Einleitung
„Die Automobilproduktion, wie wir sie heute kennen, wird es in Zukunft
nicht mehr geben.“ Hubert Waltl, Vorstand Produktion der AUDI AG
Die Welt der Zukunft ist durchgehend vernetzt. Dies wird Auswirkungen auf alle Gebiete des Lebens haben: Von Rasierklingennachbestellungen per Knopfdruck über die allgegenwärtige Gesundheitskontrolle per Smartwatch bis zu (teil-)autonomen Fahrzeugen, die das Mobilitätsdenken auf den Kopf stellen – kein Bereich wird von der Digitalisierung unberührt bleiben.
Bereits heute entscheiden Algorithmen in Sekundenbruchteilen für uns über die Relevanz von Suchergebnissen, Werbeeinblendungen sowie Investmententscheidungen. Doch nicht nur in offensichtlich computerbeeinflussten Bereichen hat die Informationstechnik Einzug gehalten, auch Einpark- oder Spurhalteassistenten im Fahrzeug basieren auf maschinellen Berechnungen. Denkt man diese Entwicklung weiter, so wird das Ausmaß der Digitalisierung erkennbar: die Vernetzung jeglicher Gegenstände – das sogenannte „Internet der Dinge und Dienste“. Hierbei sticht besonders hervor, dass bereits seit 2008 mehr Geräte mit dem Internet verbunden sind als es Menschen auf der Welt gibt (Vgl. Dziemba / Wenzel 2014, S. 79). Diese Entwicklung wird sich beschleunigt fortsetzen, wodurch ein Überdenken konventioneller Vorgehensweisen nötig ist, die aus einer Zeit stammen, in der die Vernetzung nicht (in gleichem Maße) vorlag – ja nicht einmal vorstellbar war. Die einzige Konstante ist somit die Veränderung, deren Geschwindigkeit inzwischen nicht nur exponentiell sondern hyper-exponentiell ansteigt.
Die öffentliche Diskussion zur Vernetzung des Produktionsbereichs mit den hieraus vermuteten Potenzialen und Wettbewerbsverschiebungen gibt ebenfalls einen Hinweis auf die Relevanz für den Mikrokosmos eines einzelnen Unternehmens aber auch den Makrokosmos einer gesamten Volkswirtschaft. Der Fokus der öffentlichen Diskussion liegt derzeit besonders auf Fragestellungen zur Position Chinas bei der Industrie 4.0-Kooperation mit Deutschland bzw. der Angst vor dem selbstverschuldeten Aufbau eines Wettbewerbers sowie den Plänen der USA und anderer Länder zur Reduzierung des eigenen Outsourcings industrieller Tätigkeiten und die Rückführung dieser Tätigkeiten ins eigene Land. Entgegen dieser weitestgehend politisch geprägten Sichtweisen lohnt aber auch die Anstrengung einer wissenschaftlichen Betrachtung technischer und wirtschaftlicher Zusammenhänge auf Unternehmensebene, um die Auswirkungen auf konventionell arbeitende Unternehmen richtig einordnen zu können. Diese wird unter Zuhilfenahme der Betrachtung von Geschäftsmodellen sowie ihrer Innovation angestellt. Aufgrund der erstmals auftretenden durchgehenden Vernetzung kann keine ex post Analyse angestellt werden – vielmehr ist eine ex ante Zukunftsprognose aus einer empirischen Untersuchung abzuleiten.
Hierbei wurde der Automobilsektor für die Betrachtung der vorliegenden Arbeit ausgewählt, da dieser einen der ältesten und wichtigsten Industriebereiche der deutschen Volkswirtschaft darstellt1 (So auch: BITKOM / Fraunhofer IAO (Hrsg.) 2014, S. 32) sowie aufgrund seines hohen Automatisierungsgrades und weitreichender Vernetzung (So auch: Brauckmann 2015, S. 14) direkt von den Umbrüchen der Digitalisierung betroffen sein wird.
Dies führt zur Problemstellung der vorliegenden Arbeit.
Problemstellung und Vorgehensweise
Die vorliegende Arbeit fügt sich in die aufgezeigte Entwicklung ein und fokussiert die Betrachtung auf den Bereich, den man in Deutschland als Industrie 4.0 bezeichnet – die Vernetzung des Produktionsbereiches, die weltweit unter dem Begriff „Smart Factory“ oder „Internet of Manufacturing“ eingeordnet wird. Hierbei soll die Forschungsfrage geklärt werden, ob und welche Auswirkungen sich durch Industrie 4.0 auf heutige Geschäftsmodelle ergeben. Wenn solche Veränderungen festgestellt werden, soll in einem zweiten Schritt die Implikation besagter Veränderungen auf das Geschäftsmodell der Automobilindustrie abgebildet werden.
Die vorliegende Bearbeitung gliedert sich in sieben Kapitel.
Im ersten Kapitel wird in die Relevanz der Arbeit eingeführt und der Stand der Forschung zu Geschäftsmodellen sowie Industrie 4.0 und deren Schnittfeldern dargestellt.
Hierauf folgt im zweiten Kapitel die Beschreibung der historischen Entwicklung der Industrialisierung. Ebenfalls findet eine Einordnung der aktuellen Diskussion der Thematik statt, da diese einen Auslöser des allgemeinen Interesses an Industrie 4.0 darstellt.
Das dritte Kapitel führt den Begriff des Geschäftsmodells ein, auf dessen Basis in der Literatur diskutierte Komponenten von Geschäftsmodellen analysiert werden. Anschließend werden sich gleichende Geschäftsmodellbestandteile herausgearbeitet und zu einer eigenen Arbeitsdefinition für den hiesigen Kontext des Geschäftsmodells weiterentwickelt. Die Nutzung dieses Rahmens erlaubt schließlich die Beschreibung des konventionellen Geschäftsmodells der Automobilhersteller.
Im nächsten Schritt findet die Einführung des Begriffs der Innovation im vierten Kapitel statt, welcher auf Geschäftsmodelle übertragen wird, sodass eine Definition der Geschäftsmodellinnovation erfolgen kann. Außerdem werden mögliche Einflussfaktoren identifiziert, die zu Veränderungen von Geschäftsmodellen führen und somit Geschäftsmodellinnovationen bedingen. Weiterhin werden die Anforderungen an Industrie 4.0-basierte Geschäftsmodelle als Treiber des Wandels sowie mit ihrer Umsetzung einhergehende Herausforderungen und Potenziale behandelt. Die organisatorischen Veränderungen stellen ein eigenes Unterkapitel dar und werden aufgrund ihres übergreifenden Charakters eigenständig behandelt bevor schließlich anhand bisheriger Erkenntnisse eine Hypothesenbildung zur empirischen Betrachtung obiger Fragestellung stattfindet.
Nachdem die Grundlagen und weiterführende Erkenntnisse berücksichtigt wurden, wird die empirische Untersuchung im fünften Kapitel unter Validierung bzw. Negierung der aufgestellten Hypothesen durchgeführt. Die Überprüfung findet durch Experteninterviews statt. Die Ergebnisauswertung dieser Interviews führt daraufhin zur Formulierung einer Geschäftsmodellvision eines Automobilherstellers im Zeitalter der vierten industriellen Revolution im sechsten Kapitel.
Abschließend folgen im siebten Kapitel das Fazit sowie ein Ausblick über weiterführende Forschungsfragen, welche auf dieser Bearbeitung aufbauen.
Stand der Forschung
Zu Beginn soll der Stand der Forschung in Bezug auf Industrie 4.0-basierte Geschäftsmodelle dargestellt und darauf aufbauend die Forschungslücke aufgezeigt werden, welche durch diese Arbeit geschlossen werden soll.
Die vorliegende Arbeit befasst sich dabei mit einem Schnittfeld zwischen der Darstellung von Geschäftsmodellen und dem Themenbereich Industrie 4.0. Obwohl beide Themen für sich bereits in der wissenschaftlichen Literatur behandelt werden ist auffällig, dass ihr Schnittfeld – die Auswirkungen von Industrie 4.0 auf Geschäftsmodelle – bisher weniger im Fokus der Betrachtungen stand.
Sogenannte Geschäftsmodelle stellen hierbei eine neuartige Betrachtungsweise der Unternehmenstätigkeit dar und rückten erst durch die wissenschaftliche Betrachtung von Entrepreneurship in den Fokus der Forschung. Sie stellen eine Methodik dar, mithilfe welcher vor allem Unternehmensgründer – aber auch andere Stakeholder, wie angestellte Manager oder interessierte Investoren – einen einfachen, aber umfassenden Überblick über die (zukünftige) Geschäftstätigkeit eines Unternehmens erhalten sollen.2 Die Methodiken von Osterwalder, Gassmann und anderen – die Darstellung einer Geschäftstätigkeit über mehrere Komponenten vom Kunden über den Nutzen und seiner Herstellung bis zur Kostenstruktur – stellen den aktuellen Stand der Geschäftsmodell-Forschung dar und werden an späterer Stelle detailliert behandelt. Im Verlauf der Arbeit wird aufgezeigt, dass die unterschiedlichen Methodiken zur Darstellung von Geschäftsmodellen in der Literatur Ähnlichkeiten aufweisen, da ein übergeordneter Rahmen allen in der Literatur vorkommenden Modellen (unbewusst) zugrunde liegt. Unbewusst deshalb, da die Logik einer Geschäftstätigkeit bestimmte Betrachtungen zwingend erfordert – diese jedem Geschäft elementar zugrunde liegen.
Eine Anwendung der Geschäftsmodellmethodik unter Verknüpfung mit Industrie 4.0 fand wie oben erwähnt bisher nur vereinzelt in der aktuellen Literatur statt, weshalb eine tiefgreifende Betrachtung weiterhin aussteht.3 Regelmäßig findet zwar der übergeordnete Wandlungstreiber – die Digitalisierung – Aufmerksamkeit, selbst solche Betrachtungen erwähnen jedoch nur das Vorhandensein von Potenzialen durch neue Geschäftsmodelle, eine detaillierte Beschreibung dieser Potenziale oder nötiger Veränderungen wird in der Regel nicht dargestellt.4 (Be-)Greifbare Änderungen an Geschäftsmodellen werden somit derzeit nur punktuell im Sinne von z.B. autonomem Fahren oder Zusatzdiensten per Internet diskutiert und nicht in genereller Weise angestellt. Hierbei handelt es sich regelmäßig um Betrachtungen, die nicht den Produktionsbereich umfassen und damit Industrie 4.0 und dessen Auswirkungen auf Geschäftsmodelle auch nicht tangieren. Vielmehr werden oft nur technische Möglichkeiten erläutert, der Weg von der Invention zur Innovation nach Schumpeter5 wurde hierbei bisher jedoch nicht bis zu Ende gedacht. Es fand hierbei gedanklich keine Umsetzung von der reinen Erfindung hin zu einer vom Markt akzeptierten Innovation statt.
Aufgrund der bisher nur unzureichend ausgeführten...