Wird das Beschädigungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG, trotz aller Vermeidungsanstrengungen, verwirklicht, sieht § 44 Abs. 5 BNatSchG eine Ausnahmeregelung vor. Diese wird auch als Legalausnahme bezeichnet[125] und kann, unter bestimmten Voraussetzungen, zu einer Freistellung vom Beschädigungsverbot und damit verbundenen Verstößen gegen das Tötungsverbot führen.
Die Rahmenvoraussetzungen für die Legalausnahme des § 44 Abs. 5 sind in Satz 1 enthalten. Demnach kann ein Vorhaben nur von der Ausnahme profitieren, wenn es sich um einen nach § 15 BNatSchG zulässigen Eingriff handelt.[126] Die Ausnahmeregelung schlägt an dieser Stelle eine Brücke zur Eingriffsregelung, um sicherzustellen, dass Vermeidungsmaßnahmen zum Schutz von Natur und Landschaft und somit auch besonders schützenswerter Arten bereits im planerischen Vorlauf ergriffen worden sind.[127] Sollten diese Maßnahmen fehlgeschlagen sein oder schlichtweg nicht möglich sein, stellt der Querverweis zudem sicher, dass unvermeidbare Beeinträchtigungen bereits durch Ausgleichsmaßnahmen, Ersatzmaßnahmen oder notfalls durch einen Ersatz in Geld ausgeglichen wurden.[128] Ist diese Voraussetzung gegeben, kann eine Ausnahme im Sinne des § 44 Abs. 5 BNatSchG in Betracht kommen. Handelt es sich nicht um einen zulässigen Eingriff nach § 15 BNatSchG, kann ein Vorhaben auch nicht von den privilegierenden Regelungen der Legalausnahme Gebrauch machen.[129]
Gemäß § 44 Abs. 5 S. 1 BNatSchG können auch Vorhaben im Sinne des § 18 Abs. 2 S. 1 BNatSchG, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuches zulässig sind, von der Legalausnahme profitieren. Dies sind Vorhaben in Gebieten mit Bebauungsplänen nach § 30 BauGB, Vorhaben während der Planaufstellung nach § 33 BauGB und Vorhaben im Innenbereich nach § 34 BauGB. Zwar müssen sie sich, gemäß § 18 Abs. 2 S. 1 BNatSchG, nicht der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung stellen, dafür werden bei Vorhaben in Gebieten mit Bebauungsplänen und während der Planaufstellung die Belange des Artenschutzes bereits im Zuge der Bauleitplanung, durch die städtebauliche Eingriffsregelung[130], berücksichtigt.[131]
Vorhaben im Innenbereich müssen hingegen keiner artenschutzrechtlichen Prüfung durch die städtebauliche Eingriffsregelung standhalten, weshalb ihre Privilegierung in der Legalausnahme äußerst fraglich ist. Erst durch einen Antrag, gemäß § 18 Abs. 4 BNatSchG, sind auch diese Vorhaben der Prüfung und den daraus resultierenden Konsequenzen der Eingriffsregelung ausgesetzt.[132] Im Rahmen der Errichtung von Windenergieanlagen ist dies jedoch als unbeachtlicher Mangel anzusehen, da Windenergieanlagen im Außenbereich privilegiert sind und sie die Problematik im Innenbereich somit nicht berühren.[133] Von den Verbotsverwirklichungen befreit sind allerdings nur Handlungen, die unmittelbar mit der Errichtung der Anlage verbunden sind und eine unausweichliche Konsequenz des rechtmäßigen Handelns darstellen. Gezielte Beeinträchtigungen besonders geschützter Arten und ihrer Lebensstätten sind somit nicht befreit und deshalb auch weiterhin als verbotswürdig einzustufen.[134]
Gemäß § 44 Abs. 5 S. 5 BNatSchG liegt bei Handlungen zur Durchführung eines Eingriffs oder eines Vorhabens im Sinne von Satz 1 kein Verstoß gegen die Zugriffsverbote vor, sofern lediglich nationale, besonders schützenswerte Arten[135] betroffen sind.[136] Es reicht dem Gesetzgeber an dieser Stelle aus, dass die Eingriffsregelung ordnungsgemäß abgearbeitet wurde und man somit dem nötigen Schutz dieser Arten bereits Rechnung getragen hat.[137] Aus diesem Grund muss vor dem Bau einer Windenergieanlage, wie auch bei Vorhaben anderer Art, eine sorgsame Prüfung der im Gebiet vorkommenden Arten durchgeführt werden. Dies kann anhand von Biotopstrukturen oder bereits vorliegenden Bestandsdaten und Erfahrungen aus der Vergangenheit geschehen, erfordert in der Regel jedoch auch eine neuerliche, aktuelle Bestandsaufnahme vor Ort.[138] Aufgrund der Regelung in Satz 5 wird ein Anlagenbetreiber stets darauf hoffen, lediglich nationale Arten im Planungsgebiet vorzufinden, um so den Verbotstatbeständen des § 44 Abs. 1 Nr. 1-3 BNatSchG aus dem Weg gehen zu können.
Sind hingegen europäische Tierarten des Anhang IV lit. a der FFH-Richtlinie oder europäische Vogelarten betroffen, gelten die eingeschränkten Ausnahmeregelungen der Sätze 2-4 des § 44 Abs. 5 BNatSchG. Gleiches gilt für Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG aufgeführt sind. Hierbei handelt es sich um Arten, die in ihrem Bestand gefährdet sind und für die Deutschland in hohem Maße verantwortlich ist. Ein Beispiel für eine nationale Verantwortungsart stellt der Rotmilan dar, der mit der Hälfte seines weltweiten Vorkommens in Deutschland beheimatet ist.[139] Die in den Sätzen 2-4 festgelegten Bestimmungen werden im Naturschutzrecht auch als „spezielle artenschutzrechtliche Prüfung“ (saP) bezeichnet.[140]
Gemäß § 44 Abs. 5 S. 2 BNatSchG liegt bei einer Betroffenheit der eben genannten europäischen Arten ein Verstoß gegen das Beschädigungsverbot, trotz einer eigentlich zu erfassenden Schädigung oder Entnahme einer Stätte, nicht vor, soweit die ökologische Funktion der betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätte im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt ist. Unter dem Begriff der ökologischen Funktion einer Fortpflanzungs- und Ruhestätte versteht man ihre Fähigkeit, dem geschützten Lebewesen eine erfolgreiche Fortpflanzung und ungestörte Ruhephasen zu ermöglichen.[141] Sie bleibt im räumlichen Zusammenhang gewahrt, wenn der Fortpflanzungs- und Ruheerfolg der betroffenen Population, trotz der Einwirkung auf die Lebensstätte, keine Verschlechterung erfährt.[142] Um dies zu gewährleisten, müssen die dafür notwendigen Habitatstrukturen auch weiterhin in gleicher Qualität und Quantität erhalten bleiben.[143]
Hierbei ist eine Betrachtung der ökologischen Gesamtsituation von Nöten, da die Beschädigung oder Zerstörung einer Lebensstätte immer eine Verschlechterung gegenüber der Ausgangssituation darstellt. Sind andere Strukturen innerhalb des Habitats vorhanden, die der betroffenen Art als Fortpflanzungs- und Ruhestätte dienen und diesen Verlust funktionell auffangen können, liegt in der ganzheitlichen Betrachtung keine Verschlechterung der ökologischen Gesamtsituation vor. Die ökologische Funktion bleibt somit im räumlichen Zusammenhang auch weiterhin gewahrt.[144] So kommt die Legalausnahme beispielsweise nur zur Anwendung, wenn trotz der Rodung eines Baumes und der damit verbundenen Zerstörung eines Rotmilanhorstes, noch immer genügend andere Strukturen im räumlichen Zusammenhang vorhanden sind, die dem Rotmilan als Fortpflanzungs- und Ruhestätte in gleicher Qualität dienen können.[145] Es genügt nicht, dass potenziell geeignete Fortpflanzungs- und Ruhestätten, wie Niststrukturen oder Bruthöhlen, außerhalb des betroffenen Gebiets existieren. Ein passender Ersatz für die entfallene Lebensstätte muss im unmittelbar räumlich-funktionalen Zusammenhang bestehen und somit problemlos für eine Art erreichbar sein.[146] Ist eine Ersatzstätte mit räumlich-funktionalem Bezug nicht vorhanden, bedeutet die Zerstörung der Lebensstätte eine Verminderung des Fortpflanzungs- bzw. Ruheerfolgs und führt zum Ausschluss der Anwendbarkeit der Legalausnahme.
Sollte die ökologische Funktion der von dem Vorhaben betroffenen Stätte, auch unter Einbeziehung natürlicher Ersatzlebensräume, nicht im räumlichen Zusammenhang gewahrt werden können, bietet § 44 Abs. 5 S. 3 BNatSchG außerdem die Möglichkeit der Festsetzung von vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen. Mit Hilfe von ihnen soll die ökologische Funktion der Lebensstätte doch noch aufrechterhalten werden. Diese Maßnahmen zur dauerhaften Sicherung der ökologischen Funktionalität werden auch CEF-Maßnahmen[147] genannt und wurden aus dem Unionsrecht übernommen.[148] CEF-Maßnahmen können einerseits schadensbegrenzende Vermeidungsmaßnahmen, wie zum Beispiel die Umsiedlung einer Lebensstätte, beinhalten, andererseits aber auch aus vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen bestehen, die aktiv zur Verbesserung der ökologischen Funktionalität beitragen. Darunter fallen beispielsweise Erweiterungen einer Stätte oder die künstliche Schaffung einer neuen Fortpflanzungs- und Ruhestätte für die betroffene Art, um die zu erwartende Verschlechterung der ökologischen Funktionalität auszugleichen.[149]
Bei der Errichtung von Windenergieanlagen kommt es, durch...