1.Was ist Empathie?
Ob wir empathisch sind oder nicht und ob wir von empathischen Menschen umgeben sind oder nicht, das macht für unser Privatleben einen entscheidenden Unterschied. Das Thema Empathie ist aber auch das Thema für Mitarbeiter an Kassen und Checkpoints, für Servicetechniker von Maschinenbauunternehmen, für Mitarbeiter der Deutschen Bahn oder der Systemgastronomie, für Pflegekräfte im Gesundheitswesen, für Bezugspersonen in Kindertagesstätten … die Liste ließe sich beliebig verlängern.
Empathie macht das Leben besser, schöner, glücklicher, und Empathie steht allen offen – es braucht nur ein wenig Übung! Doch was ist eigentlich Empathie? Warum fällt sie uns oft so schwer? Warum tut sie so gut? Und wie wird man empathisch, wenn diese Fähigkeit nicht von Kindesbeinen an gepflegt wurde?
1.1In vier Schritten zur Empathie
Meine Tanknadel klebt schon viel zu lange im viel zu roten Bereich. Ich starre an diesem Mittwoch auf dem Weg nach Frankfurt immer abwechselnd auf die Autobahn und auf meine Tankanzeige – wie ein Kaninchen auf zwei Schlangen. Zum Glück taucht am Horizont das Schild einer Tankstelle auf. Gerettet!
Was nicht auftaucht, ist mein Portemonnaie. Das liegt zu Hause gemütlich auf meinem Sofa. Also doch nicht gerettet? Ehrlich, wie ich bin, gehe ich mit meinem Pass in die Tankstelle, sage zu dem Mitarbeiter an der Kasse: „Ich brauche bitte Ihre Hilfe …“, und erkläre die Situation.
Er holt seine Vorgesetzte, und die starrt mich an wie eine Schwerverbrecherin. Noch bevor ich etwas sagen kann, blafft sie mich an: „Sie können nicht tanken, das hat mein Chef strikt verboten. Ihren Pass darf ich nicht behalten.“ „Ich könnte die Tankrechnung auch jetzt sofort online überweisen“, schlage ich vor, und ziehe noch meinen letzten Joker aus der Tasche: „Eine meiner besten Freundinnen arbeitet seit Jahren in Ihrer Zentrale, ich kann sie anrufen.“ Nichts hilft, die Tankstellenmitarbeiterin bleibt kalt.
Ratlos fahre ich weiter und telefoniere mit meiner Bankberaterin, die mich schließlich zu einer Verzweiflungstat ermutigt: „Tanken Sie doch einfach, die können das ja nicht wieder ‚rauszuzeln‘.“
Ich bin schockiert, doch letztlich … es bleibt mir keine andere Wahl. Und so werde ich ausgebuffter. Gott sei Dank taucht die nächste Tankstelle auf, kurz bevor meine Tanknadel am Anschlag ist. Mit klopfendem Herzen halte ich, tanke, gehe zur Kasse und erzähle meine Geschichte.
Das Gesicht der Mitarbeiterin versteinert sich, sie streckt mir einen Zettel entgegen und rattert Anweisungen herunter: „Das kostet 15 Euro Strafe, füllen Sie das Formular aus, wo ist Ihr Pass?“ Ich versuche, sie zu beruhigen: „Nun, ich glaube nicht, dass ich so aussehe, als würde ich meine Rechnungen nicht bezahlen.“ Sie: „Da hatten wir schon ganz andere Schlipsträger!“ Nun, als Schlipsträger hat mich noch nie jemand bezeichnet. Wenigstens kann ich weiterfahren.
Im Geschäftsleben ist es wie im Privatleben: Ob man den richtigen Partner hat, weiß man immer erst in einer Notsituation. Natürlich werde ich in Zukunft prüfen, ob ich mein Portemonnaie in der Tasche habe. Aber ich werde auch einen Bogen um diese beiden Tankstellen machen. Was dort nämlich fehlt, ist … Empathie!
Die vier Schritte
Über dieses Erlebnis habe ich lange nachgedacht. Weniger über den offensichtlich fehlenden Prozess, vielmehr über das fehlende Einfühlungsvermögen. Was war da los? Warum wollte man mir nicht helfen? Verstand niemand meine Situation? Konnte keiner der Mitarbeiter meine Hilflosigkeit in dieser Situation nachvollziehen? Ich hatte ein Fragezeichen im Gesicht und fing an, mich intensiv mit dem Thema Empathie auseinanderzusetzen. Alle meine Gedanken, Erfahrungen und Erkenntnisse fasste ich schließlich in vier Begriffen zusammen. Besser gesagt: in vier Schritten, die, konsequent gegangen, zu einem hohen Maß an Empathie führen – und mir an diesem Mittwoch auf der Autobahn viele Nerven gespart hätten:
1. Konzentration
2. Wahrnehmung
3. Kreativität
4. Mut
Konzentration brauche ich, um überhaupt verstehen zu können, was Sache ist. Ein Tankstellenmitarbeiter, der sich mehr für seine Smartphone-Spiele als für seine Kunden interessiert, der versteht auch nicht die Tragweite einer vergessenen EC-Karte.
Dann gilt es, die eigene Wahrnehmung auf „on“ zu stellen: Worum geht es? Was möchte die Kundin (oder die Freundin, der Bruder, wer auch immer …)? Wo drückt der Schuh?
Wenn das verstanden ist, geht es im nächsten Schritt um das Entwickeln kreativer Lösungen. An der Tankstelle hätte man sicherlich einen Weg für meine Überweisung finden können, wenn man sich denn die Mühe gemacht hätte. Auf Extramühe hatte aber offenbar niemand Lust.
Um die kreative Lösung dann auch wirklich umzusetzen, braucht es im letzten Schritt Mut. Es wundert mich nicht, dass es für einen Tankstellenbetreiber keine hohe Priorität hat, vergesslichen Kunden Sondertankrechte einzuräumen. Umso mehr bewundere ich Mitarbeiter, die mutig eigene Wege finden, um Kunden glücklich zu machen – ideal ist das jedoch nicht. Viel mehr überzeugen mich Unternehmen, die mutigen Servicehelden bewusst Raum geben, um Kunden mit ungewöhnlichen Ideen zu begeistern.
Die gute Nachricht: Empathie lässt sich lernen. Service-Champions sensibilisieren und schulen ihre Mitarbeiter in den relevanten Service-Themen mindestens einmal pro Woche. Diese Konsequenz in Verbindung mit Freude am Besserwerden verändert die innere Einstellung und den Blickwinkel. Erfahrungsgemäß ermutigt das alle, engagiert nach neuen Wegen zu suchen, um Kunden zu begeistern. Und es hilft Mitarbeitern, die richtige Tonlage und Intensität der Ansprache zu finden.
Mit genau diesem Ziel habe ich das Unternehmen RichtigRichtig gegründet und das nachhaltige Lernkonzept welearning entwickelt. Unsere Kunden, darunter große Markenunternehmen, berichten über gute Erfolge in der Praxis. Das Besondere an unserem Trainingskonzept ist, dass hier die eigenen Kollegen in die Trainer-Rolle schlüpfen. (Wenn Sie sich das genauer anschauen wollen, finden Sie eine Online-Demo und weitere Informationen auf www.we-learning.com.)
Mit genau diesem Ziel habe ich auch beschlossen, dieses Buch für Sie zu schreiben. Bevor wir uns jedoch die vier Schritte zur Empathie näher anschauen, gilt es zu klären, was Empathie eigentlich ist – und was nicht.
Empathie bewusst einsetzen
Wenn wir das Wort „Empathie“ nachschlagen, so zeigt sich, dass es auf das griechische Wort „empatheia“ zurückgeht. Das heißt „Leidenschaft“ und meint die Fähigkeit, sich in andere Menschen emotional einzufühlen. Empathie wird häufig auch mit Begriffen wie Einfühlungsvermögen, Mitgefühl oder sogar Mitleid in Verbindung gebracht. Gehört das nun alles dazu? Nicht unbedingt: Wer empathisch ist, der kann zwar Mitgefühl zeigen, muss aber nicht gleich in Mitleid zerfließen. Sollte er auch nicht.
Wer in einem hohen Maß empathisch und nicht in der Lage ist, seine Empathie auch einmal bewusst herunterzufahren, der kann in „empathischen Stress“ geraten. Dieser kann Menschen – zum Beispiel Psychologen, Sozialarbeiter oder Flüchtlingshelfer – derart überfordern, dass sie gegen ihren Willen ganz plötzlich und radikal umschalten. Von heute auf morgen sind sie dann gar nicht mehr empathisch, vielleicht sogar zynisch.
Diese Vermeidungsstrategie wird in der Literatur als „Cool-down“ beschrieben und zeigt, dass Empathie nicht ausschließlich positive Facetten hat. Empathischer Stress ist einer der Hauptgründe für Burn-out. Die Kunst des empathischen Handelns liegt also darin, sich auf die Emotionen des Gegenübers einlassen zu können, dabei aber auch immer die eigenen Grenzen der Belastbarkeit zu kennen und sich zu schützen.
Die Kunst des empathischen Handelns liegt darin, sich auf Empathie einzulassen und gleichzeitig zu wissen, wann man einen „Einfühlzustand“ wieder verlassen muss, um eine gesunde Distanz zu bewahren.
Perspektivenwechsel ist keine Empathie
Was viele nicht wissen: Sich in die Argumente eines Gegenübers hineinzudenken, ist noch lange kein Akt der Empathie. Täglich tauschen wir uns zwar mit anderen Menschen aus und versuchen dabei, deren...