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Ahasvers Erlösung

Der Mythos vom Ewigen Juden im Opernlibretto des 19. Jahrhunderts

AutorFrank Halbach
VerlagHerbert Utz Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl345 Seiten
ISBN9783831608348
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis37,99 EUR

Verflucht zu Unsterblichkeit und endloser Wanderschaft, weil er Christus auf dem Kreuzweg verspottete: Ahasver.

Der Mythos vom Ewigen Juden formierte sich bereits im frühneuzeitlichen Spannungsverhältnis zwischen Christentum und Judentum. Der Figur ist dabei von Anfang an eine Ambivalenz eingeschrieben, die zwischen einer Vereinnahmung als ewiger Sündenbock und bußfertigem "Vorzeigejuden" changiert. Die Adaption als Opernsujet erfolgt in einer Zeit, in der die Frage nach der jüdischen Emanzipation und die darauf folgende Gegenreaktion Virulenz gewinnt. Auch in der musiktheatralen Verwertung des Ahasvermythos bleibt die Ambivalenz maßgebliches Charakteristikum: Auf der einen Seite Konglomerate aus lange zirkulierenden antijüdischen Klischees mit neuen (proto-)antisemitischen Stereotypen, auf der anderen die Zeich nung einer philosemitschen Identifikationsfigur für das heimatlose Volk Israel.

Ahasver wandert auf der Opernbühne von der tableaugeprägten Grand Opéra über das MusikdramaRichard Wagners bis zur "Avantgarde"-Oper Busonis. Er ist Anlass für effektvollen Bühnenzauber der Theatermaschinerie, Metapher für die allgemein menschliche Sehnsucht nach Erlösung und trojanisches Pferd, um im Deckmantel des tradierten Mythos antijüdische Ideen zu transportieren. Die Arbeit am Mythos vom Ewigen Juden setzt sich auch auf der Opernbühne bis heute fort: Implizite Stereotypen der Verfolgung trägt Ahasver dabei als nichtloszuwerdenden Ballast stets mit sich.

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Leseprobe
IV.WAGNERS EWIGE JUDEN (S. 118-119)

Für die „Arbeit am Mythos" vom Ewigen Juden ist neben allen anderen Umwälzungen, die durch ihn das Musiktheater neuformierten, Richard Wagner der entscheidende Wendepunkt. Dies hat auch mit Wagners spezieller Bedeutung für eine neue Form der Operndichtung zu tun.

Will man [...] seine Stellung in der Geschichte der Librettistik, sein Verhältnis zur literarischen und die Bedeutung seiner Konzeption für die spätere Zeit bestimmen [...], dann ist die isolierte Betrachtung des Beitrags, den Wagners Theorie und Praxis der Operndichtung geleistet hat, nicht nur statthaft, sondern aus Gründen der Vergleichbarkeit sogar geboten.

Was hier für die allgemeine Bedeutung Wagners für das Libretto beschrieben wird, gilt für die Geschichte der Libretti vom Ewigen Juden im speziellen. Die Erlösungsdramen Wagners kreisen schließlich offensichtlich um das Mythologem des Ahasverstoffes, das im 19. Jahrhundert in den Mittelpunkt der Rezeption geraten war. Dass Wagner die Texte seiner Opern selbst verfasste ist ein weiterer Punkt: Sowohl die Wagnerianer nach ihm, die sich des Ahasvermythos annehmen, wie Weingartner und Sachs, als auch diejenigen, die sich aus dem Schatten Wagners lösen, zum Beispiel Busoni, schreiben, geprägt von Wagner, ihre Ahasverlibretti selbst. Zugleich verkörpern Wagners Adaptionen des Mythos einen problematischen Sonderfall, der die allgemeine Schwierigkeit einer Beschäftigung mit dem „Bayreuther Meister" im speziellen spiegelt: Ahasver irrlichtert nicht nur durch die Musikdramen, sondern auch durch die theoretischen Schriften des antisemitischen Künstlers. Insofern muss auch die Frage gestellt werden, inwieweit Wagners Judenfeindschaft auch seine Libretti imprägniert hat. Dass einige, mehrere oder gar fast alle Opernfiguren mit camoufliert jüdischen Zügen versehen seien oder gar einen antisemitischen Subtext transportierten, wird bekanntermaßen von der Wagnerforschung nach wie vor kontrovers diskutiert.3

Es ist ganz unwahrscheinlich, daß eine so zentrale lebensbegleitende Obsession im Werk des Künstlers Richard Wagner ohne Wirkung geblieben sein soll. Diese Wirkung ist aber nicht so eindeutig und an der Oberfläche liegend, wie einige Wagner-Kritiker meinen, sondern sie taucht nur gelegentlich auf, ist außerdem camoufliert, in einen Subtext eingewoben, dem zeit genössischen Publikum gewissermaßen mit Augenzwinkern dargeboten.[...] Die ungläubige und oft aggressive Abwehr des heutigen Wagner-Publikums gegenüber Hinweisen, daß etwa in Figuren wie Mime und Beckmesser die antijüdischen Ressentiments ihres Schöpfers erkennbar sind, beruht vor allem darauf, daß die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts selbstverständliche Imprägnierung mit dem kulturellen Code des Antisemitismus (in ganz verschiedenen Intensitätsgraden) angesichts dessen, was im 20. Jahrhundert geschah, nicht mehr selbstverständlich sind.

Die Verbrämung durch das Mittel der Camouflage betrifft auch die Ahasvergestalten Wagners, die nicht wie noch Halévys Le Juif errant offen die Gestalt des Ewigen Juden zeigen, dem seine Identität schon durch seine Benennung als Jude eingeschrieben ist. Allerdings hat Wagner dafür – und das macht den Fall im Vergleich zu den von Jens Malte Fischer oben angesprochenen Figuren wie Mime und Beckmesser einfacher – seinen Holländer und seine Kundry in Kommentaren zu Der fliegende Holländer und Parsifal mit dem Ahasver- Mythos in Verbindung gebracht.

Was jedoch die Auslegung des Mythos vom Ewigen Juden anlangt, verkompliziert sich die Sachlage sofort wieder, da die Ahasverfigur – wie dargestellt – von Anfang an durch ihre Ambivalenz geprägt war, changierend zwischen dem Inbegriff aller Negativstereotypen die bezüglich der Juden aufzutreiben waren und zwischen dem reumütig büßenden „Vorzeigejuden". Und auch die Spur, in den mehr oder weniger verdeckten Ahasvergestalten nach antijüdischen Komponenten zu forschen, hat Wagner selbst gelegt.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt8
EINLEITUNG10
I. DER ANTISEMITISMUS UND DIE KONSTITUIERUNG DES AHASVERMYTHOS22
II. DICHTUNGEN VOM EWIGEN JUDEN - AHASVER-VARIANTEN IN DER LITERATUR DES 19. JAHRHUNDERTS47
III. AHASVER UND DAS OPERNLIBRETTO86
IV. WAGNERS EWIGE JUDEN120
V. IM SCHATTEN WAGNERS: KAIN UND SEINE WIEDERGEBURT AHASVER177
VI. DIE CAMOUFLAGE DES AHASVER-MYTHOS IN DER OPER261
VII. „NOCH IST DER LETZTE TAG NICHT DA“ – FERRUCCIO BUSONI UND DER AHASVER-MYTHOS279
VIII. AHASVERS UNSTERBLICHKEIT317
LITERATURVERZEICHNIS325

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