Düsseldorf, 6.Feb.2012. Demografie und Fakten erzwingen dringenden Handlungsbedarf im Gesundheitssystem. Die Bürgerversicherung ist dafür nur Notlösung zur Fortführung eines im Prinzip falschen Ansatzes. Die gesetzlichen Krankenversicherungen mit ihrem spekulativen Generationenvertrag sind der dominierende Schwachpunkt im ansonsten privat rücklagenfinanzierten System.
Grüne, Rote und Linke fordern seit einiger Zeit aus ihrer Oppositionsrolle heraus die leicht vermarktbare Idee einer steuerfinanzierten Bürgerversicherung für alle. In der Vorwahlkampfzeit zur Bundestagswahl 2013 können so Akzente in Parteiprogrammen verankert werden, die schwarz/gelb nicht ansatzweise vertreten darf.
In unserem Gesundheitssystem ist im gesetzlich geregelten Bereich ein überbordender Bürokratiekosten-Anteil die schwere Bürde. Andererseits funktioniert das System weitgehend gut und würde in vielen Ländern als vorbildlich interpretiert. Allerdings steigen die Kosten mit jährlicher Regelmäßigkeit auf ein immer einschnürenderes Niveau. Und neben der belastenden Verwaltung und uneffizienter Formalistik, die immer noch keine kostensparende elektronische Patientenakte kennt, drücken die Steigerung der Lebenserwartung, der rasante Fortschritt der medizinischen Leistungsfähigkeit sowie die steten Innovationen der Pharmazeutik die Kosten in immer neue Größenordnungen. Im privat finanzierten Bereich kann man als Systemkunde noch die Karte des Private Krankenversicherung Test ziehen, um die Individualkosten zu steuern. Bei den gesetzlichen Kassen ist der Bürger den Beschlüssen der Administration ausgeliefert und das würde in noch stärkerem Maße auf die vereinheitlichende Bürgerversicherung zutreffen.
Angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland ist eine Systemnovelle dringend. Ein Grundgedanke der Bürgerversicherung ist, das einzige in Deutschland bislang generationengerechte Sozialversicherungssystem, die private Krankenversicherung (PKV), abzuschaffen. Und dies angesichts einer Situation, in der die Alterungsrückstellungen der Privaten über 160 Milliarden Euro betragen. Das bedeutet, die nächste Generation wird wegen dieser Vorsorge nicht für künftige Kosten der privat Versicherten aufkommen.
Der Gesetzgeber hat so hohe Hürden für die PKV aufgebaut, dass gerade einmal zehn Prozent der Deutschen nach einem Private Krankenversicherung Vergleich privat versichert sind. Die Volksvertreter lassen nur gelegentlich und hinter vorgehaltener Hand vernehmen, dass für 90 Prozent der Bevölkerung keinerlei generationengerechte Vorsorge getroffen wurde. Statt dessen flüchtet man sich lieber in das Schlagwort Bürgerversicherung. Das suggeriert eine Gerechtigkeit, die dieses Einheitssystem überhaupt nicht bieten kann.
Wer den Blick über die Landesgrenzen hinweg hebt, wird schnell feststellen, wie aus einem ursprünglich geplanten Einheitssystem ein Zwei- oder Mehrklassensystem wurde. Ethische Fragen werden ganz neu definiert. So drückt sich zum Beispiel der Wert eines Lebensjahres in Großbritannien in Pfund aus. Und über diesen Wert hinaus müssen alle Kosten selbst getragen werden. Das führt direkt zu einer vom individuellen Wohlstand abhängigen Behandlungsgüte.
In Holland entstand ein Oligopol aus wenigen Krankenversicherungen und in der Folge eine rigide Kontrolle vor Arztbesuchen. So bildete sich ein Ärztetourismus niederländischer Patienten nach Deutschland. Neben der schnelleren Terminvergabe bleibt der einmal gewählte Facharzt in Deutschland dauerhaft Ansprechpartner. Patienten in den Niederlanden werden von wechselnden Mitgliedern der Fachärzteteams versorgt.
Auch das Schweizer System hatte das Ziel, die Finanzierung zu stabilisieren und Wettbewerb im Gesundheitswesen zu schaffen. Allerdings mit dem Resultat, dass die medizinische Versorgung in der Schweiz jetzt das teuerste weltweit ist.
Die Schweizer liegen mit rund 5.200 $ Gesundheitsausgaben pro Kopf vor den Niederländern mit 5.000 $ und den Deutschen mit etwa 4.200 $ im Jahr.
Diese Zahlen unterstreichen die Tatsache, dass Einheitssysteme wie die Bürgerversicherung nicht die angestrebte Problemlösung sind. Vielmehr steht sie für politisch geprägten Aktionismus und ideologische verbrämte Rhetorik. In Zeiten überbordender Staatsverschuldung müssen Wahrheiten ohne ideologische Voreinstellung betrachtet werden. Höhere Lebenserwartung, gesteigerte Lebensqualität und eine höhere Lebenserwartung steigern die Ausgaben im Gesundheitswesen. Das ist ebenso logisch wie zwangsläufig und sinkende Beiträge sind bei dieser demografischen und gesellschaftlichen Entwicklung nicht realisierbar.
Man muss die politische Frage stellen, ob es gerecht ist, wenn ein gut verdienender Single keinerlei Rücklagen für seine Gesundheitskosten im Alter bildet? Die Antwort darf nicht mit Begriffen wie Bürgerversicherung verschleiert werden. Man muss die Fakten und Konsequenzen einer immer teurer werdenden medizinischen Versorgung diskutieren. Weitere Teile der Bevölkerung müssen mit der Bildung generationengerechter finanzieller Rücklagen beginnen und damit finanzielle Ressourcen auch für diejenigen mitschaffen, die nicht dazu in der Lage sind, eine eigene Vorsorge zu treffen.
Jennifer Neudorf
Charlottenstr. 3
12683 Berlin