Europa in der Zeit der ersten Ritter
Mit derzeit 2,3 Milliarden Anhängern auf der ganzen Welt ist das Christentum die am weitesteten verbreitete Glaubensrichtung der Gegenwart. Einstmals, vor annähernd 2 000 Jahren, formte sich aus den Botschaften Jesus’ von Nazaret ein neuer Glaube, der in den darauffolgenden Jahrhunderten zur Staats- und Weltreligion aufsteigen sollte. Das Christentum sah sich dabei immer wieder neuen Herausforderungen gegenüber. Zu großen Kirchentagen; den sogenannten Konzilen, versammelten sich bereits in der Antike hohe geistliche Würdenträger, die weitreichende Entscheidungen bezüglich der Auslegung der christlichen Lehre trafen.
Vor annähernd 1 300 Jahren war unsere Welt noch eine andere. Sie mochte aus heutiger Sicht wohl klein und überschaubar gewesen sein, auf jeden Fall aber war sie auf eine andere Weise kompliziert, weniger ineinander verschmolzen, über Kontinente hinweg kaum abhängig voneinander und darum auch einfacher und irgendwie verständlicher aufgebaut. Es gab weder Fernsehen noch ein Telefon und freilich auch kein elektrisches Licht. Die Welt war kalt. Vor allem finster. Nur in begrenztem Maße konnte man sich eine Zeit lang sicher fühlen. Kaum jemand lebte wirklich in Freiheit und genoss eine Freizügigkeit, wie wir es heute tun. Das Faustrecht des Stärkeren galt überall. Hoffnung und Zuversicht wurden den Menschen zwar zuteil, aber noch mehr als in ihre eigenen Fähigkeiten vertrauten sie auf eine höhere Macht, die über sie selbst und zugleich über die Geschicke der ganzen Welt bestimmte. Diese Macht war der religiöse Glauben, und er fesselte so gut wie Jeden an sich, war er doch ein fester Bestandteil des damaligen Lebens in Europa.
Religionen hat es in dieser Zeit der Menschheitsgeschichte ziemlich viele gegeben, doch in der Schule lernen wir nur die Populärsten kennen. Fünf sind es an der Zahl. Der Buddhismus in Asien und der Hinduismus in Indien sind dabei die wohl eher weniger erwähnten. Etwas bekannter sind dann schon der Islam sowie das Judentum, und erst recht sollte uns natürlich das Christentum ein Begriff sein; jener Glaube, der sich auf die historische Person von Jesus Christus und die Bibel stützt und in unserem Kulturkreis seinen Ursprung hat. Das Christentum war in den letzten Jahrzehnten des Römischen Reiches kaum jemandem richtig bekannt. In dieser frühen historischen, kampfreichen Phase verehrten die Stämme und Völker des Kontinentes vornehmlich Götter mit heidnischen Namen. Die Lehre Jesus Christus’ war noch nicht sehr weit verbreitet. Der sich dann viele Jahre hinziehende Zusammenbruch Roms, die Völkerwanderung der Germanen – all diese umwälzenden Ereignisse, die in ihren Auswirkungen noch Jahrzehnte später die Menschen beschäftigten, hatte das Christentum erst noch zu überstehen, bevor es, allmählich von Mund zu Mund weitergetragen, im abendländischen Kulturkreis an Bedeutung gewann. Ab dem vierten und fünften Jahrhundert etablierten sich die großen und einflussreichen Glaubensgemeinschaften unter anderem im gesamten Mittelmeerraum, im Nahen Osten, im heutigen Italien und natürlich im Gebiet des damaligen Fränkischen Reiches. Das Christentum wandelte sich von einer winzigen Glaubensgemeinschaft zu einer landübergreifenden Religion.
Im siebenten Jahrhundert allerdings wurde diese Weltanschauung und damit das westliche Europa erstmals wiederseit demAnsturm asiatischer Plünderer zu Pferde ernsthaft bedroht. Diese wüsten Horden kennen wir als die Hunnen, die um 375 nach Osteuropa einfielen und den Kontinent über ein Jahrhundert lang förmlich terrorisierten. Die hunnische Bedrohung ging zwar vorüber, doch das Christentum war damit nicht für immer außer Gefahr. Einmal mehr bedrohte ein Angriff von Außen die christliche Kultur, und das geschah im besagtem siebenten Jahrhundert, als die Araber sich vereinten und ihre Pferde sattelten.
Noch Jahrzehnte zuvor hatte dieses Volk in der Wüste Saudi-Arabiens, das sich aus unterschiedlichen beduinischen Stämmen zusammensetzte, ziemlich unbehelligt und abseits von allem Geschehen im Orient vom Karawanenhandel und der Landwirtschaft gelebt. Die Stämme waren untereinander isoliert. Jede Gruppe kämpfte ausschließlich für sich und die eigenen Interessen. Dies änderte sich erst ab dem Moment, als Mohammed, ein Schafshirte aus Mekka, die Lehre Allahs verkündete. Durch religiöse Betörung, aber auch durch Anwendung von Gewalt, gelang es ihm und weiteren arabischen Führern, alle Stämme der Halbinsel zu vereinen und sie von nun an für eine gemeinsame Sache zu begeistern. Der dann im siebenten Jahrhundert folgende, jähe Kriegszug der Araber beruhte teils auf religiösen Motiven, die in entsprechenden Schriften des nun zum Propheten erkorenen Mohammed beschworen wurden. Vordergründig waren allerdings weltliche Interessen dafür ausschlaggebend, dass die Araber bewaffnet ihren Glaubenskrieg begannen.
Noch vor dem Tode Mohammeds begannen seine Anhänger in der zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts mit der Verbreitung ihrer Religion über alle Landesgrenzen, und zwar, wie es immer so schön heißt, „mit Feuer und Schwert“. In alle Himmelsrichtungen führte ihr Weg. Von ihren heiligsten Stätten Mekka und Medina aus stießen die bewaffneten Reiterheere über die Grenzen der arabischen Halbinsel bald in die Reiche ihrer mächtigen Nachbarn vor. Neben dem persischen Großreich, wo sie beträchtliche Eroberungen erzielten, hatten es die Araber vor allem auf die im Norden gelegenen oströmischen Provinzen in Syrien und Palästina abgesehen. Im Jahre 636 bezwangen sie in der Schlacht von Jarmuk erstmals ein zahlenmäßig überlegenes byzantinisches Heer, bevor um 638 Jerusalem eingeschlossen und von den Arabern zur Kapitulation gezwungen wurde. Nach mehreren blutigen wie auch erfolglosen Gefechten blieben zwar Teile Kleinasiens in oströmischer Hand. Das hinderte die Araber aber nicht daran, weiterhin Krieg im Morgenland zu führen, und wenn es sein musste auch über dessen Grenzen hinaus. So zogen sie schon bald nach Osten weiter und rückten in den Folgejahren über Ägypten bis nach Marokko vor. Anfang des achten Jahrhunderts herrschten die Mohammedaner schließlich über ganz Nordafrika.
Aus dem Kernland des heutigen Saudi-Arabiens kommend, ziehen im Jahre 632 die Anhänger Mohammeds nach Eurasien aus. Damit beginnt die Ära der Islamischen Expansion.
Die Westgoten, die samt ihrem König Roderich in der Schlacht von Rio Guadelate quasi aus der Geschichte Europas vertrieben worden sind, gehörten einst dem großen germanischen Volk der Goten an, die wiederum vor Beginn der Völkerwanderung weite Teile Osteuropas beherrschten. Der Ansturm der Hunnen hatte sie dann entzweit: Die Ostgoten flüchteten nach Italien, und die Westgoten auf die iberische Halbinsel, wo sie bis zu ihrer hier geschilderten, gesamtgesellschaftlichen Niederlage um 711 lebten. Mehr denn je wurde die einst ferne Bedrohung für Europa nun zur greifbaren Gefahr. Denn die Araber kannten überhaupt kein Halten. Ihr Glaube konnte zwar keine Berge versetzen, aber ganze Heerscharen an bewaffneten und zu allem entschlossenen Kriegern bewegen. Mit einem Heer, das sich zum großen Teil aus nordafrikanischen Stammeskriegern der Berber rekrutierte, setzte der Berberführer Tariq ibn Ziyad im Jahre 711 bei Gibraltar nach Hispanien über. Die Araber betraten den Boden Europas. Schnell verbreitete sich die Kunde im ganzen Land, das unter der Herrschaft des westgotischen Königs Roderich stand. Als dieser stämmige Germanenfürst vom Ansturm der muslimischen Reiterschar hörte, war er fest entschlossen, sein Reich vor den durch ihren Glaubenskrieg radikalisierten Predigern Allahs um jeden Preis zu verteidigen. Roderich zog gegen jene Fremden in die Schlacht, die mit einem Turban auf dem Kopf und in lange, teils gepanzerte Gewänder gekleidet waren, und mit Säbeln sowie Pfeil und Bogen ihre Gegner attackierten.
Kurz nach ihrer Landung kam es im Juli am Rio Guadalete zur Entscheidungsschlacht zwischen den vorrückenden Muslimen und den einheimischen Westgoten. Und diese Schlacht für das westgotische Reich endete verheerend. König Roderich hatte die Eindringlinge maßlos unterschätzt. Sein Aufgebot an Fußsoldaten war gegen die schnellen Reiterschar völlig überfordert. Im Nu wurden seine Reihen aufgerieben. Das Heer unterlag völlig, Roderich fiel, und mit ihm bald das ganze Königreich, welches die Araber in den darauffolgenden Jahren Stadt um Stadt eroberten. Sie setzten sich allmählich auf der iberischen Halbinsel fest, und sollten dort auch für eine lange Zeit bleiben.
Natürlich gaben sich die Wüstensöhne mit den erreichten Erfolgen noch lange nicht zufrieden. Denn weiter nördlich von ihren ersten Eroberungen in Hispanien gelegen, erstreckte sich die wahre Macht des Abendlandes: das Fränkische Königreich als wahre Kathedrale des christlichen Glaubens und Hüter der alten römischen Geschichte. Es stellte eine unumgehbare Größe an der Ostküste des hiesigen Kontinentes dar, und genau dahin zog es nun die Araber auch weit mehr...