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E-Book

Am Ende der Liebe steht die Liebe

Geschichte einer nicht vollzogenen Trennung

AutorBettina Arndt
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783105600566
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Dieser autobiographische Bericht ist ein eindrucksvolles Beispiel zum Thema: Wenn Frauen zu sehr lieben. Wie unter Zwang schlittert Katharina, eine vernünftige, intelligente Frau, in der Diskrepanz zwischen Gefühl und Verstand immer wieder in die gleichen demütigenden Situationen hinein. Nach zwei zermürbenden Jahren - mal Scheidung ja, mal Scheidung nein - beginnt sie das Leben realistischer zu sehen und auf neue Weise zu lieben: illusionsloser, toleranter, reifer. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Bettina Arndt veröffentlichte ?Am Ende der Liebe steht die Liebe? erstmals 1988 im Scherz Verlag.

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Leseprobe

 

 

 

Ich war hundemüde. Morgen wollte ich früh in der Schule sein. Dieter saß mir gegenüber in dem tiefen schwarzen Sessel. Ich ließ meine Beine über den roten baumeln, das entspannte mich. Eigentlich wollte ich ins Bett gehen. Meine Müdigkeit kam nicht nur vom heutigen Tag. Gestern hatten wir draußen in unserem kleinen Bauernhaus mit Freunden einen «Apfelweintag» und außerdem Michaels Geburtstag gefeiert. Er war 28 geworden. Kaum vorstellbar, daß ich so alt sein sollte, einen erwachsenen Sohn zu haben!

Es war ein sonniger Septembertag gewesen. Schon früh am Morgen hatten Dieter und ich drei große Körbe Äpfel aufgesammelt. Die Bäume waren voll von roten knackigen Früchten. Man brauchte nur mit einer langen Stange gegen die Äste zu stoßen, schon prasselte eine ganze Flut von Äpfeln herunter. Später stand ich in der Küche – aufräumen, Essen vorbereiten, obwohl ich nicht genau wußte, wieviel Gäste eigentlich kommen würden, zehn oder zwanzig. War auch egal. Wenn mehr als geplant da sein sollten, würde man auf der Wiese Sauerampfer für eine Suppe pflücken oder aus dem Gewächshaus Tomaten holen, davon hatten wir nun wirklich reichlich.

Dieter hatte inzwischen Stühle auf den Platz vor der Tenne gestellt, und als am späten Vormittag die ersten Gäste erschienen, bekam jeder ein Küchenmesser in die Hand gedrückt, und man konnte beginnen, die inzwischen gewaschenen Äpfel zu vierteln und die faulen Stellen herauszuschneiden.

Dieter preßte die Apfelschnitzel mit einer hölzernen Presse aus. Der Saft kam in große 50-Liter Glasballons. Ich lief zwischen Küche und Garten hin und her, Getränke holen, Gäste begrüßen – all diese kleinen Dinge, die eine Gastgeberin zu tun hat und die nicht auffallen, es sei denn, sie werden nicht getan.

Ich war glücklich. Es war so ein schöner Tag. Alle waren vergnügt und unbeschwert. Selbst Dieter war wieder der alte. Er ließ ein Feuerwerk kleiner Geschichten los, witzig erzählt, mit großer Liebe zum Detail, das war seine Stärke. Er hatte ein gutes Publikum, alles lachte und amüsierte sich köstlich. Dadurch wurde er immer brillanter. Die Stimmung schaukelte sich hoch.

Als ich gerade wieder mit einem Tablett Suppe aus der Küche kam, sah ich, wie Dieter Michaels Exfreundin Susanne einen langen, intensiven Blick zuwarf. Eine solche Intensität, dieses In-die-Augendes-anderen-fallen, das sonst nur etwas zwischen Dieter und mir war, hatte mir immer wieder die Einmaligkeit unserer Beziehung bestätigt. Einen Moment lang war ich irritiert. Was bahnte sich da zwischen den beiden an? Aber sofort kontrollierte ich mich: Sei nicht so kleinlich, wir sind beide mit ihr befreundet. Daran hatte sich auch nichts geändert, seit die Beziehung zwischen Susanne und Michael zerbrochen war. Warum sollte ich ihm nicht einen Blickwechsel mit ihr gönnen? Sie ist jung, sie könnte seine Tochter sein. Trotzdem, es ließ mir keine Ruhe. Wann hatte er mich das letzte Mal so angesehen? Seit einiger Zeit hatte ich das Gefühl, daß Dieter sich von mir entfernt hatte. Aber wenn ich ihn darauf ansprach, schützte er das Büro vor. Und ich sah ja auch, wie kaputt und voller Sorgen er Abend für Abend spät nach Hause kam. Seit Monaten war es ein Kampf um seine Position. Jeden Abend – wenn es ausnahmsweise mal nicht so spät wurde, daß ich bereits ins Bett gegangen war – erzählte er von seiner Arbeit. Jeden Abend erlebte ich einen ausgelaugten, verbitterten Mann. Jeden Abend hörte ich ihm zu. Jeden Abend versuchte ich, ihn zu trösten, ihm Mut zu machen und ihn aufzubauen mit meiner Liebe. Jeden Abend litt ich mit ihm. Und dann gestern dieser Anflug von Eifersucht? Ich hätte mich doch eigentlich freuen sollen, daß er einen so unbeschwerten Tag gehabt hatte.

Ich schob die kleine Episode mit Susanne beiseite, hatte ja genug um die Ohren gehabt, und ließ mich wieder auf die Fröhlichkeit des Tages ein. Das tat mir gut. Es war das erste Mal seit einem Monat – seit mein Vater gestorben war. Die Konfrontation mit dem Tod hatte mir sehr zugesetzt, und zum ersten Mal dachte ich über mein eigenes Ende nach. Ich fing an, die Sommer zu zählen, die mir noch bleiben würden. Ich fühlte mich verlassen, aber ich scheute mich, mit Dieter darüber zu sprechen. Er war so voll mit eigenen Problemen, daß für meine Sorgen und Gedanken kein Platz mehr war, obwohl ich meinte, er hätte meine Ängste spüren und auf mich eingehen müssen …

Dennoch: Der gestrige fröhliche Tag hatte mich endlich neue Lebenslust spüren lassen, und dieses herrliche Gefühl wollte ich unbeschwert genießen. In Gedanken sah ich wieder den großen Glasballon vor mir, der sich langsam mit dem kristallklaren, hellroten Apfelsaft füllte.

«Du, ich muß dir etwas sagen.» Dieter war vom schwarzen Sessel aufgestanden und lief unruhig auf und ab. Er griff nach einem Buch, das neben ihm auf dem Tischchen lag. Es war Ich bin ich von Judith Jannberg. Ich hatte es gerade mit großem Interesse gelesen. Es ist die Geschichte einer Frau, die fast siebzehn Jahre braucht, um sich aus einer unglücklichen Ehe zu lösen. Judith Jannberg beschreibt diesen Prozeß sehr anschaulich. Trotzdem hatte ich beim Lesen manchmal gedacht, das könnte mir nicht passieren. Das würde ich mir nicht gefallen lassen. Außerdem liebten Dieter und ich uns viel zu sehr, auch wenn er in der letzten Zeit mir gegenüber oft gereizt war. Das würde sich wieder geben, wenn er den Kopf frei hatte vom Büro.

«Ich hab mal in das Buch reingeschaut», sagte Dieter. Das war ungewöhnlich. Eigentlich liest er keine Bücher, höchstens Fachliteratur. Er hat auch gar keine Zeit dazu. Abends kommt er spät nach Hause und ist müde, und am Wochenende sind wir auf dem Land. Dann arbeitet er im Garten oder er schläft.

«Wenn man das so liest», fuhr Dieter fort, «sieht man erst, wie gut du es hast. Na ja, diese Frau ist jedenfalls wie du der Meinung, man solle über gemeinsame Probleme miteinander reden …»

Irgend etwas in mir signalisierte Gefahr. Da war was nicht in Ordnung. Denn Dieter und ich, wir konnten zwar über Gott und die Welt miteinander reden, das wurde auch nie langweilig, aber wir konnten nicht über persönliche Probleme sprechen. Dieter störte das eigentlich nicht. Ich aber litt darunter. In den letzten Monaten hatte ich einige Male versucht, mit ihm darüber zu reden, warum er nicht mehr mit mir schläft. Aber er hatte sich auf kein Gespräch eingelassen. Er meinte nur, er sei durch den Dauerstreß im Büro impotent geworden und ich solle ihn in Ruhe lassen. Das kränkte mich. Denn ich wollte ihm helfen. Und Liebe hat viele Schattierungen. Bei Impotenz kann man doch wenigstens zärtlich sein. Ich fand Sex zwar immer schön, wenn ich Lust darauf hatte, aber Zärtlichkeit war für mich genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger. Warum sollten wir uns nicht wenigstens streicheln, uns im Arm halten? Unsere Körper waren uns doch so vertraut. Aber er blieb einsilbig, und es endete jedesmal damit, daß ich einen Monolog hielt.

Und jetzt war es also Dieter, der persönliche Probleme ansprach. Ich war auf der Hut – und ich bekam Angst.

«Also, ich möchte dir etwas sagen. Es gibt etwas, das mein Leben sehr verändert hat. Ich habe eine Frau getroffen. Es ist jetzt aus, aber seither weiß ich, daß sich was ändern muß. Künftig werde ich tun, was ich für richtig halte. Ich muß allein entscheiden, wie ich weiter leben will.»

Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Eine Woge der verschiedensten Gefühle überflutete mich. Und viele kleine Bilder standen plötzlich blitzartig vor meinen Augen, lauter flimmernde Warnsignale, die ich in der Vergangenheit nie hatte wahrnehmen wollen …

Ich war wie gelähmt, so, als ob ich neben mir stehen und Dieter und mich selbst beobachten würde. Was dann passierte, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Mein Zeitgefühl, sonst äußerst präzise, war nicht mehr vorhanden. Ich weiß nur noch, daß ich ihn ausfragte: «Wer ist sie, kenne ich sie, wie hast du sie kennengelernt?»

Sie sei aus dem Büro. Buchhalterin. Barbara Escher. Sagte mir natürlich nichts, obgleich mir so war, als ob Dieter den Namen schon ein paarmal erwähnt hatte.

Trotz allem hinterließ dieser Abend bei mir ein positives Gefühl: Er hat mit mir geredet. Es ist zwar nicht das erste Mal, daß er dich betrogen hat, aber es ist das erste Mal, daß er es dir von selbst gesagt hat! Probleme sind da, um gelöst zu werden, gemeinsam. Wenn man miteinander reden kann, müßte jedes Problem zu bewältigen sein.

Ich versuchte, Angst und Schmerz, die in mir hochkrochen, mit einer beinah hysterischen Euphorie zu übertönen: Es ist aus zwischen den beiden, und Dieter hat es dir selbst gesagt! Es wird ein Neubeginn sein. Wir werden in Zukunft miteinander reden können.

Irgendwann taumelte ich ins Bett. Dann weinte ich los. Ich konnte mich kaum beruhigen. Ich hörte, wie die Schlafzimmertür geöffnet wurde, Dieter hereinkam und sich auf die Bettkante setzte. Er streichelte meinen Kopf. Diese körperliche Berührung war genau das, was ich jetzt brauchte. «Komm doch zu mir», bat ich ihn. Seit Monaten ging er viel später ins Bett als ich. Meistens schlief er im schwarzen Sessel ein und kam erst um zwei oder drei Uhr nachts ins Schlafzimmer. Doch es war der falsche Moment für eine solche Bitte. Ich merkte es im gleichen Augenblick, als ich sie aussprach. Dieter verkrampfte sich, und dann legte er sich angezogen neben mich. Und ich – ich wollte seine Haut spüren, seine Nähe, die Gewißheit haben, daß von nun an alles besser werden würde! Ich weinte und weinte. Irgendwann ging er dann leise raus, und ich muß eingeschlafen sein. In...

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