Düsseldorf
Ich hatte Dir gestern noch viel zu sagen von diesen Schätzen der Kunst, die ich anzuschauen nicht ermüde; aber die Bemerkungen über das jüngste Gericht von Rubens versetzten mich allmälig in die Stimmung, die er seinem Weltrichter gegeben hat, und in diesem kritischen Humor möchte ich Raphaeln selbst nicht für Tadel stehen. Heute ist der Morgen so heiter, die Frühlingssonne scheint so allbelebend, die Luft ist so rein bei ihrer Kühle, daß man froh ist zu leben und dem verschiedenartigsten Leben Daseyn und Genuß des Daseyns gönnt. Friede sei mit allem, was da ist, Friede mit jedem Geiste, sein Wirken und Gebilde sei dem meinen so fremd wie es wolle! Ich fühle mich verjüngt aus den Armen des Schlafs erstanden; alles in der Natur lacht mich an; alles ist unzertrennlich von allem; der blaue Bogen über mir, die hellleuchtende Sonne, und Berg und Flur, Fels und Wald, Pflanzen und Thiere, der Mensch und seine Kunst, alles ist Theil eines großen nicht zu umfassenden Ganzen!
Millionen Menschen empfingen den Funken der Vernunft, und fachten ihn an zur größeren oder kleineren Flamme; Millionen empfanden, dachten und wirkten, jeder auf seine ihm eigene Weise; die Früchte ihres Fleißes, ihres Nachdenkens, ihres bildenden Triebes erfüllen die Erde, und dennoch sind die Verhältnisse der Dinge unter einander nicht erschöpft, und keine Macht bestimmt ihnen Gränze oder Zahl. Wir stehen da und schöpfen aus dem unermeßlichen Meere die mannichfaltigen Gestalten. Je mehr wir aufnehmen können, desto schöner und reicher ordnet sich in uns, wie im Spiegel, das Bild des göttlichen All. Von Einem Lichte wird alles umflossen, alles schimmert meinem Aug' entgegen, alles drängt mir sein Daseyn auf; eine Welt von unendlich kleinen Stäubchen sogar, tanzt sichtbarlich in diesem Sonnenstral, der zwischen den Vorhängen hindurch auf mein Papier gleitet, und behauptet ihren Platz in meinen Sehenerven wie in meinem Gedächtnisse. Willkommen, willkommen mir, heiliges Licht der Sonne, das allem, was da ist, gleiches Recht ertheilt! Wie ganz anders geordnet sind die Empfindungen und Gedanken des sonnenhellen Morgens, als die gestrigen beim nächtlichen Lampenschein, der ein grelles Licht auf eine Stelle warf und rings umher die Finsterniß herrschen ließ!
Was von Eindrücken der Anblick der hiesigen Gemäldegalerie in meinem Gemüthe zurückgelassen hat, wollen wir jetzt in dieser Klarheit beschauen; viel werden wir bewundern, manches tadeln und einiges lieben müssen. Auch hier aber, wie im ganzen Leben, können wir uns nicht alles aneignen; es ist eine Ökonomie der Zeit und des Gedächtnisses nöthig, um nur das Wesentliche, uns Angemessene aufzufassen; glücklich, wenn die Wahl so ausfällt, daß die Bilder, die wir in uns aufbewahren, Abdrücke interessanter Geisteskräfte sind und manche andere entbehrlich machen.
Rubens kann in seiner Darstellung des jüngsten Gerichts vielfältig gefehlt haben, ohne deshalb den Ruhm eines großen Künstlers einzubüßen. Seine Werke füllen hier einen ganzen ihm allein gewidmeten Saal; sie bestehen in mehr als vierzig großen und kleinen Gemälden. Ein kleines Stück, welches die Niederlage der Amazonen am Thermodon vorstellt, gab dem Kuhrfürsten Johann Wilhelm die Veranlassung, seine große Sammlung von Gemälden anzulegen. Rubens ist hier in seinem Elemente. Die besiegten Kämpferinnen stürzen samt ihren Rossen von der Brücke in den Fluß; in mancherlei Stellungen hingeschleudert, schwimmend, fallend, sich sträubend, erblickt man den weiblichen Körper von der wilden Phantasie des Künstlers ergriffen. So unwahrscheinlich es immer ist, daß Weiberwuth zu diesem Grade gestiegen sei; so schön ist doch der Stoff für den Maler, der dieses Feuer in sich fühlte, die Extreme der Leidenschaft und die heftigste Handlung darzustellen. Von den beiden darüber hangenden Skizzen, der Bekehrung des Apostels Paulus und der Vernichtung der Heerschaaren Sennacheribs, möchte ich das nicht so unbedingt behaupten.
Bewundernswürdig war und bleibt Rubens im Porträt! Er faßte so wahr und so glücklich zugleich! Nur ist es mir räthselhaft, daß ein Künstler, der so tief in andere Wesen sich hineinschmiegen und ihr Innerstes so zu sagen herausholen konnte, in seine eigenen Schöpfungen nicht mehr hinübertrug. Unter so vielen hundert Köpfen, die er in seinem Leben nach der Natur gemalt haben mag, hätten sich doch wohl die Urbilder zu allen Charakteren seiner historischen Gemälde mit Hülfe einiger Idealisirung leicht gefunden; und solche der Natur nachgebildete Formen hätten auf jeden Fall seine unbestimmten, von Individualiät entblößten Gesichter weit übertroffen. Hier ist das Bildniß eines Mönchs; der graue Rock scheint nur eine Verkleidung zu seyn, so wenig paßt er zu dem gebildeten Geiste, der aus diesen Zügen hervorstralt. So ein Gesicht, mit diesem Ausdruck des eingeärndteten Ideenreichthums, mit dieser Milde, welche nur Erfahrung und Weltkenntniß geben, mit dieser Ruhe, die aus einer richtigen Schätzung der Dinge und ihres unaufhaltsamen Laufs entspringt – warlich, das würde man unter tausend Mönchsgestalten ohne Mühe wieder erkennen. Wie der hagere Mann einst den Erdball in der Hand wägte, damit spielte, und doch zuletzt wohl inne ward, der Ball sei mehr als Spielzeug, wenn er's nur ergründen könne; so wägt er jetzt den Menschenschedel, ihm und aller Menschenweisheit nicht minder unbegreiflich! Es ist kein Traum, den ich da träume; dieser Franciskaner-General, so wie Rubens ihn malte, war zu seiner Zeit im Kabinet allmächtig. Maria von Medicis, bereits in guten Jahren, ist hier noch schön, aber so stolz, so tiefverschlossen, so gewandt in allen Künsten der Verwirrung! Ich weile jedoch lieber bei dem eigenen Bildnisse des Malers und seiner ersten Gattin. Es ist eine überströmende Geistesfülle in seinem Kopf, und sein ganzes Wesen, sein Anstand, seine Kleidung verrathen die höchste Eleganz. Wenn Rubens so ausgesehen hat – und dieses Bild trägt alle Kennzeichen an sich, daß es treu dem Leben nachgebildet worden ist, – so war der Mensch an ihm bei weitem das Edelste, Größte und Beste; keines seiner Werke giebt einen halb so erhabenen Begrif von ihm, als diese Nachahmung seiner eigenen Züge. Der schöne, kraftvolle Mann sitzt da in der Blüthe des männlichen Alters. Die tiefliegenden Augen sprühen Feuer hervor unter dem Schatten der dunklen Augenbrauen; auf seiner Stirne liest man den Reichthum, und ich möchte fast sagen, auch das Ungezähmte seiner Phantasie. Seine Seele ist auf einer Bilderjagd außer dem Bezirke des Gemäldes begriffen. Das hübsche Weib ruht zu seinen Füßen, ihre Rechte in seiner Rechten, und diese Hände sind von vorzüglicher Schönheit. Wahr und treu ist auch ihr Kopf; allein die ungebildete Frau konnte den größeren Menschen nicht fassen, der zugleich Künstler und Staatsmann war, bald an Philipp's des Dritten Hofe, bald als sein Abgeordneter bei Karln dem Ersten von England seine Rollen spielte; den Mann, der nach den Mitteln seines Zeitalters vortreflich erzogen war, die Feder beinahe so gut, wie den Pinsel führte, um dessen Freundschaft Fürsten warben, und den Wolfgang Wilhelm, Herzog von Neuburg, in seinem eigenen Wagen rettete, als man ihm in Madrid nach dem Leben stand.
Was mag er wohl ersinnen in dieser traulichen Verschränkung, auf dem ländlichen Sitz am Gemäuer, wo sich das üppige Geisblatt mit duftenden Blüthen emporschlängelt und über seinem Haupte leichte Schatten webt? Etwa jenes liebliche Gedicht, wo sieben Amoretten sich hineinflechten in einen Kranz von Blumen und Früchten? Mit welcher Fülle, mit welcher Kraft sind diese Formen aus der Anschauung gegriffen! Welches Leben regt sich in ihren Gliedern! Wie gaukeln die gesunden Buben so froh in vollem Treiben ihrer neuerprobten Muskelkraft! Des schönsten Genusses Kinder, als Zeit und Sinne schwanden; Daseyn ihre ganze Bestimmung, Zweck und Mittel zugleich; und auch ihnen gelten Zeit und Zukunft noch nichts! Hieher den Blick, ihr Weisen, und sagt uns, ob es eine andere Wonne gebe, als das schöne Leben zu sehen, und zu fühlen: es ist!
Die reine, treue Darstellung des Lebendigen und Natürlichen würde diese gefällige Wirkung auf die Empfindung des Zuschauers nie verfehlen, wenn es nicht in der Natur selbst Gegenstände gäbe, deren erster und mächtigster Eindruck unsern Selbsterhaltungstrieb aufregt, und Abneigung, Widerwillen, Abscheu oder Furcht und Schrecken zuwege bringt. Der Anblick alles Mißgestalteten, Unzweckmäßigen, Schädlichen in der Natur, des Gewaltthätigen und Zerstörenden, des körperlichen Schmerzes, heftiger Krämpfe, ekelhafter Zerfleischungen, kranker oder auch leidenschaftlicher Entstellung, dies alles erschüttert zuerst unser Nevensystem mit dem Gefühle der eigenen Verletzbarkeit, welches zur Erhaltung eines endlichen Daseyns wirken muß. Ist es daher nicht sonderbar, daß so viele Künstler, und unter diesen manche der berühmtesten, gerade diese Gegenstände zur Nachahmung wählten, um durch sie recht kräftig erschüttern zu können? Rubens selbst scheint sich in solchen Darstellungen mehr als in allen andern zu gefallen. Von jenen wilden Compositionen, wo Teufel und verworfene Menschen sich winden und kämpfen und knirschend den Engeln unterliegen, soll hier nicht mehr die Rede seyn. Es giebt noch andere Bilder in diesem Saale, von einem ähnlichen Effekt. Bald ist es ein trunkener Silen, umringt von einer bacchantischen Gruppe, deren...