Medizinische Beurteilung auf einen Blick
Fachärzte entdecken krebsartige Veränderungen auf Röntgenbildern in Bruchteilen von Sekunden
Auf einen Blick wissen, was Sache ist? Blitzartig erkennen, dass das Restaurant ungeeignet ist oder dieser Mensch der/die Richtige sein könnte? Ist so etwas möglich? Radiologen können das tatsächlich, und zwar bei Aufnahmen von Mammografien, die zum Brustkrebsscreening eingesetzt werden. Auch Zytologen, die mikrografische Bilder von Gebärmutterhalszellen auf Anzeichen von Krebs überprüfen, haben diese Fähigkeit. Eine neue Studie, veröffentlicht im Springer-Journal Psychonomic Bulletin & Review, geht dieser Fähigkeit der Spezialisten auf den Grund.
Es gibt viele Arten, solche Blitzurteile zu fällen (nicht alle sind wirklich nützlich). Eine davon ist unsere Begabung, schnell das Wesentliche eines Gesamtbildes durch das bloße Betrachten des Bildes als Ganzes zu erfassen; hierbei kommt es nicht auf die speziellen Details an, sondern auf die schnelle Analyse des Ganzen mithilfe von bekannten Mustern und Erfahrungswerten. Experten scheinen dazu in der Tat in der Lage zu sein. Wenn es darum geht, Aufnahmen als normal oder anomal einzustufen, sind sie zwar „auf die Schnelle“ nicht unbedingt perfekt, dennoch sind die Ergebnisse besser als beim willkürlichen Raten. Lokalisieren können sie die Problematik bei einer solchen Blitzbeurteilung allerdings nicht.
Karla Evans und Kollegen von der Harvard Medical School and Brigham and Women’s Hospital in den Vereinigten Staaten beurteilten die Fähigkeit von Fachärzten, Brust- oder Gebärmutterhalskrebs-Screeningbilder auf einen Blick als normal oder anomal einzustufen. Insgesamt 55 Radiologen und 38 Zytologen legte man Mammografie-Aufnahmen oder Bilder von Gebärmutterhalszellen vor. Die Hälfte der Bilder war normal, die andere Hälfte zeigte krebsartige Veränderungen.
Die Teilnehmer bekamen die Bilder nur kurz, das heißt, 250 bis 2000 Millisekunden lang, zu sehen; sie sollten die Auffälligkeit des Bildes beurteilen und anschließend die Anomalie lokalisieren, und zwar auf einem Bild, das nur die Umrisse des Originals zeigte.
Beide Facharztgruppen entdeckten feinste Veränderungen häufiger als es beim willkürlichen Raten der Fall war: Die Trefferquote lag also über dem Durchschnitt. Die Laien-Kontrollgruppen ohne medizinische Ausbildung waren dagegen nicht erfolgreicher als beim Raten, gleichgültig ob es sich um Brust- oder Gebärmutterhalsbilder handelte. Im zweiten Teil des Experiments konnte interessanterweise keine Expertengruppe die Anomalien verlässlich lokalisieren. Die pathologische Gesamtsituation lässt sich wohl in Sekundenbruchteilen beurteilen. Eine genaue Lokalisierung des Problems jedoch ist nur nach längerer, genauerer Untersuchung möglich.
Die Autoren erklären: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Radiologen und Zytologen mit spezieller Ausbildung auf Bildern aus ihrem Fachgebiet die statistischen Regelmäßigkeiten, die normal von anomal unterscheiden, zu beurteilen lernen. Sie stellen fest, dass etwas anders ist, ohne jedoch genau sagen zu können, wo. Könnte ein Computer das Signal, das zu dieser Erstbeurteilung führt, identifizieren, könnte dies als eine neue Art der computergestützten Untersuchung verwendet werden.“
Quelle: Evans, K.K. et al (2013). The Gist of the Abnormal: Above Chance Medical Decision Making in the Blink of an Eye, Psychonomic Bulletin & Review. DOI 10.3758/s13423-013-0459-3
Der vollständige Artikel steht Journalisten auf Anfrage zur Verfügung.
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