Der Magen-Darm-Trakt
Für den heutigen Medizinstudenten ist im Studium der Anatomie des Magen-Darm-Traktes das Wesentliche das Kennenlernen seiner Lage im Organismus, seiner verschiedenen Abschnitte und deren Bezeichnungen, sowie sein innerer Aufbau, bis in den mikroskopischen Bereich, mit den unterschiedlichen Gewebearten. Im Hinblick auf die Funktionen des Magen-Darm-Traktes, der Physiologie, werden die verschiedenen Substanzen, die in den Drüsen der einzelnen Organe gebildet und abgesondert werden, analysiert sowie deren chemische Wirkungen beschrieben. Des Weiteren wird die Blut- und Nervenversorgung und die Anordnung und Art der Muskulatur untersucht, wodurch die Wahrnehmungs- und Bewegungsfähigkeit des Magen-Darm-Traktes erklärt werden kann.
Anatomie und Physiologie in einer ganzheitlichen Betrachtung
Betrachten wir nun unter einem ganzheitlichen Aspekt den Magen-Darm-Trakt in seiner Anatomie und Physiologie, so sehen wir, dass dieser vom Mund bis zum Anus den Organismus als eine Einheit durchzieht und in diesem eine Art innere Außenwelt bildet. Alles, was darin aufgenommen wird und nicht die Aufnahme in das Blut- und Lymphsystem erfährt, findet mehr oder weniger verwandelt den Weg wieder in die Außenwelt. Eine kleine Münze, die versehentlich verschluckt wurde, wird unversehrt wieder mit dem Stuhl ausgeschieden. Die Grenze zwischen dieser inneren Außenwelt und dem Blutgefäßsystem des Inneren wird durch die Schleimhaut gebildet.
Der Mund
Mit dem Mund nehmen wir die Nahrung in uns auf. Wir können auch sagen, mit dem Mund öffnen wir uns gegenüber der Welt. Als Erstes sind da die Lippen, die den Übergang der Haut in die Schleimhaut bilden. In dem Lippenrot drückt sich aus, wie sehr der Blutpol, das Innere des Menschen nach außen strömt. Etwas mit den Lippen zu berühren hat eine andere Qualität als eine Berührung mit der Hand. Es ist eine innigere, intimere Gestik.
Die Mundhöhle wird nach vorne und seitlich durch die Zähne begrenzt, die, in ihrem äußeren Überzug, dem Zahnschmelz, aus der härtesten Substanz, die vom Organismus gebildet wird, bestehen.
Abb. 15: Der Magen-Darm-Trakt und seine Lage im Bauchraum.
Der Magen
Nach dem Durchtritt durch das Zwerchfell in die Bauchhöhle mündet die Speiseröhre in den Magen. Dieser ist ein mit einer kräftigen Schleimhaut ausgekleideter Muskelsack. Die Form des Magens ist nicht mehr einheitlich, sondern sehr variabel. Allgemein wird die Magenform, bedingt durch den Muskeltonus, als eine dem Angelhaken ähnliche beschrieben. Aber sobald sich zum einen sein Füllungszustand ändert, z. B. nach dem Essen, oder zum anderen die Umgebung ihm den Platz verwehrt, wie das z. B. in der fortschreitenden Schwangerschaft der Fall ist, wobei er nach oben hin und seitlich verdrängt wird, ändert sich seine Form. Dies bedeutet, die Form des Magens variiert entsprechend seiner Umgebung, d. h. dem Platz, den die ihn umgebenden Organe gewähren. Dieses Verhalten, sich in der Form der Umgebung anzupassen, ist eine Qualität des Flüssigen, wie man sie bei jedem Bachlauf, ja jeder Pfütze beobachten kann. Die Flüssigkeit passt sich immer der gegebenen äußeren Form an.
Abb. 16: Die Schichten der Magenwand. Die Schleimhaut (Mukosa) mit ihren Einstülpungen.
Als Schutz vor der Selbstverdauung, schließlich besteht die Schleimhaut selbst aus Eiweißbestandteilen, wird, von wiederum anderen Drüsenzellen, ein die Magenschleimhaut schützender Schleim gebildet.
Die Magenbewegungen
Verschiedene Bewegungsmuster können am Magen unterschieden werden. Zum einen gibt es die mahlende Bewegung, die die Nahrung schichtet und durchmischt. Des Weiteren eine Bewegung, die portionsweise Nahrungsanteile aus dem Magen in den Zwölffingerdarm befördert. Als Drittes schließlich ist die Bewegung zu unterscheiden, die wellenartig, in rhythmischen Mustern, auch im nüchternen Zustand und des Nachts, über den Magen, am Eingang beginnend, zum Pylorus, dem Magenpförtner, hin verläuft, ohne dabei den Inhalt zu transportieren. Diese Bewegung ist vergleichbar der Wellenbewegung auf einem See, die über die Oberfläche dahingleitet. Diese rhythmische Bewegung ist mit «drei Wellen» pro Minute relativ frequenzstabil.42
Element des Festen | Element des Flüssigen |
Bestehende Form | Formvariation |
Das Nebeneinander und Nacheinander | Das Ineinander-Vermischen |
Der Dünndarm
Dem Magen schließt sich nun der erste Teil des Dünndarms, der Zwölffingerdarm, an. Hier wird der im Magen durchmischte Speisebrei den Verdauungssäften der Bauchspeicheldrüse und dem Gallensaft, der portionsweise von der Gallenblase abgegeben wird, ausgesetzt. Die im Mund durch das Ptyalin begonnene Kohlenhydratverdauung und die im Magen durch das Pepsin begonnene Eiweißverdauung wird nun durch die Amylase und das Trypsin, die kohlenhydrat- und eiweißspaltenden Enzyme der Bauchspeicheldrüse, fortgesetzt, unterstützt durch Verdauungsenzyme, die in den Drüsen der Dünndarmschleimhaut gebildet werden. Zudem beginnt nun im Dünndarm die Fettverdauung unter dem Zusammenwirken der Galle und der Lipase, dem fettspaltenden Ferment der Bauchspeicheldrüse.
Magen | Eiweiß, Kohlenhydratfortsetzung |
Dünndarm | Fette, Eiweiß, Kohlenhydrate |
In dem Verdauungsvorgang im Dünndarm wirken also erstmals die inneren Organe, wie die Leber, die die Galle bildet, die Gallenblase und die Bauchspeicheldrüse, mit. Der äußere Verdauungstrakt nähert sich dem inneren Stoffwechselsystem.
Abb. 17: (Längsschnitt): Oberflächenvergrößerung im Dünndarm. Die Submukosa bildet die Falte und die ihr aufsitzende Mukosa die Zotten.
Die zahlreichen Drüsen in der Dünndarmschleimhaut sondern eine enorme Flüssigkeitsmenge in das Lumen. Während im Magen 1 bis 2 Liter Sekret gebildet wird, werden im Dünndarm über 5 Liter Flüssigkeit in den Darm abgegeben und teilweise wieder rückresorbiert. So findet in den Weiten der Schleimhautoberfläche ein stetiges Strömen des Flüssigkeitsorganismus statt, der in der Absonderung und Wiederaufnahme mit dem Inneren des Menschen in Verbindung steht.
Die Dünndarmbewegungen
Der Dünndarm ist in stetiger Bewegung. Zum einen die Fortbewegung, zum anderen, wie auch schon beim Magen beschrieben, peristaltische Wellen, die rhythmisch über den gesamten Dünndarm gleiten. Auch diese Bewegung ist frequenzstabil und zeigt einen Rhythmus von etwa «zwölf Wellen» pro Minute.43 Das Verhältnis der peristaltischen Magenbewegung zu der des Dünndarms liegt somit bei 1 : 4, was auffälligerweise dem Verhältnis von Atmung zum Puls entspricht.
Abb. 18: Der Weg der Nahrung durch die Elemente und die Verdauungsorgane. Von der Form zur Bewegung.
Der Dickdarm
An den Dünndarm schließt sich nun der Dickdarm (Colon) an. Im rechten Winkel mündet der Dünndarm in den Dickdarm. An seinem Übergang findet sich eine lippenartige Klappe, die Bauhin’sche Klappe, die ähnlich einem Ventil den Rückstrom des Darminhaltes aus dem Dickdarm in den Dünndarm verhindert. Der Dickdarm umfasst in seiner Lage den Verdauungstrakt wie ein Rahmen. Im rechten Unterbauch beginnend steigt er zunächst nach oben bis an den unteren Rand der Leber, als wolle er so noch einmal Leichte repräsentieren. Er biegt dann um in...