DIE SIEBEN SÄULEN DES ALTERNS
In diesem Kapitel erfahren Sie alles und noch viel mehr über die wichtigsten Faktoren des Alterns. So unterschiedlich diese Vorgänge auch sein mögen – sie sind eng miteinander verknüpft.
OXIDATION: BIOLOGISCHE EXTREMISTEN
Eine der ersten großen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Altersforschung lautet: Exakt der gleiche Prozess, der Metalle rosten und Fette ranzig werden lässt, ist auch für das Altern des menschlichen Organismus verantwortlich.
Altern ist ein universelles Phänomen. Tatsächlich ist es so verbreitet, dass es sogar außerhalb der belebten Natur stattfindet: Ihr Auto rostet, die Butter wird ranzig. Der chemische Prozess hinter diesen Vorgängen heißt Oxidation: eine chemische Reaktion, bei der ein Molekül Elektronen an ein anderes abgibt. Klassisch geschieht dies unter dem Einfluss von Sauerstoff (Oxygenium). Eisen bildet dabei unterschiedliche Eisenoxyde, die wir als Rost bezeichnen. Butter zerfällt bei der Oxidation in verschiedene Fettsäuren, von denen manche unangenehm riechen. In den 1950er-Jahren postulierte der amerikanische Biogerontologe Denham Harman erstmals seine »Theorie der freien Radikale«. Aus heutiger Sicht stellte sie den ersten Versuch dar, das komplexe Phänomen des Alterns durch ein einheitliches Theoriemodell zu erklären. Freie Radikale sind bekanntermaßen keine politischen Extremisten auf freiem Fuß.
Vielmehr handelt es sich um Moleküle, auf deren Elektronenhülle ein Elektron einzeln vorhanden ist. Elektronen sind negativ geladene Teilchen, welche die Atomkerne auf einer sogenannten Elektronenhülle umkreisen. Normalerweise tun sie dies paarweise und sind damit einigermaßen stabil. Ein ungepaartes Elektron dagegen macht die chemische Verbindung instabil und äußerst reaktionsfreudig. Das Molekül versucht nun mit aller Macht, das ihm fehlende Elektron aus einer anderen Verbindung an sich zu reißen. Dadurch wird diese Verbindung ihrerseits geschädigt. Weil ihr nun ein Elektron fehlt, wird sie selbst zu einem freien Radikal. Es kommt zu Kettenreaktionen, in deren Folge Zellstrukturen, Zellmembranen und ganze Gewebe geschädigt werden. Die Schädigungen häufen sich mit der Zeit, führen zu Funktionsverlusten und schließlich zum Totalversagen. Bezogen auf den menschlichen Organismus bedeutet das Altern und Tod.
DOPPELTE SCHUTZSTRATEGIE DES KÖRPERS
Wenn unser Organismus schädigenden Einflüssen ausgesetzt ist, so entwickelt er Strategien, um sich dagegen zu schützen. Im Kampf gegen freie Radikale tut er dies gleich doppelt.
Zum einen besitzt er ein komplexes System von antioxidativen Enzymen, die in der Lage sind, freie Radikale abzufangen und zu neutralisieren. Zu diesen Enzymsystemen gehören die Glutathionperoxidase, die Superoxiddismutase und die Katalasen. Solche Enzymsysteme muss der Körper selbst herstellen. Um optimal zu funktionieren, benötigen sie aber eine Reihe von Spurenelementen und Mikronährstoffen wie Selen und Zink. Werden diese Stoffe nicht oder nicht ausreichend über die Nahrung zugeführt, so ist der Körper auch nicht in der Lage, diese hochwirksamen Schutzsysteme effektiv zu nutzen.
RADIKAL BÖSE?
So ist es häufig in der Medizin. Kaum hat man eine schöne Theorie, schon kommen neue Erkenntnisse, und alles wird wieder infrage gestellt. Freie Radikale galten lange Zeit als die Bösewichte schlechthin, wenn es um den Alterungsprozess geht. Nun zeigen neuere Studien: Sie haben durchaus auch nutzbringende Funktionen. So setzen Immunzellen teils gezielt freie Radikale ein, um Eindringlinge abzuwehren. Auch Krebszellen werden auf diese Weise unschädlich gemacht.
Medizinische Therapien nutzen ebenfalls die Wirkung freier Radikale. Wird zum Beispiel ein Krebs durch eine Strahlentherapie behandelt, so sind es die dabei massenhaft erzeugten freien Radikale, welche den Tumor abtöten. Das bedeutet nicht zuletzt, dass die früher ausgesprochene Empfehlung, zur Abmilderung der Folgen einer Strahlentherapie hochdosierte Vitaminpräparate einzunehmen, völlig unsinnig ist.
Auch wahlloses Herunterregeln der oxidativen Belastung durch hochdosierte Antioxidanzien ist offenbar nicht gesundheitsfördernd, das belegen zahlreiche klinische Studien. In einigen dieser Studien stieg das Krebsrisiko sogar leicht an – aufgrund der oben beschriebenen Abwehrfunktion der Radikale nicht überraschend. Allerdings sollte man auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten: Wie gut Antioxidanzien wirken, ist vor allem eine Frage der Dosierung. Eine vitaminreiche Ernährung wurde noch in keiner einzigen Studie mit einem erhöhten Krebsrisiko in Verbindung gebracht. Im Gegenteil.
Die zweite Strategie im Kampf gegen freie Radikale besteht darin, antioxidative Substanzen mit der Nahrung zuzuführen. Hier sind zunächst einmal die Vitamine A, C und E zu nennen. Der Biochemiker und zweifache Nobelpreisträger Linus Pauling hat als einer der Ersten das Vitamin C als eine Art Universalheilmittel gegen Krankheit und Altern propagiert. Er gilt heute als Begründer der sogenannten orthomolekularen Medizin. Diese spezielle Ernährungsmedizin versucht, Krankheiten vor allem durch die vermehrte Zufuhr von Vitaminen, Spurenelementen und Mikronährstoffen zu behandeln beziehungsweise ihnen vorzubeugen. Pauling selbst war von Vitamin C derart überzeugt, dass er täglich etwa 18 bis 20 Gramm zu sich nahm, das entspricht etwa dem 200-Fachen der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfohlenen Tagesdosis. Geschadet hat es Linus Pauling offenbar nicht: Er starb 1994 im Alter von 93 Jahren. Damit hatte er die durchschnittliche Lebenserwartung eines Mannes im ausgehenden 20. Jahrhundert um mehr als zwei Jahrzehnte überschritten.
Pflanzenschutzstoffe schützen auch uns
Heute setzt kaum noch jemand auf die alleinige Wirkung von Vitamin C. Sicherlich ist es ein potentes Antioxidans. Um den Körper wirksam vor freien Radikalen zu schützen, kommt es allerdings nicht so sehr auf Einzelsubstanzen an. Vielmehr ist für den Schutz ein sogenanntes antioxidatives Netzwerk wichtig, das Zusammenwirken vieler unterschiedlicher Einzelsubstanzen. Zu diesen zählen bei Weitem nicht nur die allseits bekannten antioxidativen Vitamine. Viel wirksamere Radikalenfänger finden sich häufig unter den sekundären Pflanzenstoffen.
Anders, als der Begriff vermuten lässt, sind diese Stoffe alles andere als sekundär. Für die Pflanze sind sie von größter Wichtigkeit, etwa beim Anlocken von Insekten oder als Teil des pflanzeneigenen Abwehrsystems. Bekannte Beispiele sind Carotinoide und Flavonoide. Diese Farbpigmente verleihen einer Pflanze ihre charakteristische Färbung. Bei der Tomate etwa färbt das Carotinoid Lycopin die Frucht rot und schützt sie so vor den schädigenden Auswirkungen des Sonnenlichts.
Die gute Nachricht: Auch wir Menschen profitieren von der Schutzwirkung der Pflanzenstoffe.
Um den oxidativen Stress zu minimieren, besteht die beste Strategie also nicht darin, irgendein antioxidatives Vitamin in möglichst hoher Dosierung als Supplement zuzuführen. Vielmehr sollte das antioxidative Netzwerk in seiner ganzer Breite gestärkt werden. Das tut man besser durch eine obst- und gemüsereiche Ernährung als durch die Einnahme irgendwelcher Vitaminpräparate. Das hat Ihnen Ihre Großmutter auch schon gesagt? Manchmal sollte man eben doch mehr auf die Oma hören als auf zweifache Nobelpreisträger.
ANTI-AGING FÜR DEN OBSTSALAT
Denham Harmans Theorie der freien Radikale (siehe >) war lange Zeit umstritten. Heute ist sie wissenschaftliches Allgemeingut. Man kann sogar selbst in einem kleinen Experiment überprüfen, wie freie Radikale wirken – und was man gegen sie tun kann. Stellen Sie sich vor, Sie machen einen Obstsalat. Eine Zutat sind Bananen. Die werden zunächst geschält und dann in Stücke geschnitten. Nach kurzer Zeit nehmen die Bananenstücke einen unschönen braunen Farbton an: Bedingt durch freie Radikale in der Umgebungsluft werden die äußeren Zellen geschädigt und verfärben sich im Rahmen einer Glykosylierungsreaktion (siehe ab >) bräunlich.
Jetzt weiß aber auch jede kluge Köchin (und natürlich auch jeder kluge Koch), was zu tun ist, damit der Obstsalat nicht verunstaltet wird: Der Trick besteht darin, Zitronensaft über die Fruchtstücke zu träufeln. Der Saft enthält reichlich Vitamin C – ein potentes Antioxidans. Schon entgehen die Bananenstücke, genau wie alle anderen Früchte, der vorzeitigen Alterung. Damit haben wir auch bereits eine erste praktische Anti-Aging Therapie vorgestellt: das Vermeiden oxidativer Schädigungen durch die vermehrte Zufuhr von Radikalenfängern.
Wie messen?
Oxidativen Stress zu messen, ist nicht ganz einfach. Freie Radikale sind winzig und haben eine extrem kurze Halbwertszeit, das heißt, sie zerfallen sehr schnell. Messen lässt sich oxidativer Stress daher nur indirekt über die Schäden, welche freie Radikale anrichten.
Das dafür am besten geeignete Stoffwechselprodukt ist das Malondialdehyd. Es dient als Marker für den Gehalt des Blutes an freien Radikalen.
Ein weiterer Marker, besonders für die oxidative Schädigung von Fetten, ist das 8-OH-Desoxyguanin.
Wichtig ist aber auch zu dokumentieren, was der Körper den freien Radikalen entgegenzusetzen hat. Hierzu dient der Test auf antioxidative Kapazität; er erfasst alle wichtigen antioxidativen Schutzfaktoren im Blut.
Konkrete Normwerte anzugeben, ist hier wenig sinnvoll, da die gemessenen Werte von Labor zu Labor schwanken. Ausschlaggebend ist die Gesamtbeurteilung durch den betreuenden Arzt.
Wie therapieren?
Sie wissen bereits,...