2. Wegweiser für die persönliche Vorbereitung
Sichtweise der Personaler
Wir wollen Sie so erleben, wie Sie wirklich sind
»Seien Sie einfach authentisch. Sie brauchen sich nicht vorzubereiten, wir wollen Sie so erleben, wie Sie wirklich sind.« Solche oder ähnliche Parolen werden von manchen Personalverantwortlichen gerne bei der Einladung zum Assessment-Center an die Kandidaten herausgegeben. Dadurch wird suggeriert, Vorbereitung und Authentizität stünden zwangsläufig in einem Widerspruch. Trainieren für ein Assessment-Center wird dabei häufig mit dem Erlernen einiger Taschenspielertricks assoziiert.
Meilenstein für die Karriere
Ein Assessment-Center ist nun mal eine besondere Situation, von der sehr viel abhängt – vergleichbar mit einer wichtigen Prüfung oder einem bedeutenden sportlichen Wettkampf. Immerhin geht es um kein geringeres Thema als die berufliche Zukunft. Kein halbwegs vernünftiger Mensch würde einem Prüfling oder einem Sportler ernsthaft raten, sich nur ja nicht vorzubereiten! Hinter dem Ratschlag steckt natürlich die große Befürchtung, zu viele Kenntnisse über die Methode Assessment-Center und das Trainieren bestimmter Vorgehensweisen könnten zu einem zu angepassten Verhalten, Schauspielerei und damit zu einem verfälschten Ergebnis führen. Zugegeben, bis zu einem gewissen Grad sind diese Bedenken nachvollziehbar, denn man kann – wie in allen Bereichen – auch hier tatsächlich falsch trainieren. Entscheidend ist deshalb nicht das Ob, sondern das Wie.
Selbst Beobachter bereiten sich heimlich vor
Wie naiv muss man aber sein, zu glauben, alle Kandidaten würden brav dem Ratschlag folgen und unvorbereitet erscheinen. Sogar Personalverantwortliche aus Unternehmen, die diese Parole propagieren, bereiten sich gezielt vor, wenn sie selbst in diese Prüfungssituation geraten. An unseren Trainings nehmen immer wieder auch AC-Beobachter (Führungskräfte, Personalentwickler, Psychologen) teil, die zur Erreichung des nächsten Karrierelevels nun selbst in ein AC geschickt werden, auf das sie sich möglichst professionell vorbereiten möchten.
Reizthema bei vielen Arbeitgebern
Dennoch ist die gezielte Vorbereitung auf ein Assessment-Center bei den meisten Arbeitgebern immer noch ein Reizthema und wird nicht gerne gesehen. Gleichzeitig erwartet man jedoch von den Kandidaten, dass diese sich durchaus mit den Anforderungen für die Zielposition auseinandersetzen und ein möglichst klares Bild von ihrer künftigen (Führungs-)Rolle mitbringen. Also ist eine indirekte Vorbereitung schon gewünscht, aber eben nicht so, dass dabei Assessment-Center-Aufgaben geübt werden. Werden Sie im AC auf das Thema Vorbereitung angesprochen, dann bewegen Sie sich immer auf einem schmalen Grat. Wenn Sie einräumen, dass Sie sich sehr intensiv vorbereitet oder gar praktisch trainiert haben, könnte man schlussfolgern, Sie würden die Aufgaben nur mithilfe einstudierter Tricks und manipulativer Kniffe lösen. Denkbar wäre auch, dass die Erwartungshaltung an Sie steigt und unbewusst ein höherer Maßstab angelegt wird. Erklären Sie dagegen, vollkommen unvorbereitet zu sein, wirken Sie entweder unglaubwürdig oder man unterstellt Ihnen, das Auswahlverfahren nicht ernst zu nehmen. Sie können daher auf jeden Fall einräumen, dass Sie ein Buch zu dem Thema gelesen haben, denn das macht ohnehin so gut wie jeder. Stellen Sie außerdem dar, dass Sie sich mit dem Anforderungsprofil für die Position beziehungsweise dem Kompetenzmodell des Unternehmens und Ihrem persönlichen Profil beschäftigt haben – dies wird sogar erwartet.
Positivbeispiele
Fairerweise müssen an dieser Stelle aber auch die Arbeitgeber erwähnt werden, die eine andere Vorgehensweise praktizieren. Es gibt eine Reihe von Unternehmen, die mit dem Thema mittlerweile sehr offen umgehen und den Teilnehmern ihrer internen Assessment-Center eine gründliche Vorbereitung ermöglichen, anstatt sie ins kalte Wasser zu stoßen. Einige Personalabteilungen haben die AC-Vorbereitung ihrer Mitarbeiter institutionalisiert und bieten umfassende interne und externe Vorbereitungsmöglichkeiten an. In diesem Zusammenhang arbeite ich seit geraumer Zeit mit Personalentwicklern verschiedener Unternehmen zusammen – mit sehr guten Erfahrungen.
Botschaft an die Personalverantwortlichen
Personalverantwortliche, die das Thema Assessment-Center-Vorbereitung als absolutes Tabu betrachten, sollten bedenken, dass davon auch der Arbeitgeber profitieren kann. Die Kandidaten beschäftigen sich aus eigenem Antrieb mit ihrer persönlichen Weiterentwicklung und investieren dafür meist viel Zeit sowie mehr oder weniger Geld. Die Inhalte einer professionellen AC-Vorbereitung, wie zum Beispiel Präsentations- und Gesprächsführungstechniken, sind sehr gut im Tagesgeschäft anwendbar und erhöhen damit die Qualifikation. Die Erfahrung zeigt, dass in Anbetracht des Prüfungs- und Leistungsdrucks viele Methoden und Techniken sogar schneller verinnerlicht werden, als dies im Rahmen regulärer Weiterbildungsmaßnahmen möglich wäre. Bei internen Kandidaten, die im Vorfeld eines Assessment-Centers gezielt gefördert werden, ist häufig zu beobachten, dass eine hohe intrinsische Motivation freigesetzt wird, die oft zu einem regelrechten Leistungsschub führt.
Aufbau von Methodenwissen
Legen Sie Ihre Assessment-Center-Vorbereitung so an, dass Sie Methoden verinnerlichen und nicht Inhalte. Angenommen, Sie würden durch gut informierte Kreise den konkreten Inhalt einer bestimmten Übung, zum Beispiel eines Mitarbeitergesprächs (= Rollenspiel), genau kennen, so hilft Ihnen das nur bedingt. Studieren Sie nun immer wieder Ihr Drehbuch für diese spezielle Situation ein, dann trainieren Sie damit womöglich sogar in eine falsche Richtung. Sie konditionieren sich dadurch nämlich auf einen bestimmten Inhalt und schränken Ihre Verhaltensflexibilität ein. Wird die Aufgabe in Ihrem AC nur geringfügig umgestellt, besteht die Gefahr, ins Leere zu laufen, weil Sie nun nicht mehr angemessen reagieren können.
Die Verhaltensflexibilität erhöhen
Die Veranstalter verfügen in der Regel über ein umfangreiches Portfolio an Aufgaben und sind sich zudem bewusst, dass bei einem Assessment-Center immer wieder Informationen durchsickern. Insofern ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Aufgabe in der nächsten Veranstaltung mit einem anderen Thema belegt wird. Es nützt also überhaupt nichts, einen bestimmten Inhalt ähnlich wie ein Gedicht einzupauken. Was Sie stattdessen benötigen, ist Methodenwissen, mit dem Sie Ihre Verhaltensflexibilität erhöhen. Das heißt, Sie brauchen eine bestimmte Vorgehensweise, die übergreifend anwendbar ist. Ziel sollte es sein, damit auf eine große Bandbreite von Mitarbeitergesprächen reagieren zu können, unabhängig davon, ob es sich um das Thema x, y oder z handelt und ob sich der Mitarbeiter kooperativ oder renitent verhält. Darüber hinaus müssen Sie wissen, wie Sie prinzipiell auf bestimmte Vorfälle reagieren.
Piloten verfügen über Handlungspläne
Ein Pilot muss beispielsweise sofort die richtige Entscheidung treffen, wenn plötzlich ein Triebwerk ausfällt. Er hat sich für die unterschiedlichsten Vorfälle Handlungspläne mental eingeprägt, die er in kritischen Situationen schnell abrufen kann. Eine gute Assessment-Center-Vorbereitung sollte im Prinzip ähnlich angelegt sein. Sie müssen wissen, was in erfolgskritischen Situationen zu tun ist. Also wie gehen Sie vor, wenn der Mitarbeiter ein schwerwiegendes persönliches Problem hat, oder wie verhalten Sie sich, wenn plötzlich Ihre Kompetenz angezweifelt wird? Je größer Ihr Portfolio an Handlungsplänen für die unterschiedlichsten Szenarien ist, desto höher entwickelt sich Ihre Verhaltensflexibilität.
Haben Sie die entsprechenden Methoden einmal verinnerlicht, dann wird es Ihnen gut gelingen, eine Reihe kniffliger Gesprächssituationen souverän zu meistern – und das nicht nur im Assessment-Center. Insofern sollte sich eine professionelle Vorbereitung auf ein AC-Rollenspiel grundsätzlich nicht von einem »normalen« Gesprächsführungstraining unterscheiden. Natürlich ist es nützlich, darüber hinaus bestimmte Tipps und Tricks zu kennen, die die Bearbeitung in der Prüfungssituation erleichtern. Beispiel: Wie kann ich bei der Erfassung einer Rollenanweisung in knapper Zeit möglichst effizient vorgehen? Ziel dieses Buches ist es, beides zu vermitteln, das notwendige Methodenwissen, das auch außerhalb eines Assessment-Centers anwendbar ist, sowie alle wissenswerten Details zur Performance-Steigerung in der Assessment-Center-Situation.
Authentizität und Handlungskompetenz
Schauspielerei fliegt auf
Fälschlicherweise wird oft der Eindruck vermittelt, schauspielerisches Talent und die Fähigkeit zur...