KAPITEL 1
Unser Gehirn und unser
Denken
Assoziation und Dissoziation
Die Wörter Assoziation wie Dissoziation haben ihren Ursprung im Lateinischen. Hier bedeutet „associare“ beigesellen, vereinigen und verbinden. „Dissociatio“ hingegen steht für Trennung.
Heute tritt uns das Wort Assoziation auf den unterschiedlichsten Wissensgebieten entgegen: In der Biologie z. B. bezeichnet man mit Assoziation eine Gruppe von Pflanzen, die sich aus verschiedenen, charakteristischen Arten zusammensetzt.
Die Chemie spricht von Assoziation, wenn sie die Vereinigung mehrerer gleichartiger Moleküle zu einem Molekülkomplex betrachtet.
Die moderne Psychologie gebraucht dieses Wort, um zu verdeutlichen, dass eine gedankliche Vorstellung mit etwas verknüpft wird. Das klingt sehr sachlich und will zum Ausdruck bringen, wie ich etwas sehe, etwas wahrnehme.
Anders formuliert: Wenn Sie Erlebnisse aus der Vergangenheit vor Ihr „geistiges Auge“ führen, mit allen Ihren Sinnen „nacherleben“ oder Ereignisse der Gegenwart auf sich einwirken lassen, als wären Sie mit ihnen „verschmolzen“, dann sind Sie assoziiert. Zwischen Ihnen und dem Ereignis besteht dann eine unmittelbare gefühlsmäßige Beziehung.
Erfahren Sie ein Ereignis aus der Vergangenheit – Ihren ersten Schultag, Ihren Eintritt ins Berufsleben, Ihre Hochzeit, die Geburt Ihres Kindes, Ihr erster Sprung vom Sprungbrett – nochmals so, als wären Sie „voll dabei“, freuen sich nochmals auf die Süßigkeiten in der Zuckertüte, spüren wieder den Schweiß auf der Stirn, als Sie sich in einer sehr angespannten Situation befanden, oder Ihre innere Erregung, als Sie das Sprungbrett betraten, dann sind Sie assoziiert.
Sehe ich die Gegenwart nicht als objektiver Betrachter, sondern begebe mich sozusagen mit allen meinen Sinnen in eine gegenwärtige Situation hinein, beteilige mich mit meinen Gefühlen und Emotionen an dieser Gegenwart und ergreife Partei, was bei einem Streit mit einem Mitmenschen schnell der Fall sein kann, bin ich assoziiert.
Nun besteht auch die Möglichkeit, Ereignisse aus Vergangenheit und Gegenwart auf „neutralem Boden“ wahrzunehmen. Was heißt das? Wir nehmen ein Beispiel: Sie erzählen, dass Sie damals weiche Knie bekommen haben, als Sie auf dem Sprungbrett gestanden haben. Können Sie das so berichten, ohne das dazugehörige Körperempfinden zu verspüren, sind Sie dissoziiert.
Sie erzählen distanziert von Ihren Gefühlen angesichts dieses oder jenes Ereignisses, ohne sofort Schweißperlen oder das bekannte Kribbeln unter der Haut zu bekommen. Wenn Sie im Zustand der Dissoziation ein Gefühl haben, dann in der Regel das, „daneben zu stehen, ohne dabei zu sein“.
Der assoziierte und dissoziierte Wahrnehmungszustand haben, gewollt oder ungewollt, Einzug in unsere Alltagssprache gefunden.
assoziiert: „Herr Meyer ist ein tüchtiger Mitarbeiter.“
dissoziiert: „Man hat mir berichtet, dass Herr Meyer ein tüchtiger Mitarbeiter ist.“
assoziiert: „Du gehst mir mit Deiner Fragerei auf die Nerven!“
dissoziiert: „Manche Mitmenschen können einem gewaltig auf die Nerven gehen.“
assoziiert: „Ich war ein guter Schüler.“
dissoziiert: „Aus meinen Beurteilungen ging immer hervor, dass ich ein guter Schüler gewesen bin.“
assoziiert: „Ich kann an meinem Verhalten nichts Schlechtes finden.“
dissoziiert: „Andere fanden mein Verhalten gut.“
assoziiert: „Ich kann meine damaligen Gefühle nicht aussprechen!“
dissoziiert: „Ich kann heute über das, was damals in mir vorgegangen ist, sprechen, ohne gleich rot zu werden.“
assoziiert: „Sie sind Melancholiker und Sie Choleriker!“
dissoziiert: „Es gibt Melancholiker und Choleriker!“
Melancholiker und Choleriker sind unterschiedliche Charaktertypen. Sie werden sie im Laufe dieses Buches noch näher kennenlernen.
Spätestens hier wird Ihnen noch einmal deutlich, warum für mich diese Unterscheidung von Assoziation und Dissoziation so wichtig ist. Durch meine über 20-jährige Trainertätigkeit festigte sich in mir die Überzeugung, dass Menschenkenntnis, Charakterkunde und Körpersprache sowohl dissoziiert als auch assoziiert vermittelt und aufgenommen werden müssen. Deshalb werde ich in manchen Kapiteln eine dissoziierte, in anderen eine assoziierte Herangehensweise benutzen. Nur so kann der Leser mit der nötigen Aufrichtigkeit seinen wahren Charakter erkennen.
Aus dem Puzzle von Körpertypen und -formen und ihrer jeweiligen Bedeutung ergibt sich die Individualität des einzelnen Menschen. Schubladendenken ist hier nicht gefragt.
Die Selbst-erfüllende-Prophezeiungs-Person
Wir alle kennen den oft daher gesagten Satz „Ich stelle mir vor, dass ich ein … bin oder etwas … ist“.
Sie stellen sich vor, Millionär zu sein, und doch ist der damit verbundene Reichtum nur in Ihrer Vorstellung und nicht wirklich vorhanden. Man nennt das eine Imagination. Sie kennen sie auch als Fantasie. Wenn Sie fantasieren, stellen Sie sich etwas vor, bildlich, anschaulich. Sie denken sich etwas aus. Das gilt auch für die Selbst-erfüllende-Prophezeiungs-Person, kurz: SEPP.
Stellen Sie sich bitte den SEPP als kleines Männchen in unserem Gehirn vor. Diese Vorstellung wird sich als hilfreich erweisen, die komplizierten und vielschichtigen Prozesse, die in unserem Gehirn ablaufen, besser zu verstehen. Führen Sie sich vor Augen, dass unser SEPP im Gehirn bestimmte und wichtige Aufgaben zu erledigen hat.
Der amerikanische Psychologe P. G. Zimbardo schrieb einmal in seiner „Psychologie“:
„Die Wahrnehmung ist der Schlüssel, der uns die Türen zu der Welt um uns herum öffnet.“
Damit wird die Bedeutung unseres SEPP nur unterstrichen. Er nimmt alle Sinneswahrnehmungen auf und ordnet sie sozusagen als Bilder im Gehirn ein. In einem meiner früheren Bücher habe ich das immer mit jenen Bildern verglichen, die wir selbst in Fotoalben einkleben. Diese werden dann in Regalen abgelegt und tragen die unterschiedlichsten Überschriften, damit sie vom SEPP leichter wiedergefunden werden: „Hochzeit“, „Unser Kind“ oder „Urlaub Griechenland, 1995“.
Mit jeder neuen Wahrnehmung erhält unser SEPP Arbeit. Zum einen sortiert er neue Bilder ein, zum anderen greift er auf bereits vorhandene und abgelegte Bilder zurück. Beides ist ungemein wichtig, damit Sie Ihre Bilder denken und aussprechen können. Wie Sie Ihre Bilder denken und was und wie Sie kommunizieren, hängt auch von den „Eigenarten“ Ihres SEPP ab.
So ist er z. B. glücklich (Happy-SEPP), wenn er es mit der Verwaltung Ihrer Bilder, deren Ein- und Aussortieren einmal nicht ganz so genau nehmen muss oder auf bekannte Bilder zurückgreifen kann.
Unglücklich, traurig hingegen (Sad-SEPP) tritt er Ihnen dann entgegen, wenn Sie ihn mit Befehlen wie „100%“, „exakt“ oder „vollkommen“ traktieren. Superlative jedweder Art sind ihm ein Gräuel.
Bei Sinneswahrnehmungen, zu denen Ihr SEPP eine Vielzahl von Bildern aus seinen Lieblingsalben holen kann, läuft er zu Höchstform auf (Hyperaktiv-SEPP) und Sie können diese Bilder gar nicht so schnell denken und sprechen, wie er sie hervorholt.
Häufig ist eine geniale Idee nur eine richtige Idee zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Verantwortlich hierfür ist Ihr Super-SEPP.
Hervorgeholt werden können aber auch Bilder, mit denen Sie gerade jetzt am wenigsten anfangen können oder die Sie in die falsche Richtung lenken. Die Folge sind Missverständnisse im Umgang mit anderen. Sie können sich sicher sein: Hier hat sich Ihr SEPP als Super-DEPP eingebracht.
Sinneswahrnehmungen, die Neues und Unbekanntes mit sich bringen, lösen bei Ihrem SEPP eine Aktivität der besonderen Art aus: einen durchaus aktiven Eigensinn. SEPP wird zum Stur-SEPP.
Ganz offensichtlich hat unser SEPP einen ganztägigen Full-Time-Job. Zum Schlafen (Schlaf-SEPP) kommt er kaum, auch nachts nicht. Sie träumen und ohne zu träumen kann kein Mensch überleben.
Im Verlauf unseres Lebens also legt unser SEPP alle Erfahrungen und Wahrnehmungen in Form von Bildern in unserem Gehirn ab. Mit diesen Bildern können sich die unterschiedlichsten Sinnes- und Gefühlseindrücke verbinden.
Ihre Intensität sowie positive als auch negative Färbung stehen in Abhängigkeit von den Umständen, Situationen und Zusammenhängen, unter denen sie entstanden und von Ihnen aufgenommen worden sind.
Die beiden Hirnhälften – Ratio und Irratio
Das menschliche Gehirn ist das komplexeste Gebilde im Universum, das wir derzeit kennen. Es ist die Steuerzentrale für unsere Vitalfunktionen – Hunger, Durst, Schlaf und Sexualität –, hier werden die vielen, vielen Signale buchstabiert und entziffert, die vom Körper und von der Außenwelt kommen.
Wir könnten weder ein- noch ausatmen, gäbe es das Gehirn nicht. Hier kommunizieren ca. 100 Milliarden Nervenzellen miteinander, ununterbrochen tauschen sie biochemische Signale aus. Miteinander verbunden sind sie durch die kaum vorstellbare Anzahl von 100 Billionen sogenannten Synapsen (Umschaltstellen zwischen Nervenfortsätzen, an denen Reize weitergeleitet werden). Die rein rechnerische Möglichkeit von „Umschaltungen“ übersteigt die Gesamtzahl aller Atome im uns derzeit bekannten Universum!
Über das...