäftsführerin der BI kurz und knapp. Was das heißt: „Wenn die Flugrouten sowohl der An- als auch der Abflüge außerhalb des Autobahnringes westlich von Werder und südlich des Dreiecks Potsdam erfolgen, dann wäre die Lärmbelastung für die Gemeinden innerhalb des Autobahnringes erträglich.“
Das wird den Menschen rund um den Schwielowsee so aber nicht gesagt. Mit dem Erfolg, dass die BI – erst im Oktober 2010 von Eva Hörger und Peter Kreilinger gegründet – zwar schon beachtliche Anfangserfolge zuwege gebracht hat, allerdings nur auf regionaler Ebene. Und die wird – so empfinden es die BI-ler mittlerweile – leider ignoriert.
Deshalb planen die Aktivisten für die nächsten Wochen ein Paket an weiteren Schritten: Nicht nur Demonstrationen und Mahnwachen sollen dazugehören, sondern vor allem auch „sehr drastische Verdeutlichungen, was auf die 55.000 Bewohner der staatlich anerkannten Erholungsorte zukommt.“
„Mehr als 23 Millionen Euro und tausende von Arbeitsstunden hochbezahlter Tourismusmanager wurden aufgewandt, um den Status anerkannter Erholungsorte zu erreichen. Und: Ehrlich gesagt, mehr als Tourismus haben wir hier nicht“, sagt Melanie Haape. 150.000 Touristen aus aller Welt schätzen die Gegend der südlichen Havelseen als die Starnberger Seenlandschaft Berlins. „Nur schöner und ruhiger“, sagen die Eheleute Haape, die den Starnberger See verlassen haben, weil es dort zu quirlig wurde und „jede Wiese mit der Fußnagelschere beschnitten“ werde.
„Nein, wirklich, hierher sind die Menschen gezogen, weil sie auf eine Politik vertraut haben, die ihnen mehr als zwei Jahrzehnte versprochen hat, dass sie um Templiner-, Tiefen- und Schwielowsee ein Leben lang in Ruhe und Beschaulichkeit einer naturbelassenen Kulturlandschaft nahe der Weltstadt leben könnten.
Wenn den Menschen dieses Paradies genommen wird, so dürfte das nur einer der zahllosen Betrugsdelikte der aktuellen deutschen Politik rund um die deutsche Hauptstadt sein, sagen BI-Aktivisten nun düster. Es tröstet sie wenig, dass auch andere Flughafen-Anrainer schon über den Leisten gezogen worden sind: Ihr Leben hier wird die Freizeit nicht mehr wert sein, fürchten sie und zitieren: „Schon Einstein sagte: ,Pfeif auf die Welt, komm nach Caputh!‘ – Jetzt pfeift die Welt auf Caputh.“ Die Menschen sind enttäuscht über diese Erkenntnis – aber gerade das lässt ihren Kampfgeist zur Hochform auflaufen.
Gleich weiter zur Internet-Seite der Bürgerinitiative mit vielen Fakten:
www.fluglaermfreie-havelseen.de
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