Neue Studie entkräftet die Überzeugung, dass ionisierende Strahlung keine oder nur vernachlässigbare Auswirkungen auf das Erbgut hat

New York / Heidelberg, 26. Mai 2011

Radioaktivität stellt für Menschen eine Gefahr dar. Gemäß einer neuen Studie von Hagen Scherb und Kristina Voigt vom Helmholtz Zentrum München, Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt in Neuherberg, führt die Exposition gegenüber ionisierender Strahlung tatsächlich zu einer Verschiebung des Geschlechtsverhältnisses bei der Geburt – demnach werden verhältnismäßig mehr männliche Säuglinge geboren. Ihre Arbeit zeigt, dass ionisierende Strahlung der Atombombentests vor dem Atomteststoppvertrag im Jahr 1963, des Reaktorunfalls in Tschernobyl und durch das Leben in der Nähe von Atomkraftwerken einen negativen Langzeiteffekt auf das Geschlechtsverhältnis hat, das als Sex Odds bezeichnet wird. Ihre Arbeit ist in der Juni-Ausgabe des Springer-Fachjournals Environmental Science and Pollution Research erschienen.

Ionisierende Strahlung aus nuklearen Prozessen ist bekannt für ihre mutagenen Eigenschaften und wirkt sich deshalb wahrscheinlich negativ auf die Fruchtbarkeit aus. Man nimmt an, dass Männer mehr Söhne und Frauen mehr Töchter zeugen, wenn sie ionisierender Strahlung ausgesetzt sind. Scherb und Voigt untersuchten die Langzeiteffekte durch Strahlenbelastung in Bezug auf den einzigartigen genetischen Indikator „Sex Odds“, der Unterschiede bei scheinbar normalen sowie beeinträchtigten Schwangerschaften nach einer Belastung der Väter oder Mütter anzeigen kann. Die Autoren konzentrierten sich insbesondere auf die Sex-Odds-Daten im Zusammenhang mit dem weltweiten Fallout in Westeuropa und den USA aufgrund der Atombombentests, dem Fallout aufgrund von Atomunfällen in ganz Europa, und die unter normalen Betriebsbedingungen aus Atomkraftwerken emittierte Radioaktivität in der Schweiz und Deutschland.

In allen drei Fällen zeigt ihre Analyse einen erheblichen Sprung beim Geschlechtsverhältnis:
• Die Zunahme männlicher Geburten gegenüber weiblichen Geburten in Europa und den USA im Zeitraum 1964-1975 ist wahrscheinlich auf den weltweit verteilten Fallout aus Atombombentests vor dem Atomtestabkommen zurückzuführen, durch den zeitversetzt ein Großteil der Weltbevölkerung betroffen war.
• Im Jahr 1987, ein Jahr nach dem Unfall von Tschernobyl, gab es in Europa einen signifikanten Sprung bei den Sex Odds, wobei in den durch den Unfall weniger belasteten USA kein vergleichbarer Effekt beobachtet wurde.
• Die Sex Odds bei der Bevölkerung, die in einem Umkreis von 35 km von Atomkraftwerken lebt, sind in Deutschland und der Schweiz während der Laufzeiten ebenfalls deutlich erhöht.

In der Gesamtbetrachtung zeigen diese Ergebnisse einen dosisabhängigen Langzeiteffekt radioaktiver Exposition auf die menschlichen Sex Odds und sind ein Beweis für den Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Weniger klar ist, ob diese Zunahme männlicher Neugeborener im Verhältnis zu weiblichen Neugeborenen das Ergebnis einer geringeren Häufigkeit weiblicher Geburten oder einer Zunahme männlicher Geburten ist. Die Autoren schätzen das Geburtendefizit und die Anzahl der Totgeburten und behinderten Kinder nach den weltweiten Freisetzungen ionisierender Strahlung auf mehrere Millionen Kinder weltweit.

Scherb und Voigt kommen zu der Schlussfolgerung: „Unsere Ergebnisse entkräften die etablierte und vorherrschende Meinung, dass erbgutschädigende Effekte ionisierender Strahlung bei Menschen erst noch nachgewiesen werden müssten. Wir haben deutliche Hinweise für die vermehrte Beeinträchtigung des menschlichen Gen-Pools durch künstliche ionisierende Strahlung gefunden.“

Quelle
Scherb H & Voigt K (2011). The human sex odds at birth after the atmospheric atomic bomb tests, after Chernobyl, and in the vicinity of nuclear facilities. Environmental Science and Pollution Research; DOI 10.1007/s11356-011-0462-z

Der Volltext-Artikel ist für Journalisten auf Anfrage verfügbar.

Kontakt: Joan Robinson, Springer, Tel.: +49-6221-487-8130, E-Mail: joan.robinson@springer.com

Springer-Verlag GmbH, Heidelberg, Zweigniederlassung der Springer-Verlag GmbH, BerlinTiergartenstrasse 17D-69121 Heidelberg

 

Informieren Sie sich weiter über Fachzeitschriften zum Thema Wissenschaft