Altbewährtes Meßverfahren erlaubt genauere Risikoeinschätzung für mögliche HerzerkrankungenPunktbasierte Methode kann zur falschen Eingruppierung von Herzpatienten führen

New York / Heidelberg, 7. September 2010

Die weit verbreitete Anwendung eines vereinfachten Verfahrens zur Beurteilung künftiger Herzrisiken in Kliniken könnte dazu führen, dass Millionen US-Amerikaner in andere Risikogruppen eingestuft werden. Genauere Ergebnisse lassen sich mit dem Goldstandard-Verfahren erzielen. Millionen von Patienten wurden möglicherweise bereits in die falsche Hochrisikogruppe eingestuft und überbehandelt, während andere Patienten Niedrigrisikogruppen zugeordnet wurden und dadurch eventuell keine adäquate Behandlung ihrer Herzerkrankung erhalten. Die Studie¹ von William Gordon vom Weill Cornell Medical College in den USA und seinen Kollegen wird in der Springer-Fachzeitschrift Journal of General Internal Medicine², veröffentlicht.

Die Cholesterin-Richtlinien in den USA basieren auf dem bekannten Framingham-Modell (einer mathematischen Gleichung) zur Berechnung des Herzinfarkt- oder Herztodrisikos über einen Zeitraum von 10 Jahren. Aufgrund dieses Risikos werden Patienten in verschiedene Risikogruppen eingestuft, um auf diese Weise die richtigen Behandlungsentscheidungen zu treffen.

Wegen der hohen Komplexität des ursprünglichen Framingham-Modells wurde die Formel zu einem punktbasierten* klinischen Verfahren vereinfacht, um es auch ohne Taschenrechner oder Computer verwenden zu können. Durch die rasche Akzeptanz und die weit verbreitete Anwendung von Computern und PDAs in der klinischen Medizin kann das ursprünglich mathematisch komplexe Modell jedoch zur Patientenversorgung eingesetzt werden. Dennoch ist das punktbasierte System weiterhin im Klinikalltag stark verbreitet.

„Sicher ist ein punktbasiertes Verfahren wirklich besser als gar keine Richtlinie, um ein Risiko einzuschätzen. Doch über jeden Computer oder ein PDA kann heute das ursprüngliche Framingham-Modell berechnet werden“, sagt der Mediziner und Mitautor Michael Steinman. „Damit kann Ihr Arzt Ihr Herzrisiko ganz leicht mit einer komplizierten Formel ausrechnen. Das ergibt sicher genauere Werte als das punktbasierte Berechnungsverfahren. Daher sehe ich in den meisten Fällen keinen Grund mehr, warum diese punktbasierte Methode eingesetzt werden sollte.“

Die Autoren untersuchten, ob die einfachere Version zu unterschiedlichen Risikoeinschätzungen und in der Folge zu möglichen unterschiedlichen Behandlungsempfehlungen führen könnte. Die Wissenschaftler verwendeten Daten von 2.543 Personen im Alter von 20 bis 79 Jahren (repräsentativ für 39 Millionen Erwachsene). Für jede Person berechneten die Autoren das 10-Jahres-Risiko für koronare Erkrankungen mit Hilfe des ursprünglichen und des vereinfachten punktbasierten Framingham-Models. Sie untersuchten die Unterschiede dieser Risikoeinschätzungen, und ob die Probanden aufgrund dieser unterschiedlichen Einschätzungen verschiedenen Risikoklassen zugeordnet werden würden.

Gordon und sein Team fanden dabei heraus, dass beide Einschätzungen des Koronarrisikos erheblich voneinander abwichen. Mit der vereinfachten Version wurden 15 Prozent der Erwachsenen in andere Risikogruppen eingestuft. Dies entspricht einer Anzahl von 5,7 Millionen Personen. Davon wurden 10 Prozent (3,9 Millionen) den Hochrisikogruppen und 5 Prozent (1,8 Millionen) den Niedrigrisikogruppen zugeordnet. Daraus geht hervor, dass 25 bis 45 Prozent der neu eingestuften Erwachsenen hätten anders behandelt werden können, d.h. mit mehr oder weniger intensiven Therapien als den nach den Arzneimittelrichtlinien empfohlenen.

Für die Autoren bedeutet dies: “Nach den aktuellen Richtlinien sollte das ursprüngliche Modell als die bevorzugte Methode der Risikoberechnung sowie als einzige geeignete Option für computerbasierte bzw. PDA-basierte Risikoberechner in Betracht gezogen werden. Patienten und Mediziner, deren Behandlungsentscheidung auf dem punktbasierten System beruhten, sollten eine Neuberechnung des Risikos in Erwägung ziehen, die auf dem ursprünglichen Framingham-Modell basiert, und sie sollten die Behandlungspläne gegebenenfalls entsprechend anpassen.”

*Mit dem ursprünglichen Framingham-Modell lässt sich das Risiko anhand des Alters der Patienten, des Gesamtcholesterins und HDL-Cholesterins, des systolischen Blutdrucks, der Behandlung auf Bluthochdruck sowie der Rauchgewohnheiten einschätzen. Beim punktbasierten System wird jedem Risikofaktor eine Zahl zugewiesen. Diese Risikofaktoren werden dann zu einem Punktwert addiert; das Risiko für diesen Punktwert wird anhand einer Tabelle ermittelt.

Quellen
1. Gordon WJ et al (2010). Coronary risk assessment by point-based vs. equation-based Framingham models: significant implications for clinical care. Journal of General Internal Medicine. DOI 10.1007/s11606-010-1454-2
2. The Journal of General Internal Medicine is the official journal of the Society of General Internal Medicine.

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