Die Placeboforschung boomt. Inzwischen gibt es satte Fördergelder für Wissenschaftler, die das Phänomen genauer unter die Lupe nehmen. Nimmt man die Befunde zum Placeboeffekt ernst, dürften die Implikationen für die ärztliche Praxis bedeutend sein. Das Problem ist nur, dass der Placeboeffekt derzeit mindestens genauso viele Fragen aufwirft wie er Antworten gibt. Stereo pr hat den Psychologen Dr. Rainer Schneider gefragt, was es mit dem Phänomen auf sich hat.

Herr Schneider, haben Sie ein Beispiel parat, das die Wirkungen von Placebos veranschaulicht?

Nein.

Sie sagen also, Placeboeffekte bewegen sich nur im statistischen Signifikanzbereich, haben aber keine praktische Bedeutung?

Nein, das ist Ihr Induktivschluss. Sie haben mich nach der Wirkung von Placebos gefragt. Die ist per Definition Null, zumindest wenn man von einem sogenannten reinen Placebo ausgeht, etwa der typischen Zuckerpille. Ein Placebo ist eine Nullsubstanz, hat also keine spezifische Wirkung. Ihre Frage ist aber hilfreich, weil selbst Wissenschaftler die Unterscheidung zwischen Placebo und Placeboeffekt nicht machen.

Dann stellen wir die Frage anders. Können Sie uns ein Beispiel für einen anschaulichen Placeboeffekt nennen?

Gerne. Das wissenschaftliche Interesse am Placeboeffekt geht auf eine Arbeit eines amerikanischen Arztes, Henry Beecher, zurück, der in den fünfziger Jahren einen sehr einflussreichen Artikel veröffentlichte. Beecher hatte während des 2. Weltkriegs ein Schlüsselerlebnis, das ihn fortan prägte. An der italienischen Front stationiert, ging ihm eines Tages das Morphium aus. Um seine verwundeten Kameraden trotzdem zu behandeln, spritze er ihnen Kochsalzlösungen. Er ließ sie aber im Glauben, ein starkes schmerzlinderndes Arzneimittel zu verabreichen. Seine Kameraden zeigten die erwartete Schmerzlinderung.

Es ist ja nicht anzunehmen, dass die Kochsalzlösung die Schmerzen linderte. Es war wohl er die Erwartung oder der Glaube. Wie erklärt man sich das?

Es gibt einige Erklärungsansätze. Placeboeffekte können durch Erwartungen und/oder Lernerfahrungen entstehen. Auch die persönliche Not oder Bedürftigkeit des Patienten spielt eine nicht geringe Rolle. In solchen Extremsituationen wie der von Beecher sind die ja besonders eindrücklich.

Sie waren über drei Jahre im Arbeitskreis „Placebo in der Medizin“ des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer tätig. Dazu gibt es inzwischen eine sehr umfassende Publikation. Welche bahnbrechenden Erkenntnisse hat man dort gewonnen?

Ob die Erkenntnisse bahnbrechend sind, weiß ich nicht. Der Arbeitskreis hat ja das Phänomen lediglich aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet, also z.B. medizinisch, psychologisch, juristisch oder ethisch. Das entstandene Werk gibt aber einen guten Einblick in die Thematik. Man weiß heute tatsächlich einiges hoch Interessentantes, was auch auf den Einsatz von bildgebenden Verfahren zurückgeht. Heute streiten wir daher nicht mehr darum, ob es den Placeboeffekt überhaupt gibt. Die Frage ist eher, wann, wie und bei welchen Erkrankungen er auftritt.

Bleiben wir doch konkret, wann kann ich mit einem Placeboeffekt rechnen?

Nachgewiesen sind Placeboeffekte besonders eindrücklich für Depression, Morbus Parkinson,und Schmerzzustände. Aber auch bei sexuellen Dysfunktionen, Allergien und kardiovaskulären Krankheiten findet man ihn. Die Schwierigkeit liegt darin, seinen genauen Verlauf, seine Dauer und seine Stärke vorherzusagen.

Was kann die Psychologie zu Placeboeffekten sagen? Schließlich sind sie doch rein mental.

Aus psychologischer Sicht ist interessant, dass in nahezu allen Untersuchungen Placeboeffekte unter Beteiligung höherer Hirnzentren entstehen, insbesondere des präfrontalen Kortex. Das ist die Region, die uns Menschen intelligente Leistungen ermöglicht. Und das ist auch die Region, die Willensfunktionen, also Selbststeuerung ermöglichen.

Das klingt paradox. Placeboeffekte als Willensleistung? Die Patienten sind doch im Glauben, ein aktives Pharmakon zu bekommen. Wie kann eine „Täuschung“ die Selbststeuerung anregen?

Dazu muss man wissen, dass auch bei sogenannten spezifischen Effekten, also etwa medikamentösen, Psychologie eine große Rolle spielt. Wenn man z.B. ein Schmerzmittel unbemerkt verabreicht, z.B. über eine intravenöse Versorgung, an die der Patient sowieso kontinuierlich angeschlossen ist, dann ist dessen schmerzlindernder Effekt um ein Vielfaches geringer. Das zeigt, dass der Kontext für eine Behandlung maßgeblich ist. Wahrnehmung, Interpretation und Sinnstiftung sind somit wichtige Faktoren. Ich behaupte schon seit einiger Zeit, dass unter solchen Bedingungen die Selbststeuerungsfunktionen des präfrontalen Kortex einsetzen. Diese Region reguliert alle „niederen“ Hirnfunktionen, mildert also z.B. Schmerzsignale ab oder er verändert deren Wahrnehmung.

Sie haben dazu in der medizinischen Fachzeitschrift Medical Hypotheses gerade einen Artikel veröffentlicht und behaupten, dass der Placeboeffekt ganz gezielt eingesetzt werden kann.

Zumindest zeigen mein Ko-Autor Prof. Kuhl aus Osnabrück und ich auf, wie man ihn praktisch nutzen könnte. Aus unserer Sicht muss sich die Placeboforschung aber noch viel genauer mit solchen Fragen beschäftigen. Nur dann kann man hoffen, dass Ärzte den Placeboeffekt noch besser oder gezielter in ihre Behandlungen einfließen lassen. Hier spielt die Arzt-Patient-Interaktion natürlich eine ganz wichtige Rolle.

Kann man diese mentale Power des Placeboeffekts auch im Hausgebrauch für sich nutzen? Sie sind ja auch psychologischer Coach und begegnen solchen Fragen von Klienten sicher täglich.

Ja, das ist ein wichtiges Thema bei fast allen Fragen, mit denen Klienten zu mir kommen. Man muss aber nicht unbedingt immer ein aufwendiges Coaching machen. Ich habe dazu ein kleines E-Book geschrieben, das ich >>10 Übungen des Selbstmanagements<< nenne. Es wird in wenigen Wochen z.B. bei amazon sehr preiswert zu kaufen sein. Darin gebe ich ganz praktisch und einfach umzusetzende Tipps, wie man seine Selbststeuerungsfähigkeit verbessert.

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