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Alexander von Humboldt

Der Preuße und die neuen Welten

AutorRüdiger Schaper
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783641173678
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Von Tegel in die Welt und zurück: Humboldt, Preuße und Entdecker
Von Preußen in die Welt: Aus der Perspektive der letzten Jahrzehnte, die Humboldt, nach seinen Entdeckerjahren in Übersee und einem halben Leben in Paris, nun weitgehend in der ungeliebten preußischen Heimat verbringt, lässt Rüdiger Schaper dieses Forscherleben Revue passieren. Er widmet sich neben den Reisen und dem mächtigen Schriftwerk auch dem weithin verborgenen Privatleben - und dem preußischen Erbe, das Humboldt zeitlebens geprägt hat. Ein Lesevergnügen und ein großes Bildungserlebnis.

Mit zahlreichen Abbildungen.



Rüdiger Schaper, Jahrgang 1959, leitet das Kulturressort des Berliner »Tagesspiegel«, für den er seit 1999 tätig ist. Zuvor war er zehn Jahre lang Kulturkorrespondent der »Süddeutschen Zeitung« in Berlin. Bei Siedler sind von ihm zuletzt »Die Odyssee des Fälschers. Die abenteuerliche Geschichte des Konstantin Simonides, der Europa zum Narren hielt und nebenbei die Antike erfand« (2011) und »Karl May. Untertan, Hochstapler, Übermensch« (2012) erschienen. Rüdiger Schaper lebt in Berlin.

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Leseprobe

Kapitel 1
Retour à Berlin

ALEXANDER VON HUMBOLDT ist 57 Jahre alt, er ist weltberühmt und pleite und muss nach Berlin zurück. Das Jahr 1827 erscheint als die große Wasserscheide in seinem Leben.

Mitte April des Jahres reist Alexander von Paris nach London. Er wird dringend in Preußen erwartet, doch er dreht, wie so häufig, noch einmal eine große Runde. War der Umweg nicht immer das Ziel? Er verbindet Orte mit Menschen und Menschen mit Reisen, die Erledigung einer Sache geht einher mit zehn neuen Geschäften und Ideen, eine Entdeckung führt zur nächsten Serie von Experimenten. Als junger Mann hat er schon über sich gesagt: »Voller Unruhe und Erregung, freue ich mich nie über das Erreichte, und ich bin nur glücklich, wenn ich etwas neues unternehme, und zwar drei Sachen mit einem Mal. In dieser Gemütsverfassung moralischer Unruhe, Folge eines Nomadenlebens muss man die Hauptursachen der großen Unvollkommenheit meiner Werke sehen.« In der britischen Hauptstadt diniert er mit dem Premierminister und dem Gesandten der USA. Er genießt die Großstadt, eilt vom Botanischen Garten zur Royal Society, trifft Wissenschaftskollegen. Er wird gefeiert, jeder will etwas von ihm, Einladungen ohne Ende, was ihm schnell auf die Nerven geht, weil er die Zeit lieber zum Arbeiten nutzt. Er knüpft Kontakte, schreibt seine täglichen Briefe und gibt wieder viel zu viel Geld aus bei seinen Einkäufen.

Und er unternimmt etwas vollkommen Verrücktes: Humboldt besteigt eine Taucherglocke und lässt sich auf den Grund der Themse herabsinken. Die Engländer bauen den ersten Tunnel unter dem Fluss. Humboldt trägt dickes, warmes Zeug, es ist stockfinster und eiskalt dort unten in der Kloake. Die Taucherglocke erreicht eine Tiefe von elf Metern, über einen Lederschlauch werden die Insassen mit Atemluft versorgt. Humboldts Begleiter sind der schon über siebzigjährige Sozialreformer und Philosoph Jeremy Bentham und Marc Isambard Brunel, der Ingenieur und Baumeister dieses in der Welt einzigartigen Unternehmens. Humboldt hat Kopfschmerzen, er blutet aus der Nase wegen der Druckschwankungen und erinnert sich fröhlich an seine lebensgefährlichen lateinamerikanischen Bergtouren in Schnee und Eis.

Muss er sich in seinem Alter noch einmal beweisen, bevor es nach Berlin geht, in den märkischen Sand? Die vierzig Minuten unter Wasser in der Themse komprimieren Humboldts Wesen, sein Denken und Tun. Er will herausfinden, wie die Natur beschaffen ist und wie der Mensch sie durch sein Eingreifen verändert. Wo Humboldt ist, da ist die wissenschaftlich-intellektuelle Avantgarde, er setzt seinen Körper als Versuchsobjekt ein. Wenige Tage nach der Tauchpartie der hohen Herren stürzt die Baustelle ein. Erst sechzehn Jahre später, 1843, wird der Themse-Tunnel eröffnet. Manch ein Arbeiter hat dort unten sein Leben gelassen. Humboldts Londoner Tauchexpedition verweist auf seine mörderisch leichtsinnigen, oft spontanen Unternehmungen in der Wildnis der Neuen Welt.

Es ist nicht lange her, da wollte er Europa den Rücken kehren und eine neue Existenz beginnen: »Ich habe den großen Plan eines großen Zentralinstituts der Naturwissenschaften des freien Amerika in Mexiko. Der Kaiser von Mexiko, den ich persönlich kenne, wird fallen, es wird eine republikanische Regierung geben und ich habe die fixe Idee, mein Leben auf die angenehmste und für die Naturwissenschaft nützlichste Weise in einem Teile der Welt zu beenden, wo ich außerordentlich geschätzt werde und alles mich auf eine glückliche Existenz hoffen lässt.« Manchmal klingt er mit seinem radikalen Gründer- und Entdeckergeist wie ein Hochstapler und Fantast: »Dieser Plan eines Instituts in Mexiko … schließt nicht eine Rundreise nach den Philippinen und Bengalen aus. Das ist eine sehr kurze Exkursion, und die Philippinen und Kuba werden wahrscheinlich vereinigte Staaten mit Mexiko bilden.« Humboldt sieht sich nicht allein mit dem Gedanken, »da die ausgezeichnetsten Naturwissenschaftler, wie ich, Europa zu verlassen wünschen«. Goethe gegenüber erwähnt er den Plan, über Südafrika nach Tibet zu reisen.

Aus alldem wird nichts. Am 12. Mai 1827 kommt Humboldt in Berlin an. Er muss von nun an die Welt hauptsächlich von Preußen aus betrachten. Hier verbringt er mit Unterbrechungen das letzte Drittel seines Lebens. Und natürlich wird er Techniken und Strategien entwickeln, der Enge zu entkommen, die Perspektive zu weiten, sich selbst zum Zentrum vielfältiger wissenschaftlicher und publizistischer Aktivitäten zu machen. Berlin profitiert von seinem neuen Bürger, der die Welt mitbringt. Humboldts finanzielle Reserven sind erschöpft. Nicht länger sieht er sich in der Lage, die Stellung in Paris zu halten. Es ist die Stadt, die er liebt, in der er die vergangenen zwanzig Jahre verbracht hat. Zu Orten und Landschaften hat Humboldt eine ausgeprägte Beziehung. Berlin wird eine Vernunft- und Versorgungsehe, während Paris, das er schon als junger Mann kennen- und lieben lernte, seine große Leidenschaft bleibt. Bis zu seinem Tod wird er noch acht Mal an die Seine reisen, zu einigen längeren Aufenthalten. Das gehört zur Abmachung mit Friedrich Wilhelm III. Humboldt ist bald nach seiner Rückkehr von seiner Amerikareise im Jahr 1804 zum preußischen Kammerherrn ernannt worden, ohne weitere Pflichten. Jetzt aber hat der König die lange Leine eingeholt und Humboldt an Spree und Havel zurückbeordert. Der preußische Monarch gewährt seinem Kammerherrn vier Monate Forschungsurlaub im Jahr und erhöht die jährlichen Bezüge auf 5000 Taler. Das ist eine ordentliche Summe und ein starkes Argument. In einem Brief an Humboldt hebt der König die gewährten Privilegien hervor: »Sie werden hierin einen neuen Beweis erkennen, wie sehr Ich Ihre ausgezeichneten Verdienste um die Wissenschaften schätze und wie gern Ich Ihren Wünschen entspreche.«

1. Am Hofe gefesselt: Alexander von Humboldt,
Porträt von H. W. Pickersgill, 1831

Zwei Jahrzehnte hat sich Alexander von Humboldt von Berlin ferngehalten. Das zeigt, was er von der Stadt denkt und wie hoch er seine Unabhängigkeit schätzt, was ihm Paris bedeutet. Im Zusammenhang mit Berlin fällt das Wort Wüste. Berlin-Bashing gehört damals zum guten Ton. Auch Goethe, den Humboldt im Dezember 1826 in Weimar besucht, hat über die Stadt der Preußen wenig Freundliches zu sagen. Umso mehr begeistert er sich für Alexander von Humboldt – in den Gesprächen mit Eckermann nachzulesen: »Was ist das für ein Mann! Ich kenne ihn so lange, und doch bin ich von neuem über ihn in Erstaunen. Man kann sagen, er hat an Kenntnissen und lebendigem Wesen nicht seinesgleichen. Und eine Vielseitigkeit, wie sie mir gleichfalls noch nie vorgekommen ist … Er gleicht einem Brunnen mit vielen Röhren, wo man überall nur Gefäße unterzuhalten braucht und wo es uns immer erquicklich und unerschöpflich entgegenströmt.«

Humboldt bezieht in Berlin eine bescheidene Wohnung, die Adresse lautet Hinter dem Neuen Packhofe Nr. 4, auf einer Spreeinsel, die wir heute als Museumsinsel kennen. Er bleibt dort bis 1841 zur Miete. Er nimmt Johann Seifert, einen jungen Mann und dessen Frau, als Diener. Den Mathematiker Carl Friedrich Gauß in Göttingen zieht er ins Vertrauen: »Es ist ein großer Entschluss, einen Teil meiner Freiheit und eine wissenschaftliche Lage aufzugeben … Aber ich bereue nicht, was ich getan habe. Das intellektuelle Leben hat mich unendlich angesprochen bei meinem letzten Aufenthalte in Deutschland, und die Idee, in Ihrer Nähe, in der Nähe derer zu leben, die meine Bewunderung für Ihr großes vielseitiges Talent lebhaft teilen, ist ein wichtiger Beweggrund meines Entschlusses gewesen.« Er stimmt sich positiv ein auf die Berliner Provinz. Doch bald wird Humboldt spotten: »In Deutschland wirkt man auf den Geist einiger großer Persönlichkeiten nur durch den Reflex des Ansehens im Ausland.«

In Humboldts Berlin-Abwehr steckt ein Stück Ungerechtigkeit. Einen besonderen Familiensinn hat er nie entwickelt. Sein Bruder Wilhelm und seine Schwägerin Caroline nehmen ihn herzlich auf. Wilhelm hat 1820 den Staatsdienst quittiert und erfreut sich in Tegel seines Lebens als Privatgelehrter. Karl Friedrich Schinkel hat den Familiensitz elegant klassizistisch umgebaut, den Landsitz schmücken antike Skulpturen und Abgüsse. 1824 ist das Privatmuseum, an dessen Realisierung der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen mitgewirkt hat, ein Freund aus römischen Tagen, eingeweiht worden, der König war zugegen. Wilhelm von Humboldt vertieft sich in seine Sprachstudien. Selbst kleinere europäische Sprachen wie das Baskische sind ihm geläufig, er lernt Sanskrit, beschäftigt sich mit dem Japanischen und den Sprachen der Südsee und Amerikas, hält Vorträge in der Akademie der Wissenschaften. Chateaubriand, Botschafter Ludwigs XVIII. in Berlin, ein politisch stockkonservativer Schriftsteller, hat sich über Wilhelm von Humboldt lustig gemacht. Um die Zeit totzuschlagen, habe Wilhelm alle Sprachen und »Volksmundarten« der Erde gelernt, nichts weiter als ein Spleen. Chateaubriand ist ein Vertreter der Alten Welt. Er begreift nicht, wie sehr Wilhelm von Humboldt das Verständnis für ein neues Weltbild mitprägt: Jeder Mensch hat seine Sprache und Kultur, kann nur aus ihnen heraus verstanden werden. Dem entspricht Alexanders Idee von Geographie und Geschichte, die einander bestimmen. Zum 250. Geburtstag Wilhelm von Humboldts am 22. Juni 2017 sagte Neil MacGregor, der Gründungsintendant des Berliner Humboldt Forums, in seiner Festrede: »Genau wie sein Bruder Alexander die Welt der Pflanzen auf neue Art...

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