Einleitung: Was ist Liebe?
»Hauptsache, die richtige Religion.«
(Faouzi, 24, Tunesien)
»Partnersuche? Das erledigen meine Onkels und Tanten für mich. Ich hoffe, ich habe Glück.«
(Dilara, 15, Iran)
»Irgendwie ist gerade nichts auf dem Markt!«
(Jana, 34, Hamburg)
»Partnersuche? Was soll das denn sein? Ich schaue, wer hier im Ort in meinem Alter ist, Geld hat und vielleicht nett aussieht.«
(Johanna, 16, anno 1840, Possendorf in Thüringen)
»Ich finde niemanden, der zu mir passt.«
(Wolfgang, 45, Bremen)
Liebe spricht viele Sprachen
Liebesglück und Partnerwahl: Das sind Begriffe, die es noch gar nicht so lange und längst nicht überall auf der Welt gibt. Man muss nur 200 Jahre in der Zeit zurückreisen, aufs Land ziehen oder einen Besuch auf einem anderen Kontinent machen, um sich klar darüber zu werden, dass die Partnerwahl in unseren Breiten ganz anderen Bedingungen gehorcht, als dies in fast allen anderen Teilen der Welt und zu anderen Zeiten der Fall war – und ist. Was für uns wichtig, unverzichtbar und selbstverständlich ist, finden viele Angehörige anderer Kulturen nebensächlich und ziemlich kleinlich.
Dieses Buch will sich weniger mit dem »Warum« der Liebe befassen. Das haben andere Autoren meisterlich getan. Es soll um das »Wozu« der Liebe und das »Wie« in der Partnerwahl gehen. Das »Wie« lassen Sie sich gefallen, nehme ich an. Beim »Wozu« der Liebessuche aber runzeln Sie vielleicht die Stirn. Bei einem so hehren Gefühl wie der Liebe vom Zweck zu sprechen scheint Ihnen zu sachlich? Dabei ist diese Frage die einzige, die zu Lösungen und neuen Ideen führt, heraus aus dem Treibsand der modernen Mythen um Liebe und Partnerschaft. Lassen Sie sich von der folgenden Passage nicht irritieren. Es geht wirklich um Liebe.
Kiss, Cash, Trash
Unser Paar(ungs)verhalten ist heute in allen Lebensbereichen von der Geschichte und Kultur der Industrienationen geprägt. Wir leben in einer Umgebung, die seit Jahrhunderten das Werben und die Partnersuche als Themen etabliert und verfeinert hat – parallel zu der Kultur des Konsumierens und des Marktes. Angebot und Nachfrage dominieren in den Läden und in der Wirtschaft. Sie regeln den Preis der Ware und verlangen nach Verkaufsgesetzen. Sie bestimmen, wer was wann haben darf. Und sosehr wir auch behaupten, nichts gehorche weniger dem freien Willen und nichts so sehr dem Schicksal wie die Liebe, ist diese doch unserer Kultur angepasst und gehorcht den geltenden Regeln.
Liebe ist an unterschiedlichen Orten der Welt nicht gleich. Sie weiß, dass sie in Westeuropa auf ganz andere Bedingungen stößt als in Indien und dass sie hier zu einem völlig anderen Zeitpunkt der Biografie und in anderer Gestalt auf die Bühne des Lebens tritt, als das im Iran oder in Grönland der Fall sein mag. In manchen Kulturen kennt man sie gar nicht in dieser Form oder unter diesem Namen. Vor mehreren hundert Jahren war sie auch hier in Deutschland ein relativ unbekannter Begriff. Keiner zumindest, den man für die Partnersuche in allen Bevölkerungsschichten verwendete. Arme Leute kannten keinen Namen für das, was wir heute Liebe nennen.
Heute glaubt jeder zu wissen, wie die Liebe aussieht. Vom Kleinkind bis zum Greis kann jeder sagen, wie sie angeblich funktioniert. Jeder singt das Lied der Liebe, von der Wiege bis manchmal ins Grab. Was wir oft vergessen ist, dass die Liebe nicht nur auf verschiedenen Kontinenten unterschiedliche Sprachen spricht, sondern dass auch jeder einzelne Mensch eine eigene Interpretation des Liedes hat, das über die Liebe gesungen wird. Deswegen will dieses Buch Sie ermutigen, Ihre eigene Stimme zu vernehmen und auf sie zu hören. Finden Sie Ihr eigenes Liebeslied und Sie werden sich vielleicht wundern, welche Stimme damit harmoniert.
Lerne Liebe lebenslang …
Liebe in Westeuropa erscheint heute bereits früh auf der Bühne des Lebens. Jeder Teenie glaubt zu wissen, wie sich die Liebe anfühlt, wie groß der Schmerz bei ihrem Verlust sein kann, und sucht doch keine zwei Wochen später wieder aufs Neue nach ihr. Schon Kindergartenkinder spielen »Liebe«, laufen sich hinterher, um sich zu küssen oder küssen zu lassen und dabei zu verkünden, man habe ihn oder sie zum Heiraten gefunden.
Wer wen heiratet oder großartig findet, war durch die Jahrhunderte nicht immer interessant. Und die Choreografie, die bei der sogenannten großen Liebe abzulaufen hat, hat sich erst im vorletzten Jahrhundert entwickelt, als es nicht mehr nur den Reichen und Adeligen vorbehalten war, sich romantisch für einen anderen Menschen zu begeistern. Verlieben ist mit der Industrialisierung in Europa eine Kulturtechnik geworden, die man lernen kann wie Dressurreiten, Lesen oder Blockflöte spielen.
Kulturtechniken ziehen allerdings immer Konsum nach sich. Wer lesen kann, braucht Bücher, wer reiten will, braucht ein Pferd und einen Lehrer, liebt vielleicht Bibi und Tina und die olympischen Spiele. Die meisten Menschen aber haben deutlich größeres Interesse am Verlieben als zum Beispiel am Blockflötenspiel, sodass Millionen Mal mehr Umsatz mit der Partnersuche als mit Flötenkonzerten oder Steigbügeln gemacht werden kann. Verlieben als Kulturtechnik ist also zumindest teilweise erworben und erlernbar. Und sie ist enorm lukrativ. Dabei unterliegt die Partnersuche auch immer einer gewissen Machbarkeits- und Perfektionierungsidee.
Wer Fahrradfahren lernen kann, lernt auch früher oder später die Gesetze des Verliebens. Und er vergisst sie niemals mehr. »The pursuit of happiness«, das Streben nach Glück, ist bei vielen ebenso wie das Streben nach der großen Liebe zum Lebensmotto geworden. »Seines Glückes Schmied« ist man auch im deutschen Sprichwort. Man hat also gefälligst dafür zu sorgen, dass es klappt mit dem (Liebes-)Glück. Schmieden soll man, bearbeiten, verfeinern, polieren und schließlich präsentieren und zum Verkauf stellen. Und genau damit lässt sich noch viel, viel mehr Geld verdienen. Ratgeberautoren und Diätclubs, Designer, Sportvereine und Parfumhersteller wollen (fast) alle nur eines: verkaufen, nämlich die Illusion vom perfekten Glück. Sie alle singen in Endlosschleife ein Lied vom vollkommenen Liebestaumel, dem wir kaum etwas entgegenzuhalten haben.
… und zahle!
Zu unserer Kultur gehören auch Bilder und Töne, die dieses Gefühl illustrieren und begleiten. Von der Plakatwand mit den H&M-Models, die sich frenetisch küssen, über alle Liebeslieder dieser Welt bis hin zu Büchern, Filmen und Werbespots werden wir von früh bis spät mit frisch verliebten Paaren bombardiert. Ein total verliebter Partner ist das »Must-have« jeder Saison. Die Verliebtheitsphase ist für unsere Kultur extrem interessant. Wer sie im Augenblick nicht genießen darf, will sie haben. Dafür sind alle bereit, das Portemonnaie zu öffnen. Ziel ist der Moment des Bewusstseins: »Ja, der/die ist es.« Dann geht das Spiel von vorne los, denn dauerhafte Partnerschaften sind weniger lukrativ.
Das glauben Sie nicht? Sehen Sie sich einmal eine Folge der beliebten »Bachelor«-Show an. Wochenlang sucht sich ein dümmlich grinsender Millionär aus einer Reihe von Frauen ohne Rückgrat diejenige aus, die der Programmdirektor bereits am Anfang der Show als Siegerin vorgesehen hat. Millionen Zuschauer fiebern mit. In dem Moment, in dem die »Beziehung« beginnt, ist die Show zu Ende. Und so sicher wie die nächste Staffel ist die Gewissheit, dass spätestens nach vier Wochen irgendein Online-Nachrichtenkanal das tragische »Liebes-Aus« der beiden ausweiden wird.
Bestehende Paare interessieren den Markt erst bei der Hochzeit kurzfristig wieder (Konjunktur für Brautmoden, Pferdekutschen, Gastronomie und Tourismus) und schließlich aufs Neue, wenn die Kinder auf die Welt kommen (Autos, Kindersitze, Babynahrung). Dann schaben die Banken noch ein bisschen mit Werbespots von fröhlichen Eltern im eigenen Garten am Einkommen der jungen Familien. Denn die brauchen zu ihrem Glück nichts mehr als ein schmuckes Eigenheim – und der Rest ist Schweigen.
»Boy meets girl« soll möglichst in den werbefreundlichen Zeitkorridoren stattfinden. Wer bis 35 noch unversorgt ist, hat sich wohl zu sehr um die Karriere gekümmert oder ist offenbar von der Natur benachteiligt. Er oder sie wird, abgesehen davon, dass man freundlicherweise täglich auf ihre oder seine Makel hinweist und teure Abhilfe verspricht, nicht weiter beachtet. Bis, ja, bis die große Scheidungswelle anrollt. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, wird eine riesengroße Konsumentenschicht endlich wieder frei: die späten Singles ab 40, die oftmals bereit sind, ein Vermögen für das Tuning ihres Körpers auszugeben, Datingbörsen zu frequentieren und noch einmal neu auf die Suche nach der großen Liebe zu gehen. In den Gazetten überwiegen Stars und Sternchen dieser Altersklasse, die sich wie die Teenies verlieben, wieder trennen, wieder neu die große Liebe verkünden, um sich kurz darauf wieder zu trennen.
Damit die Singles jenseits der 40 auch brav konsumieren, wird nonstop mit jung gebliebenen Vorbildern wie Halle Berry oder Brad Pitt vor ihrer Nase herumgewedelt, damit auch niemand auf die Idee käme, sich etwa gut genug zu fühlen. Zufriedenheit ist der Feind des Konsums. »A bisserl was geht immer«, scheint das Motto auf der Suche nach größtmöglicher Perfektion zu sein.
Miesmach-Millionen
Den Mangel zu betonen, Handlungsbedarf zu erzeugen, die Leute um Himmels willen niemals so zu lassen, wie sie nun einmal sind, verspricht größten Profit. Das Versprechen, »den perfekten Partner« zu...