„Lies mir von den Lippen ab!“ – Besser klappt‘s bei den eigenen

Neue Studie: Wie lernen wir eine Sprache zu erkennen und zu reproduzieren?

Von den Lippen zu lesen ist leichter, wenn es die eigenen Lippen sind. Dies ist das Ergebnis einer neuen Studie von Nancy Tye-Murray und Kollegen von der Washington University. Ihre Arbeit, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Sprachwahrnehmung und Sprachproduktion befasst, erscheint jetzt online im Springer-Journal Psychonomic Bulletin & Review.

Die meisten Menschen können nicht von den Lippen lesen – man versuche nur einmal, die Nachrichten im Fernsehen bei abgeschaltetem Ton zu verstehen. Sieht man jemanden sprechen, ohne den Ton zu hören, wird man nicht viele Wörter erkennen.

Tye-Murray und ihr Team setzten aus Worttafeln einfache, sinnfreie Sätze zusammen, wie etwa The duck watched the boy und The snail watched the goose. Die einzelnen Wörter waren leicht zu identifizieren und zu erkennen. Zwanzig Erwachsene wurden beim Lesen der Sätze auf Video aufgenommen. Einige Wochen später wurden den Probanden diese Aufnahmen ohne Ton vorgespielt. Dabei sahen sie sowohl sich selbst als auch neun weitere Teilnehmer.

Es fiel den Teilnehmern durchweg leichter, in den eigenen Video-Clips genauer von den Lippen zu lesen als in den Clips der anderen. Jemanden sprechen zu sehen aktiviert demnach Sprachprozesse, die „gesehene“ Wörter mit tatsächlich im mentalen Lexikon vorhandenen Wörtern verbinden. Ganz besonders stark ist diese Aktivierung, wenn man sich selbst sprechen sieht.

Die Autoren: „Die Studie ist eine der ersten, die zeigt, dass Menschen nicht nur unterscheiden können, ob es sich um eigene Aktionen oder um die anderer handelt, sondern auch, dass sie eigenes Handeln besser interpretieren können. Möglicherweise gibt es eine enge Verbindung zwischen der Durchführung und der Wahrnehmung von Handlungen. Das heißt, wir aktivieren beim Handeln und beim Wahrnehmen vielleicht exakt dieselben mentalen Prozesse. Für das Verständnis des Erlernens neuer Aktionen und insbesondere des Erlernens von Spracherkennung und Sprachproduktion haben diese Erkenntnisse immense Bedeutung.“

Quelle
Tye-Murray N et al (2012). Reading your own lips: common-coding theory and visual speech perception. Psychonomic Bulletin & Review; DOI 10.3758/s13423-012-0328-5

Der vollständige Artikel steht Journalisten auf Anfrage zur Verfügung.
Kontakt: Joan Robinson, Springer, Tel. +49 6221 487 8130, joan.robinson@springer.com