2. Was ist Angst – Definition und Beispiele
Der erste Abschnitt definiert den Begriff Angst auf sachlicher Ebene. Die folgenden Fallbeispiele sollen einen persönlicheren Einblick in das Thema Angst geben und einige Beispiele für Ängste aufzeigen. Vielleicht findet sich der eine oder andere Leser bereits an dieser Stelle im Text wieder.
Definition des Begriffes Angst
Die Angst kann als ein Zustand definiert werden, welcher unlustbetont, unangenehm und emotional ist. Emotionalität wird durch Gefühle ausgedrückt. Diese und die gesamte Situation, in der die Angst empfunden wird, sind für den Betreffenden unangenehm. An Stelle von Lust und Wohlbefinden tritt ein eher gegenteiliges Gefühl.
Der österreichische Arzt und Tiefenpsychologe, Sigmund Freud (06.05.1856 – 23.09.1939), prägte und unterschied die Begriffe der Angst und der Furcht. Dabei definierte er Angst als einen Zustand, der im Inneren des Menschen entsteht. Dagegen beschrieb er die Furcht als einen durch die Außenwelt ausgelösten Zustand. Heute wird die Definition der beiden Begriffe, Angst und Furcht, in dieser klaren Unterscheidung jedoch nicht mehr verwendet. Beide Begriffe werden im allgemeinen Sprachgebrauch eher parallel genutzt. Tatsächlich bezeichnet die Furcht das konkrete Gefühl, bedroht zu werden, welches in der Regel auch angebracht und rational zu begründen ist. Aus diesem Grund wird die Furcht mitunter auch als Realangst bezeichnet.
Die folgenden Kapitel dieses Buchs beschäftigen sich thematisch weniger mit der Furcht, da diese zwar situationsbedingt ebenso unangenehm ist wie die Angst, jedoch durch konkrete Gefahren oder beunruhigende Gegebenheiten ausgelöst wird. Das Empfinden von Furcht kann daher als Sicherung der körperlichen Unversehrtheit und des eigenen Lebens angesehen werden und ist somit ein notwendiger und angebrachter Bestandteil unseres Lebens. Hinzu kommt, dass die Furcht auch ohne Zutun unsererseits ein „endlicher“ Zustand ist. Haben wir die Bedrohung oder Gefahr überstanden, so lässt die Furcht auch meist schnell wieder nach. Wie wir in den folgenden Kapiteln noch sehen werden, können Angstgefühle dagegen sich regelrecht festfressen und das Leben beziehungsweise die Lebensqualität massiv beeinflussen.
Wenn die Angst vor der Angst steigt
Die Sonne schien und es war einer der ersten heißen Tage in diesem Jahr. Jetzt eine kühle Erfrischung- das wäre toll! Sebastian bekam bereits eine SMS seiner Freunde, die geschrieben hatten, dass sie den Feierabend am See verbringen würden. Klingt verlockend, dachte Sebastian, aber am See?! Allein bei dem Gedanken daran kam Panik in ihm auf. Schließlich lauerten im Wasser viele Gefahren. Gerade weil das Wasser nicht so klar wie im Schwimmbad war, konnten schnell Steine übersehen werden. Und wer weiß, wenn er im Wasser wäre, welche Tiere um ihn herum schwimmen würden. Und was ist, wenn vorbeifahrende Segelboote für eine überraschende Strömung sorgen? Sebastian war auf der Hut. So gerne er auch ins Wasser gehen würde, um eine Abkühlung zu erhalten, das kam nicht infrage! Da war das Freibad schon eine bessere Variante. Dort konnte er auf den Grund sehen, und sah genau wohin er schwamm. Dabei hatte er alles im Blick und konnte genau kontrollieren was passierte, denn er sah, was um ihn herum war. Das Problem am Freibad aber war, dass man immer wieder in den Medien von Badeunfällen hörte. Deshalb blieb er sowieso immer im flachen Wasser. Und welcher seiner erwachsenen Freunde wollte schon mit ihm im Nichtschwimmerbecken planschen?
Sina erging es an diesem Tag ähnlich. Sie saß am anderen Ende der Stadt, und spürte die erste echte Hitzewelle in diesem Jahr. Aber ins Freibad gehen? Das kam auch für sie nicht infrage. Denn im Wasser schien die Sonne direkt auf sie drauf. Das könnte für schmerzhafte Verbrennung sorgen, sogar bis zum Hautkrebs. Und jeder wusste doch, dass Hautkrebs tödlich enden konnte! Sie war schon froh, überhaupt von der Arbeit nach Hause gekommen zu sein. Denn als ein Auto auf ihre Spur ziehen wollte, und sie dabei übersah, dauert es eine ganze Weile, bis sich ihr Herzschlag wieder beruhigt hatte.
Der Entschluss stand fest: sie würde zu Hause bleiben. Die Eiswürfel aus dem Eisfach mussten als Erfrischung reichen. Außerdem konnte sie nicht riskieren erst im Dunkeln heim zu kommen. Allein der Weg vom Auto zur Haustür würde sie in Panik versetzen. Dann begann sie immer zu schwitzen, sie bekam einen flachen Atem und zitterte am ganzen Leib. Es war immer dasselbe: sobald sie auf dem Sofa war, fühlte sie sich, als hätte sie eine Stunde Sport hinter sich.
Sie wusste nie, wann es wieder losgehen würde. Das hatte sie die Erfahrung der letzten Wochen gelehrt. Und das war fast noch schlimmer als die Panikattacken selbst: die Angst vor der Angst. Solche Momente hasste sie. Sie kam sich vor wie ein großer Angsthase. Und genau deshalb hatte sie auch noch keinem ihrer Freunde von der zunehmenden Angst erzählt.
Die Angst schnürte ihr manchmal richtig die Luft ab. Gerne würde sie mit jemanden darüber reden. Doch die Angst vor Ablehnung und ausgelacht zu werden war größer als der Wunsch nach Hilfe. Und so spürte sie, wie die Angst immer mehr Beschlag von ihren nahm, und wie ihr Leben immer weiter eingeschränkt wurde.
So wie den beiden Personen im Fallbeispiel geht es unglaublich vielen Menschen. Dabei hat jeder Mensch Angst. Angst an sich erfüllt seit Millionen von Jahren eine wichtige Funktion, die dem Menschen dabei helfen soll, sich selbst vor Gefahren zu schützen. In Zeiten, in denen der Mensch noch Jäger und Sammler war, hieß die Angst, dass eine Gefahr drohte. Ob wilde Tiere, vor denen man fliehen sollte, oder eine Bedrohung, in der es galt zu kämpfen – die Angst machte den Menschen auf diese Gefahr aufmerksam. Sobald ein Mensch Angst verspürte, mobilisierte ihn die Angst und gab ihm die Kraft, die er brauchte, um sich zu verteidigen und zur Wehr zu setzen beziehungsweise zu kämpfen oder zu fliehen, um so der Bedrohung zu entkommen.
Auch heute noch ist die Angst ein Zeichen dafür, dass Gefahr lauert. Nur dass es sich dabei in der Regel nicht um die Bedrohung durch wilde Tiere handelt. In unserer
Gesellschaft gibt es viele Ausdrücke, um zu sagen, dass man Angst hat bzw. wie groß die Angst ist, die man spürt. Einige dieser Ausdrücke sind: ich habe mich zu Tode gefürchtet, ich bin vor Schreck wie erstarrt, er zitterte vor Angst, mein Herz raste vor Schreck.
Diese Ausdrücke zeigen Reaktionen, die Angst mit sich bringt. Denn obwohl wir Menschen heute in einer anderen Lebenssituation als die Jäger und Sammler sind, ist die Angst als Urinstinkt und als Reaktionsmuster geblieben. Sie hilft uns, Gefahren und Bedrohungen zu erkennen und zu bewältigen.
In der Regel läuft die Angst immer nach demselben Muster ab. Wir spüren die Bedrohung, und in uns wird der Instinkt geweckt entweder zu fliehen oder uns zu verteidigen, um so der Gefahr zu entkommen. Viele Geschichten erzählen die außergewöhnlichen Momente von Menschen, die durch Angst so starke Kräfte mobilisieren konnten, dass sie Unmögliches geschafft haben. So gibt es Berichte über Mütter, deren Kinder beispielsweise von einem Auto überfahren wurden, die aus Angst um ihr Kind für einen Moment die Kraft hatten, das Auto hoch zu heben, um das Kind aus der Gefahr zu befreien. Im ersten Moment klingen solche Situationen unvorstellbar, weil wir in der Regel nicht die Kraft haben, ein Auto mit bloßen Händen hoch zu heben. Doch wer schon einmal in einer außergewöhnlichen Gefahren- oder Angstsituation war, der weiß, dass in solchen Momenten die logischen Kräfte außer Kraft gesetzt werden. Somit ist die Angst ein natürlicher Schutzmechanismus unseres Körpers, um uns vor Gefahren und anderen Bedrohungen zu bewahren.
Schwierig, und vor allem krankhaft wird es allerdings dann, wenn die Angst vom Urinstinkt und Reaktionsmuster zu einem unkontrollierbaren Faktor wird, der das alltägliche Leben unglaublich einschränkt. Plötzlich wird aus dem Schutzmechanismus selbst die größte Bedrohung.
Krankhafte Angst entsteht dann, wenn ein Mensch potentielle Gefahrensituationen falsch einschätzt und bewertet. Der Betroffene denkt in dem Moment, dass Gefahr bevorsteht, und er sich in einer Bedrohung befindet. Dieser möchte er nur zu gerne entkommen. An dieser Stelle greift, wie seit Millionen von Jahren, der Urinstinkt zu fliehen oder zu kämpfen, und der Körper mobilisiert alles an Adrenalin, was möglich ist, um für die Flucht oder den Kampf vorbereitet zu sein. Aber gerade wenn es um krankhafte Angst geht, sind all das meist Situationen, die sich im Nachhinein als ungefährlich herausstellen. Dennoch befinden sich der Körper und auch die Seele in solch einem Moment subjektiv gesehen in einer Gefahr, so dass Adrenalin und...