Was ist Enema?
Jahre dem Leben, den Jahren Leben
Wahlspruch eines Ayurveda-Resorts in Sri Lanka
Da kann einer Englisch, hinreichend, meint er, ist ein Berufsleben lang in aller Welt gut damit zurechtgekommen, auch bei Interviews mit allerlei Prominenz. Doch dann das: Enema. Was könnte das wohl bedeuten? Null Ahnung. Die Wissenslücke hat einen Schock zur Folge, gleich zu Beginn einer insgesamt überaus angenehmen Erfahrung.
Seit jener ersten intimen Begegnung mit dem altindischen »Wissen vom Leben« vor gut elf Jahren wurde aus dem anfänglichen Skeptiker trotz manch anderer noch folgender Missverständnisse ein Ayurveda-Anhänger. Die jährliche Kur in renommierten Ayurveda-Kliniken oder -Resorts Indiens und Sri Lankas unter Obhut erfahrener Ärzte, meist dritte oder vierte Generation von Ayurveda-Heilern, wird zur immer von neuem herbeigesehnten Gewohnheit. Da wandelt sich ein lebenslanger Gourmet zum Vegetarier, verrenkt die alten Knochen zu kniffligen Yoga-Figuren, kann ein Auto-Freak nicht lange genug durch die Gegend walken, verzichtet der von Berufs wegen newshungrige Journalist auch aufs Fernsehen. Dass für heimische Zeitungen das ferne Deutschland kaum je erwähnenswert ist, relativiert die eigene Wichtigkeit und weckt zwangsläufig das Interesse an der fremdartigen Welt ringsherum, für deren Eigenarten und Probleme, die oft so völlig anders sind als zu Hause, aber auch zum Kurerlebnis gehören.
All das entspannt Körper und Geist wie nie zuvor. Das persönliche Erleben bestätigt trotz mancher ungewohnter Praktiken und eher scheußlich schmeckender Medikamente weitgehend die Aussage eines Handbuches über die »sanfte indische Heilkunst«: »Sämtliche Behandlungsmethoden sind äußerst angenehm wie wohltuend. So zählen beispielsweise die Massagen zu den schönsten Erlebnissen überhaupt.«
Wie wahr. Beim ersten Mal, fern dem Stress des Journalistenalltags sowie des nervigen Flugs in einem der stets randvollen Jumbos nach Delhi, überlasse ich mich beim warmen Licht von Öllampen mit geschlossenen Augen dem unbeschreiblichen Wohlgefühl einer Synchronmassage von vier kundigen Händen im Kräuterölbad. Voller Vertrauen, dass die wissen, was sie tun.
Doch dann – siehe eingangs. Träge folge ich der Anweisung »turn aside, please«. Jäh werde ich aus dem so angenehmen Tagtraum gerissen und schrecke panisch hoch. Da macht sich jemand gar nicht sanft am Hinterteil zu schaffen, versucht etwas in den Anus zu schieben.
Der Schock ist beidseitig. Während ich hochfahre, fallen dem dritten Therapeuten fast Schlauch und Gefäß aus den Händen. »Enema, Sir«, stammelt einer der schlanken braunen Jungs verzweifelt. »Vasthi«, assistiert ein Kollege auf Hindi, was auch nicht weiterhilft.
Dann dämmert es mir trotz sprachlichen Nichtverstehens, was da im Gange war. Etwas, was man aus der Kindheit in wenig angenehmer Erinnerung hatte: Einen Einlauf wollten mir die Kerle verpassen. Das von der Ärztin als Behandlungsbestandteil sehr wohl angekündigte Enema hatte ich mangels medizinischer Sprachkenntnisse nicht mitbekommen, allenfalls gerätselt – »Anämie« habe ich doch gar nicht. So fiel der Schreck nach anderthalb Stunden wonnigen Geknetetwerdens ebenso unerwartet wie heftig aus.
Doch da es nun offensichtlich dazu gehört, lasse ich auch diesen weniger angenehmen Teil der Behandlung über mich ergehen, mit dem erwarteten durchschlagenden Ergebnis. Bei einer Übung, die rigorose Heiler auch zum vollen Programm der inneren Hygiene einer Panchakarma-Reinigungskur zählen, verweigert sich dann doch der Körper. Sich übergeben, das wurde nichts. Auch nicht nach einem Liter warmen Salzwassers und anderen Kotzhilfen bis zum Stochern mit der Zahnbürste im Hals. Wer als Kriegskind gehungert hat, dessen Magen gibt so leicht nicht wieder her, was mal drinnen ist, zumal dank der strengen Diät eh nicht viel da sein kann. Schließlich helfen kleine schwarze Pillen weiter, um doch noch von oben bis unten alles sauber zu kriegen.
Ansonsten kaum mehr Komplikationen. Drei Wochen weit weg von der turbulenten Welt da draußen. In Harmonie mit mir selbst. Das körperliche wie seelische Wohlbefinden steigert sich von Tag zu Tag, besonders nach der ersten Woche, als mein Körper sich auf die ungewohnte Situation umgestellt hat.
Sticheleien von Freunden wie »das hältst du doch nicht durch«, ihr Ködern mit einem Flachmann Malt Whisky pur besserer Sorte, »ein Schluck kann doch nicht schaden«, prallen am wissenden Lächeln des Kurenden ab. Ich bin ja nicht achttausend Kilometer geflogen, bloß um dann die eigene Behandlung zu sabotieren.
Als bekennender Genusstyp hatte ich zwar selbst vorher bezweifelt, ob es denn ohne all das gehen würde, was so lange zum Savoir-vivre gezählt hatte. Zumal dann alles noch drastischer kam, als ich es mir hatte vorstellen können. Plötzlich kein Fleisch mehr, kein Fisch, kein Ei, kein Gramm Fett, nicht mal Milch in der veganischspartanischen Nahrung aus gekochtem Gemüse, Reis, Haferflocken und ein paar Früchten.
Kein Alkohol, kein Kaffee, keine Süßigkeiten, kaum Fruchtsäfte. Keine Zigarette oder Zigarre. Zum Trinken warmes Wasser, Kräutertee, ohne Zucker natürlich. »Ich lebe sozusagen von Gras und Wasser«, schrieb ich, durchaus zur Schadenfreude der Familie, klagend nach Hause. Aber ich lebte trotz eines noch zusätzlichen (mehr oder weniger ernst gemeinten, das habe ich nie herausgefunden) Keuschheitsgebots tatsächlich gut mit der Fastenkur. Kein Hungergefühl, keine Gier nach Schmankerln, beinahe so, als sei’s nie anders gewesen.
Dazu, sicher hilfreich, immer volles Programm. Morgens um sechs Kräutertee, danach eine Stunde flotten Marsches – im Gegensatz zu späteren Erfahrungen anderswo, wo Ruhe als erste Patientenpflicht galt. Dann wieder Tee, Porridge und ein Apfel. Die schönsten Stunden des Tages: mehrhändige Massage im individuell gemixten Kräuterölbad, Kopfberieselung mit warmem Öl oder kalter Milch. Naseneinlauf mit scharfen Tropfen. Und ja, auch Enema, sanft appliziert und einmal gewohnt auch gleichmütig ertragen. Abwechselnd mit einer kleinen Dosis Öl-Kräuter-Essenz, die über den Darm auf den ganzen Organismus einwirken soll und einer vollen Ladung warmen Wassers, auch das mit allerlei Heilkräutern vermischt.
Wegdämmern bei leiser Musik, indisch oder klassisch, und alle Sorgen vergessen. Wohlriechende Räucherstäbchen, das eine oder andere Buch, für das ich sonst nie Zeit fand (obwohl einige asketische Ärzte auch das schon für zu viel Ablenkung halten). Yoga bei einer professionellen Lehrerin, die auch vom Schüler höchstmögliche Perfektion verlangt. Noch eine Stunde flotten Marschierens, mal auch zwei. Freuen auf den nächsten Tag. Erstes Erfolgserlebnis: Die ungewohnten Yoga-Übungen werden von Tag zu Tag gelenkiger absolviert, nicht zuletzt, weil auch die Waage, wie erfreulich, täglich ein Pfund weniger anzeigt.
Die Massagen wechseln zur Abreibung mit Leinenbeuteln, gefüllt mit einer Milch-Reis- und Kräutermischung, die dann noch in warmes Öl getaucht werden. Der speziell dafür geeignete Reis muss bis zu acht Tage lang geköchelt werden. Gespräche mit Doktoren, die sich nach näherem Kennenlernen alle Zeit nehmen, über Sinn, Zweck und Wirkung von Ayurveda Auskunft geben. Auf Fragen nach etwaigen Risiken immer dieselbe, vielleicht allzu selbstsichere Antwort: keine.
Das sind Heilkundige, die sich durch Blick auf Augen, Zunge, Antlitz, Fingernägel, Haare, die gesamte Erscheinung und immer wieder Fragen ein Bild vom Zustand eines Menschen machen. Dazu die Art, wie man sich bewegt, die Stimme, Abhören und vor allem ein dreifingriger Druck auf die Handwurzeln, die so genannten Pulsdiagnose, verrät dem Arzt den ayurvedischen Typus des Patienten, signalisiert ihm aber auch Herzstörungen, Bluthochdruck, Lungenentzündung, Nierensteine, Fettleber, Bronchitis, Schwindel, Migräne, Arthritis, Diabetes, Verdauungsstörungen und noch vieles mehr, was er da sehen, fühlen, ertasten und sodann diagnostizieren kann.
Ich habe da im Lauf all meiner Behandlungen tatsächlich die erstaunlichsten Erfahrungen gemacht. Mir wurden Krankheiten aus ferner Vergangenheit auf den Kopf zugesagt, die ich selbst längst vergessen hatte. Das veranlasste mich, einmal einen kompletten »Leidens-Kalender« meines ganzen Lebens zusammenzustellen, der, wie ich erschreckt feststellte, gut für eine halbe Kompanie reichen könnte. Aber nun bin ich auch an Bakterien, Viren, Unfälle und Verwundungen in aller Welt geraten, als hätte ich so etwas immer magisch angezogen.
Die indischen Ärzte erklärten mir, dass in der klassischen altindischen Sanskrit-Sprache Ayur Leben und Veda Wissen bedeutet und Ayurveda, das Wissen vom Leben, mit einer Tradition von mehreren Jahrtausenden die älteste Heilkunde der Welt, somit Mutter aller Medizinen sei. Sie baut, wie die ältesten ayurvedischen Texte vermitteln, auf drei Säulen: ausgeglichene Ernährung und guter Schlaf, geistige Hygiene und gesundes Sexualleben – ja das auch, vielleicht könnte die katholische Kirche hier noch etwas dazulernen.
Ayurvedische Medizin ist vom Prinzip her nicht auf Bekämpfung spezifischer Einzelstörungen ausgerichtet. Sie ist vielmehr das totale Gegenteil moderner Apparatemedizin, die jedes Symptom getrennt diagnostiziert und behandelt. Der Ayurveda-Arzt hat immer den gesamten Menschen vor sich, nicht seine gerade akuten Leiden. Körper, Geist und Seele gelten als untrennbare Einheit, deren kombinierte Selbstheilungskräfte im Patienten aktiviert werden müssen. Jeder Mensch wird strikt individuell behandelt. Zwei gleiche Patienten mit gleicher Therapie gibt es nicht, auch wenn sie die gleichen Symptome zeigen.
Die Menschen...