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Anne wird Tom - Klaus wird Lara

Transidentität / Transsexualität verstehen

AutorUdo Rauchfleisch
VerlagPatmos Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783843604284
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Nichts scheint so sicher wie der Unterschied zwischen den Geschlechtern. Die Verunsicherung ist daher groß, wenn man eine Frau trifft, die von sich sagt, sie sei ein Mann. Oder wenn der langjährige Kollege Müller ab sofort als 'Frau Müller' angesprochen werden will. Und was tun, wenn der eigene Sohn sich plötzlich schminkt und Frauenkleidung trägt? Wie erklärt man seinen Kindern, dass Mama jetzt plötzlich Papa ist? Der Psychotherapeut Udo Rauchfleisch hilft Angehörigen, Freundinnen und Freunden, Kollegen und Vorgesetzten von transsexuellen Menschen, das Phänomen Transsexualität zu verstehen und ohne Berührungsängste mit transsexuellen Menschen umzugehen.

Udo Rauchfleisch, Professor für Klinische Psychologie, ist Psychoanalytiker und Psychotherapeut in eigener Praxis in Basel. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen die Themen sexuelle Identität und sexuelle Orientierung sowie psychosoziale Arbeit in Beratung, Therapie und Seelsorge.

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Leseprobe

Einleitung: Warum ein Ratgeber für Angehörige, Freunde und Mitarbeitende von transsexuellen/transidenten Menschen?


Da es beim Thema Transsexualität/Transidentität viel begriffliche Verwirrung gibt und Sie möglicherweise bereits beim Untertitel dieses Ratgebers über das Wort »Transidentität« gestolpert sind, möchte ich am Anfang dieses Kapitels zunächst die Begriffe klären, die ich im Folgenden verwenden werde. Ich hoffe, dass Ihnen als Leserinnen und Leser, die noch nicht so vertraut mit dem Thema sind, dies bei der Lektüre dieses Ratgebers helfen wird.

Im Allgemeinen hören Sie die Begriffe »Transsexualität« bzw. »Transsexualismus«. Dies sind die üblichen Begriffe in der öffentlichen Diskussion, aber auch im wissenschaftlichen Bereich. Deshalb wurde mir vom Verlag nahegelegt, auch die Bezeichnung »Transsexualität« im Untertitel aufzuführen. Andernfalls könnte es passieren, dass Menschen, die sich über das Thema informieren wollen, das Buch mittels der Suchmaschinen im Internet nicht finden. Die Bezeichnung »Transsexualität« trifft jedoch nicht das Wesen dieser Menschen, da es bei ihnen nicht um die sexuelle Ausrichtung oder die Art, wie sie ihre Sexualität leben, geht, sondern um ihre Identität. Aus diesem Grund wird in neuerer Zeit, auch unter Fachleuten, eher der Begriff »Transidentität« verwendet, den auch ich bevorzuge und im vorliegenden Ratgeber verwenden werde.

Bei der Beschreibung sogenannter »transidenter« Menschen wird in psychologischen und psychiatrischen Berichten häufig von »Frau-zu-Mann«- bzw. »Mann-zu-Frau«-Transidenten gesprochen. Durch »Mann-zu-Frau« soll ausgedrückt werden, dass ein biologischer Mann sich als Frau wahrnimmt und die Angleichung an den weiblichen Körper wünscht. »Frau-zu-Mann« dient der Beschreibung dessen, dass eine biologische Frau sich als Mann empfindet und die Angleichung an den männlichen Körper sucht. Im Grunde widersprechen diese Bezeichnungen aber dem Erleben transidenter Menschen. Aus ihrer Sicht machen sie nämlich keine Veränderung von Mann zu Frau oder von Frau zu Mann durch, sondern sind von jeher im Innern Frau bzw. Mann gewesen und möchten nun »nur noch« den Körper an diese Identität anpassen lassen und in der dieser Identität entsprechenden Rolle leben.

»Transidente« selbst bezeichnen sich als »Transmenschen« und unterscheiden zwischen »Transmann« (biologische Frau, deren Identität männlich ist) und »Transfrau« (biologischer Mann, dessen Identität weiblich ist). Ich möchte im Folgenden bei meiner Darstellung diese Begriffe verwenden, da sie durch die Charakterisierung Transmann bzw. Transfrau die Selbstdefinition und die soziale Rolle als Frau bzw. als Mann in den Vordergrund stellen und so dem Erleben von Transmenschen am besten entsprechen. Dabei ist mir klar, dass es für Sie als Leserinnen und Leser eine gewisse Gewöhnung an diese Terminologie braucht, da sie nicht – wie sonst üblich – vom biologischen Geschlecht ausgeht und die Person danach benennt, sondern die Identität des betreffenden Menschen in den Vordergrund stellt und ihn dementsprechend bezeichnet.

Gewiss haben Sie schon ab und zu von Transmenschen gehört oder gelesen, meist wahrscheinlich im Zusammenhang mit Travestieshows, außergewöhnlichen Schicksalen oder gar mit Situationen, in denen Transmenschen Opfer von Gewalt geworden sind. Immer aber ging es dabei um Menschen, die Ihnen persönlich fremd waren und an deren Schicksal Sie nur indirekt über die Massenmedien Anteil genommen haben. Nun aber hat sich in Ihrer unmittelbaren Umgebung eine Frau oder ein Mann als »trans« geoutet, und unvermittelt sind Sie mit dem Phänomen Transsexualität bzw. Transidentität konfrontiert.

Sie dachten bisher vielleicht, Sie wüssten gut, was Transidentität ist. Jetzt aber merken Sie durch die Konfrontation mit einem Transmenschen, dass Sie nur eine vage Ahnung davon haben, wie ein solcher Mensch sich fühlt, wie der Weg der körperlichen Angleichung an das andere Geschlecht verläuft und welche Konsequenzen sich daraus für alle ergeben, die mit dieser Transperson in Kontakt stehen.

Außerdem spüren Sie beim Zusammentreffen mit diesem Menschen, dass das Phänomen Transidentität heftige Gefühle in Ihnen auslöst: Irritation, Unbehagen und Hilflosigkeit, ja vielleicht sogar Ablehnung. Sie mögen sich solcher Gefühle schämen oder sind vielleicht über sich selbst erstaunt, weil Sie sich doch für aufgeschlossen und tolerant gehalten haben. Oder Sie haben den Eindruck, mit Recht würden Sie Transidentität für eine psychische Krankheit halten und die Maßnahmen zur Angleichung an das andere Geschlecht völlig zurecht ablehnen – aber nun treffen Sie im Umfeld von Transidenten mit anderen Menschen zusammen, die eine völlig andere Auffassung vertreten, nämlich der Transidentität positiv gegenüberstehen und die betreffende Person auf ihrem Weg in die neue Geschlechtsrolle unterstützen.

Im positiven Fall wird die Wahrnehmung solcher widerstreitenden Gefühle und unterschiedlichen Einstellungen zur Transidentität in Ihnen den Wunsch entstehen lassen, sich genauer über Transidentität zu informieren.

Als Angehörige, Freund oder Kollegin eines Transmenschen werden Sie wahrscheinlich auch bemerken, dass Sie vielfach unsicher sind, wie Sie dieser Person begegnen sollen. Wie verhalten Sie sich zum Beispiel Ihrer Kollegin gegenüber, die Sie jahrelang als »Manuela Meister« kannten und die nun sagt, sie möchte als »Martin Meister« angesprochen werden? Oder wie verhalten Sie sich, wenn Ihnen Ihr Sohn nach der Eröffnung, transident zu sein, eines Tages geschminkt und mit Perücke in Frauenkleidern entgegentritt? Und wie gehen Sie mit den Gefühlen um, die Ihr Ehemann in Ihnen ausgelöst hat, als er Ihnen eröffnet hat, er sei transident und werde in Zukunft als Frau leben wollen? Und nicht zuletzt: Wie vermitteln Sie dies Ihren Kindern, für die der Papa plötzlich zur Mama wird?

Diese und andere Fragen und Probleme möchte ich in diesem Ratgeber behandeln. Da Transidentität keineswegs ein so seltenes Phänomen ist, wie mitunter angenommen wird (siehe Kapitel 2) und mehr Transidente als früher sich heute outen, können viele Menschen im Familien- und Freundeskreis sowie an der Arbeitsstelle mit Transpersonen zusammentreffen.

Ich beschäftige mich als Psychotherapeut und Forscher seit über vierzig Jahren mit transidenten Menschen, die ich beruflich in der psychotherapeutischen Begleitung, im Rahmen von Begutachtungen und auch privat im Freundeskreis erlebe. Aus dieser Erfahrung heraus habe ich mich entschlossen, den vorliegenden Ratgeber zu schreiben, zumal es im deutschsprachigen Bereich keine vergleichbare Publikation gibt. Eine sich eher an Fachleute sowie die Transidenten selbst richtende ausführliche Darstellung dessen, was wir heute wissenschaftlich über Transidentität wissen und wie der Transitionsprozess verläuft, findet sich in meinem Buch Transsexualität – Transidentität (3. Auflage 2012).

Der vorliegende Ratgeber hingegen richtet sich in erster Linie an Sie als Menschen aus dem privaten und beruflichen Umfeld von Transidenten und möchte Ihnen konkrete Hinweise für Ihren Umgang mit diesen Menschen liefern. Immer wieder erfahre ich in der psychotherapeutischen Begleitung von Transmenschen und ihren Bezugspersonen im privaten wie im beruflichen Bereich, wie hilflos ihre Angehörigen und Bekannten im Umgang mit ihnen oft sind und dass sie selbst bei psychologischen und psychiatrischen Fachleuten wenig Hilfe finden, da diese selbst oft keine fundierten Kenntnisse über Transmenschen und das Leben ihrer Angehörigen und Freunde haben.

Wiederholt habe ich in den vergangenen Jahren auch erlebt, dass beispielsweise Vorgesetzte zusammen mit ihren transidenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu mir als Therapeuten gekommen sind, um zu besprechen, wie der Rollenwechsel möglichst problemlos in der Firma vollzogen werden kann. Hinter diesem Anliegen wird auf der einen Seite die Hilflosigkeit der Vorgesetzten gegenüber der transidenten Mitarbeiterin bzw. dem transidenten Mitarbeiter spürbar. Aus ihrem Wunsch, mit der transidenten Person zusammen den Rollenwechsel zu planen, spricht auf der anderen Seite aber auch das Bewusstsein der Verantwortung, die der oder die betreffende Vorgesetzte für die Transperson und das Arbeitsteam empfindet. Die Erfahrung zeigt, dass ein so geplantes, aufeinander abgestimmtes Vorgehen beim Coming-out am Arbeitsplatz große Vorteile hat und erheblich zu einer positiven Entwicklung des Transmenschen und des ganzen Teams am Arbeitsplatz beiträgt.

In elf Kapiteln werde ich im vorliegenden Ratgeber die wichtigsten Fragen und Problembereiche, zum Teil anhand von Beispielen einzelner Transmenschen und ihrer Familien und Arbeitsteams, diskutieren und Hinweise für einen konstruktiven Umgang mit den betreffenden Situationen geben. Die Beispiele habe ich aufgrund realer Situationen von Klientinnen und Klienten formuliert, wobei ich aber jeweils Teile aus verschiedenen Lebensgeschichten zu einem Beispiel zusammengefügt habe, so dass die Anonymität einzelner Personen absolut gewährleistet ist. Die genannten Namen sind fiktiv.

Die Hinweise, die ich bei der Diskussion der verschiedenen Themen gebe, sollten Sie nicht als verbindliche Handlungsanweisungen missverstehen. Transmenschen und ihre Lebensumstände sind so unterschiedlich wie die aller anderen Menschen auch. Deshalb werde ich auch keine ausführliche Lebensgeschichte einer einzelnen Transperson schildern. Würde ich dies tun, so bestünde die Gefahr, dass Sie als Leserinnen und Leser dieses Ratgebers den Eindruck gewinnen, dies sei die »typische« Biographie einer transidenten Person. Und die gibt...

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