Den allerersten Schritt, den Sie tun können, haben Sie schon hinter sich: Sie interessieren sich dafür, was Sie selbst unternehmen können, damit Sie gesund werden, gesund bleiben oder gesund alt werden. Sehr gut! Sie übernehmen Verantwortung für sich!
Zu sehr sind wir es gewöhnt, unseren Körper zu benutzen und erst auf ihn zu hören, wenn er nicht mehr funktioniert. Früher stand noch in jedem Haushalt ein Buch mit Hausmitteln gegen Erkältung und andere Wehwehchen, Ratgeber-Literatur gibt es auch heute in Hülle und Fülle, doch zunehmend wird die eigene Initiative ersetzt durch den Gang zum Arzt oder zur Apotheke. Das Motto »Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker« wird uns ja täglich förmlich eingetrichtert. Das ist eine der Auswirkungen der dominierenden Medizingläubigkeit: Die Medizin ist für alles Kranke zuständig - nicht mehr wir selbst.
Um nun aber unseren inneren Arzt zu wecken und unsere Selbstheilungskräfte wieder zu aktivieren, ist es nötig, diese Zuständigkeit zum Teil wieder zurückzuerlangen. Unsere Gesundheit an Leib und Seele liegt in erster Linie in unserer eigenen Verantwortung. Wir können uns nicht einfach zum Reparieren abgeben. Wie können uns lediglich beim Reparieren helfen lassen.
Dazu gehört, dass jeder Mensch selbst herausfinden sollte, was ihm persönlich helfen könnte. Was für den einen heilsam ist, ist für einen anderen möglicherweise schädlich. Was Ihnen persönlich hilft und guttut, wissen wir nicht, und das herauszufinden, kann Ihnen auch niemand abnehmen, kein Arzt und kein Heiler. Wir können Ihnen aber viele Anregungen an die Hand geben. Diese sind bunt gemischt, und es sind auch diejenigen dabei, bei denen wir selbst die Augenbrauen hochziehen - aber vielleicht ist das genau die Anregung, die Ihnen hilft. Gehen Sie also mit uns auf die Suche.
Falls Sie Ihren inneren Arzt noch nicht kennen oder ihn nicht hören können, dann könnte Meditation für Sie ein sehr geeignetes Mittel sein, um das Gehör für ihn zu schärfen oder ihn wiederzufinden - denn er ist immer da; Sie haben nur eventuell vergessen, wie er zu Ihnen spricht.
Für eine Meditation ist es gar nicht nötig, OMM zu sagen, und Sie müssen sich auch keine Buddha-Statue in den Garten stellen oder irgendwelche Verrenkungen machen: Meditation gibt es ganz ohne spirituellen Klimbim. Es handelt sich lediglich um die Anwendung von Techniken, die die Wahrnehmung und den Umgang mit sich selbst fördern und gezielt einüben.
Aber was passiert da eigentlich genau, was verändert sich durch Meditation? Wenn Sie sich an unsere Mönche eingangs (siehe Kapitel: »Irgendetwas muss da sein«, S. 11) erinnern, kann Meditation noch viel mehr. Da lässt sich unter anderem anführen:
Bei schweren Krankheiten wie Krebs oder auch bei HIV-positiven Menschen kann eine die Therapie begleitende Meditation von großem gesundheitlichem Nutzen sein. Eine Studie aus dem Jahr 2011 fand heraus, dass Patientinnen mit Brustkrebs in mehrfacher Hinsicht von einer bestimmten Form der Meditation, der sogenannten achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (Mindfulness-Based Stress Reduction, MBSR), profitierten. Für die Studie wurden zwei Gruppen von Patientinnen verglichen, die kurz zuvor wegen Brustkrebs operiert worden waren. Eine Gruppe der Patientinnen machte nach der Operation ein achtwöchiges Ausbildungs- und Übungsprogramm in Achtsamkeitsmeditation, die andere Gruppe nicht. Vor Beginn des Programms war bei allen Frauen bedingt durch den Stress der Operation und der erheblichen Belastung durch die schwerwiegende Diagnose Brustkrebs die Aktivität von bestimmten, für das Immunsystem wichtigen Zellen, den sogenannten natürlichen Killerzellen, und der Interferon-gamma-Produktion reduziert. Die Plasma-Cortisolspiegel, die als Maß für den Stresspegel der Patientinnen gelten, waren bei allen Frauen erhöht. Der interessante Befund dieser Studie war: Nach dem MBSR-Meditations-Programm normalisierte sich nur in der Meditationsgruppe die Aktivität dieser natürlichen Killerzellen und die Produktion des Gamma-Interferons, der Cortisolspiegel sank ab. In der zweiten Gruppe, die keine Meditation praktiziert hatte, veränderten sich diese Parameter im Blut nicht. Außerdem berichteten die Frauen in der Meditationsgruppe über eine insgesamt bessere Lebensqualität und eine deutlich verbesserte Fähigkeit zur Krankheitsverarbeitung.97 - Meditation kann also das Immunsystem beeinflussen, und dies sogar mit einer Wirkung, die mehrere Monate andauert, wie sich in dieser Studie zeigte.
Andere Untersuchungen wiesen nach: Meditation erhöht die Masse der grauen Substanz in den Bereichen des Gehirns, die für Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und Erinnerung wichtig sind. Sie ist geeignet, dem Phänomen des psychischen wie physischen Erschöpft- und AusgebranntSeins, das Burn-out genannt wird, vorzubeugen, und beeinflusst direkt den Körper: Das Immunsystem arbeitet besser, der Blutdruck sinkt und die Aktivität der Enzyme steigt.98
Meditation kann auch die Aktivität des Vagusnervs erhöhen, den wir im Kapitel »Wie funktioniert das?« kennengelernt haben und der als wichtigster Nerv des parasympathischen Nervensystems in zahlreiche Abläufe im Körper verwickelt ist. Meditation verändert die Verknüpfungen der Zellen und deren Kommunikation untereinander. Je mehr Sie meditieren, desto mehr verändert sich das Gehirn. Diesem Vorgang liegt die grundlegende Fähigkeit zur Formbarkeit, der Plastizität der wichtigsten Verschaltungsstellen zwischen den Nerven, der Synapsen zugrunde. Und je mehr Sie trainiert sind, Ihre Aufmerksamkeit nach innen zu richten, desto leichter fällt es Ihnen im Alltag, ausgeglichen, wach und aufmerksam zu sein. Meditation ist von ihrer Natur her beobachtend, was sich positiv auf angstgeplagte Menschen und Patienten mit chronischen Schmerzen auswirkt: Man lernt, Zustände zu bemerken, aber ohne zu versuchen, sie zu unterdrücken und ohne sich »hineinzusteigern«. Man schafft praktisch eine Schaltstelle zwischen dem Reiz und der automatischen Reaktion. Genau dies meint auch der Ausspruch des österreichischen Psychiaters und Begründers der Logotherapie Viktor E. Frankl: »Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.«99 Das hat zur Folge, dass die Betroffenen die Angst und Schmerzen noch bemerken, wahrnehmen, aber sich emotional nicht mehr davon mitreißen lassen, was sich wiederum positiv auf ihr vegetatives Nervensystem auswirkt.
Meditieren vertreibt Angst und Sorgen - besser gesagt: Angst und Sorgen vergehen zwar nicht, aber man bleibt bei ihrem Angesicht gelassener, und Schmerzpatienten gewinnen Lebensqualität. Es wurde auch eine Veränderung einer Region des Gehirns bemerkt, die »Insellappen« genannt wird und die für das Erkennen von Empfindungen wichtig ist.
Und eine weitere schöne Nebenwirkung der Meditation ist: Das Gehirn altert langsamer.
Wie macht sie das nur?
In dem Artikel Taking the Measure of Mind (Die Vermessung des Geistes) in der Zeitschrift Shambhla Sun beschreibt Richard Davidson dies sehr bildhaft und stark vereinfacht: »Die Schnellstraßen, die in unser Hirn gegraben sind, bringen uns schneller an die Stellen, an die man hin will - dies können auch wenig wünschenswerte Stellen sein, wie Ärger, Eifersucht und Depression. Durch Training kann man diese Schnellstraßen im Hirn verlegen. (Anm.: hin zu Freude, Glück und Mitgefühl.) Wenn Sie diesen neuen Straßen folgen, hat das positive Auswirkungen auf unseren Geist, wie eine größere Ausgeglichenheit und eine Kombination von Aufmerksamkeit und Entspannung.«100
Ähnliche Aussagen kommen auch von der Glücksforschung, die ebenfalls herausgefunden hat, dass Glück »erlernbar« ist: Je mehr wir durch praktische Übungen die «Glückspfade« im Gehirn ausbauen, desto zufriedener werden wir. Ganz praktisch gesehen kann dies auch bedeuten, wie einige Studien zeigten, dass Menschen, die üben, sehr oft zu lächeln, weniger zu depressiven Verstimmungen neigen als solche, die ihre Mundwinkel hängen lassen. Wichtig ist dabei aber ein »richtiges« Lächeln, bei dem alle 17
Muskelgruppen im Gesicht aktiv werden - am besten zu erkennen an den Augenwinkeln: Die müssen Fältchen werfen.
Wie lange dauert es nun, bis sich messbare Erfolge bei der Meditation einstellen? Die gute Nachricht: Das geht ganz fix. Das bedeutet nicht, dass Sie dann bereits so perfekt meditieren wie ein buddhistischer Mönch nach jahrzehntelanger Praxis. Aber nach acht Wochen werden Sie bereits einen Erfolg spüren:
Die Neurowissenschaftlerin Sara Lazar erforschte mit einem Team am Massachusetts General Hospital die Auswirkungen eines achtwöchigen Meditationsprogramms. Dazu schoben sie die 16 Teilnehmer jeweils zwei Wochen vor und zwei Wochen nach Beginn des Meditationsprogramms in den funktionellen Kernspin-Tomografen und sahen sich deren Gehirne an. Während des Programms bekamen die Teilnehmer eine wöchentliche Unterweisung in Achtsamkeitsbasierter Meditation, die auf eine »nicht wertende Wahrnehmung« von Gefühlen, Gemütslage und Sinneswahrnehmungen ausgerichtet ist, und Audio-Anleitungen für die Meditation zu Hause. Die Teilnehmer verbrachten im Schnitt 27 Minuten täglich mit den Achtsamkeitsbasierten Übungen. Nach acht Wochen war zu sehen, dass sich die graue Substanz in der Gehirnregion Hippocampus verdichtet hatte, eine Region, die für Lernen und Erinnerung zuständig ist, aber auch für die Selbstwahrnehmung, Mitgefühl und Selbstprüfung eine Rolle spielt. Den Rückgang von Stress, von dem die Teilnehmer berichteten, führten die Wissenschaftler auf die vermehrte Durchblutung und...