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Die Buteyko-Methode
Die Buteyko-Methode wurde in den 1950er-Jahren in der damaligen Sowjetunion von dem Arzt Konstantin Buteyko entwickelt. Seine Methode wurde von Hunderttausenden Menschen praktiziert, um Probleme und Krankheiten wie Asthma, Schnarchen, Schlafapnoe, Schlaflosigkeit, hohen Blutdruck, Ängste, Stress, Panikattacken und Depressionen zu behandeln.
Als junger Arzt verbrachte Buteyko viele Monate an den Krankenbetten seiner Patienten und beobachtete ihren Gesundheitszustand. Er stellte fest, dass jeder von ihnen begann, schwerer zu atmen, sobald sich sein gesundheitlicher Zustand verschlechterte. Mit Fortschreiten der Krankheiten verstärkten sich die Atembewegungen von Brust und Bauch; der Atem wurde deutlicher hörbar, beschleunigte sich, sie seufzten häufiger und atmeten durch den Mund. Mit der Zeit lernte er, den Beginn des Sterbeprozesses allein anhand der Beobachtung ihres Atems vorherzusagen.
Das warf für Buteyko eine fundamentale Frage auf: War es die Krankheit, die zu der schweren Atmung beitrug, oder wirkte sich die schwere Atmung auf den Gesundheitszustand aus?
Zu diesem Zeitpunkt litt Buteyko unter sehr hohem Blutdruck, und seine Werte verschlechterten sich zusehends. Er begann, mit seiner Atmung zu experimentieren, indem er ruhiger und reduzierter atmete. Binnen Kurzem verschwanden die Schmerzen, die ihn über Monate geplagt hatten.
In den darauffolgenden Jahrzehnten forschte Buteyko sehr intensiv zu diesem Thema und unterhielt ein eigenes Labor, um seine Erkenntnisse voranzubringen. 1990 wurde seine Methode auch im Westen aufgegriffen und wird heute in vielen Ländern gelehrt.
Die Atmung, diese Grundbedingung für das Leben, muss bestimmte Bedingungen erfüllen: Bereits kurz andauerndes heftiges Überatmen kann sehr gesundheitsgefährdend sein. Daher ist es nahe liegend, dass zwar weniger ausgeprägtes, aber dennoch übermäßiges Atmen über einen langen Zeitraum ebenfalls negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat.
Das gesunde Atemzugvolumen
Bei normaler Atmung machen wir pro Minute zehn bis zwölf Atemzüge. Jeder Atemzug hat ein ungefähres Volumen von einem halben Liter. Das entspricht einem gesunden Atemzugvolumen von fünf bis sechs Litern Luft pro Minute – so wird es in jedem medizinischen Lehrbuch beschrieben. Die normale, gesunde Atmung ist ruhig, leise, entspannt, regelmäßig und von wenig Bewegung begleitet.
Menschen, die an Ängsten und Depressionen leiden, weisen ein Atemzugvolumen auf, das diesen gesunden Umfang übersteigt. Zum Beispiel nimmt eine durchschnittlich große Person mit Angstzuständen 15 bis 20 Atemzüge pro Minute und mit jedem Atemzug mehr als den normalen halben Liter Luft auf. Zudem ist ihre Atmung häufig von Seufzern unterbrochen. Wenn wir davon ausgehen, dass jeder Atemzug ein Volumen von 700 Millilitern hat, hat die Person ein durchschnittliches Atemzugvolumen zehn bis 15 Litern Luft pro Minute. Übertragen auf die Ernährung entspräche das sechs bis neun Mahlzeiten am Tag!
Chronische Überatmung
Chronisches Überatmen oder Hyperventilation bedeutet, dass wir gewohnheitsmäßig mehr Luft aufnehmen, als unser Körper benötigt. Das ist in vielerlei Hinsicht ähnlich wie bei Menschen, die sich angewöhnen, übermäßig zu essen.
Wenn wir über einen Zeitabschnitt von 24 Stunden mehr atmen, als unser Körper braucht, etabliert sich diese Gewohnheit. Dr. Stephen Demeter bestätigt das mit seiner Aussage: »Länger andauernde Hyperventilation (für mehr als 24 Stunden) scheint das Gehirn zu sensibilisieren und zum Fortdauern der Hyperventilation zu führen.«1
Durch welche Faktoren erhöht sich das Atemzugvolumen?
Die Verstärkung der Atmung ist eine Folge unseres modernen Lebens. Eine ganze Reihe von Faktoren tragen zur Überatmung bei, darunter starke Emotionen, Zeitnot, Druck, Ärger, Stress, Ängste, übermäßiges Essen, industriell verarbeitete Lebensmittel, der Irrglaube, dass es gut sei, tiefe Atemzüge zu nehmen, Bewegungsmangel, vermehrtes Sprechen und hohe Temperaturen in Wohnräumen.
Anzeichen für gewohnheitsmäßige Überatmung
Vielleicht gehen Sie davon aus, dass Sie nicht hyperventilieren. Bei den meisten Menschen tritt Überatmung jedoch sehr subtil auf. Sie läuft im Hintergrund ab, sodass sie oft unbemerkt bleibt. Zu den typischen Merkmalen, mit denen Patienten in meine Praxen kommen, gehören:
- Mundatmung
- Hörbares Atmen in Ruhephasen
- Regelmäßiges Seufzen
- Kurzes, schnelles Schnaufen durch die Nase
- Unregelmäßiger Atem
- Atemunterbrechungen (Apnoen)
- Tiefes Einatmen vor dem Sprechen
- Tiefes Gähnen
- Bewegungen der oberen Brustregion beim Atmen
- Schulterbewegungen beim Atmen
- Sonstige auffällige Atembewegungen
- Anstrengung beim Atmen
- Schweres Atmen bei Nacht
Wie viele dieser Merkmale treffen auf Sie zu? Seufzen Sie häufig? Atmen Sie durch den Mund? Wachen Sie morgens mit trockenem Mund auf? Beschleunigt sich Ihr Atmen oder wird er unregelmäßig, wenn Sie gestresst sind?
Später in diesem Buch erkläre ich Ihnen, wie Sie die Qualität Ihrer Atmung mit einem einfachen Atemanhaltetest, den Dr. Buteyko entwickelt hat, selbst überprüfen können; dazu messen wir die sogenannte Kontrollpause (KP), also die Atemanhaltezeit.
Wie wichtig eine effiziente Atmung ist, wird deutlich, wenn Sie sich klarmachen, dass die Sauerstoffmenge, mit der Gewebe und Organe versorgt werden, abnimmt, wenn wir zu viel Luft über unsere Lungen aufnehmen.
Überatmung hat einen nachteiligen Effekt auf zwei Gase, die grundlegend für die Sauerstoffversorgung unseres Körpers sind: Stickstoffmonoxid und Kohlendioxid. 1991 wurde Stickstoffmonoxid (NO) in der Ausatemluft nachgewiesen und daraufhin einsetzende intensive Forschungsanstrengungen brachten zutage, dass die Produktion des Gases sowohl in den Blutgefäßen als auch in den Nasennebenhöhlen stattfindet. Wenn wir durch die Nase einatmen, werden große Mengen an NO innerhalb der nasalen Atemwege freigesetzt. Das NO folgt dem Luftstrom zu den Lungen und hilft dort, die Blutgefäße zu weiten. Auf diese Weise steigert es die Sauerstoffaufnahme ins Blut. Wenn wir langsam und sanft durch die Nase einatmen, ermöglichen wir unserem Körper, die positiven Effekte des Stickstoffmonoxids aus der Nase zu nutzen, während dieses außergewöhnliche Gas bei der Mundatmung nicht zu den Lungen transportiert und damit nutzlos wird.
Kohlendioxid (CO2) ist eine weitere lebenswichtige Komponente einer gesunden Atmung und der Sauerstoffversorgung des Körpers. CO2 ist ein Stoffwechselprodukt: Es wird bei der Umwandlung von Nahrung und Sauerstoff in Energie gebildet und zu den Lungen transportiert, über die der Überschuss dann wieder ausgeatmet wird. Es ist allerdings ausgesprochen wichtig, dass der Körper einen bestimmten Anteil des Kohlendioxids zurückbehält. Wenn wir zu heftig atmen, befördern wir zu viel Kohlendioxid aus unserem Körper; das führt zu einem Ungleichgewicht der Blutgase. Kohlendioxid ist mehr als ein Abfallprodukt – es ist unentbehrlich, um die ordnungsgemäße Sauerstoffversorgung des Körpers zu gewährleisten.
Kohlendioxid
Kohlendioxid beziehungsweise CO2 ist ein Gas, das als ein Endprodukt unserer Stoffwechselprozesse entsteht. Die menschlichen Lungen brauchen fünf Prozent CO2 beziehungsweise einen CO2-Partialdruck von 40 mmHg. Wenn wir mehr atmen als nötig, dann wird zu viel CO2 ausgeatmet. Ein übermäßiger Verlust von CO2 aus den Lungen führt zu einem niedrigeren CO2-Anteil im Blut, im Gewebe und in den Zellen.
Die Freigabe von Sauerstoff aus den roten Blutkörperchen hängt vom sogenannten Kohlendioxid-Partialdruck ab, also dem Kohlendioxidanteil in den Lungen beziehungsweise im arteriellen Blut. Bei Überatmung wird zu viel Kohlendioxid aus dem Körper transportiert. Dieser Mangel an Kohlendioxid führt dazu, dass der Sauerstoff am Hämoglobin (das ist der Blutfarbstoff in den roten Blutkörperchen) »kleben bleibt«. Er kann nicht mehr ausreichend an die Gewebe und Organe abgegeben werden. Dieser Zusammenhang wurde 1904 entdeckt. Er ist als Bohr-Effekt bekannt.
Der Schlüssel zu einem verbesserten Sauerstofftransport innerhalb des Körpers ist, leicht oder sogar über kurze Zeitspannen hinweg etwas »zu wenig« zu atmen. Wenn wir etwas weniger als gewohnt atmen, dann sammelt sich in der einströmenden Luft eine höhere Konzentration von Stickstoffmonoxid aus der Nase, und der Kohlendioxidanteil im Blut steigt. Das wiederum öffnet die Atemwege und die Blutgefäße und steigert den Sauerstoffeintrag.
Möglicherweise sind Sie bestürzt, wenn Sie feststellen, dass die Ursache Ihres Stresses, Ihrer Ängste, Panikattacken und Depressionen sehr wahrscheinlich übermäßiges Atmen ist. Wie oft haben uns wohlmeinenden Yogalehrer,...