2. Rechtliche Aspekte
In Deutschland existiert bislang keine rechtliche Regelung für die anonyme Kindesabgabe. Aus diesem Grund wirft die Praxis Rechtsfragen in unterschiedlichen Bereichen auf. Da es bis zu diesem Zeitpunkt noch keine spezifische Regelung gibt, kann nur das geltende Recht „Maßstab für eine Untersuchung der Rechtsmäßigkeit der gegenwärtigen Angebote“[197] sein.
Die von den Betreibern, wie beispielsweise SterniPark, suggerierte Straffreiheit liegt an sich nicht vor. Eine anonyme Kindesabgabe ist aus strafrechtlicher Hinsicht nicht ganz unproblematisch[198].
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Kinderschutzmaßnahmen verbessert. So kam es „im Rahmen der ersten internationalen Kinderschutzkongresse zur Geltendmachung der Rechte der Kinder“[199]. Anders als zur Zeit der Findelhäuser, steht heute nicht nur das Überleben der Kinder zur Diskussion, auch die „durch die Geheimhaltung der Mutterschaft genommenen Rechte“[200] spielen eine bedeutende Rolle.
„Den Rechtsrahmen bilden [...] in erster Linie die Vorschriften des Personenstands- [PStG] und des Staatsangehörigkeitsrechts [StAG], die Normen des bürgerlichen Gesetzbuches [BGB], des Strafrechts sowie des Sozialrechts“[201].
Zunächst wird auf das Familienrecht mit dem Aspekt der Elternschaft hingewiesen. Es schließt sich daran eine Erläuterung zur möglichen Strafbarkeit im Bereich des Personenstandsrechts an. Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit einigen wichtigen Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch. Nach einer Ausführung des Adoptionsrechts folgt die Darstellung der internationalen Rechtslage. Der nächste größere Abschnitt enthält die betroffenen Grundrechte, die für oder gegen eine anonyme Kindesabgabe sprechen. Daran schließt sich der Kompromiss, die geheime Geburt, an. Es folgt die politische Entwicklung mit Gesetzesentwürfen vom Jahr 2000 bis heute. Den Abschluss des rechtlichen Teils bildet eine Zusammenfassung.
2.1 Familienrecht
Die durch Babyklappe und anonyme Geburt entstandenen Findelkinder besitzen keine Kenntnisse über ihre Eltern. „Das deutsche Familienrecht kennt [allerdings] keine Elternlosigkeit, auch nicht vorübergehend“[202]. Laut § 1591 des Bürgerlichen Gesetzbuches[203] gilt ausnahmslos, dass die Frau, die ein Kind geboren hat, auch dessen Mutter ist. Während die Frage nach der Mutter immer sicher ist, gibt § 1592 BGB Auskunft über die Vaterstellung. Hiernach ist‚Vater eines Kindes [...] der Mann, [...] der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist, [...] der die Vaterschaft anerkannt hat oder [...] dessen Vaterschaft nach § 1600d oder § 182 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gerichtlich festgestellt ist‘[204]. Für Mutter und Vater ist es folglich nur möglich durch eine Änderung der beiden Paragraphen von ihren elterlichen Pflichten befreit zu werden. Eine „rechtlich legitimierte anonyme Weggabe eines Kindes“[205] würde den Eltern im Umkehrschluss erlauben sich ihrer Pflichten der Elternschaft zu entledigen. Zum heutigen Zeitpunkt gibt es nur die Möglichkeit Verwandtschaftsverhältnis und Rechtsbeziehung zwischen dem leiblichen Kind und dessen Eltern durch ein Gerichtsurteil im Vaterschaftsanfechtungsverfahren oder ein gesetzlich geregeltes Adoptionsverfahren[206] aufzuheben[207].
Durch die Anonymität können die Rechtsbeziehungen zwischen den drei betroffenen Personen nicht mehr wahrgenommen werden. „Alle auf der Abstammung beruhenden Familienrechte des Kindes wie sein Recht auf Fürsorge und Erziehung durch die Eltern, auf Unterhalt und sein Erbrecht fallen ins Leere“[208]. Dies widerspricht dem geltenden Familienrecht.
2.2 Personenstandsrecht
Wie das Familienrecht, so ist auch das Personenstandsrecht[209] von der anonymen Kindesabgabe betroffen. „Das Personenstandsgesetz regelt im Kern die formalen Voraussetzungen zur Begründung und Änderung des Personenstandes“[210]. Bei der anonymen Kindesabgabe werden die Meldepflichten des Gesetzes zu einer Geburt nicht vorschriftsmäßig eingehalten.
„Die Geburt jedes Kindes ist dem zuständigen Standesbeamten binnen einer Woche anzuzeigen (§§ 18 bis 20 PStG i. d. F. ab 1.1.2009)“[211]. Im Geburtenregister muss mindestens der Vor- und Familienname des Kindes, der genaue Zeitpunkt der Geburt, das Geschlecht des Neugeborenen und die Vor- und Familiennamen seiner Eltern dokumentiert werden (§ 21 Abs. 1 PStG). Auch bei der Geburt eines toten Babys müssen diese Angaben eingetragen werden (§ 21 Abs. 2 PStG). Im Gesetz ist keine Ausnahme von der Anzeigepflicht vorgesehen[212]. Tatsächlich „erfolgt [jedoch] bei anonymer Kindesabgabe in den überwiegenden Fällen keine oder nur eine erheblich verspätete Anzeige beim Standesamt, zudem ohne die Daten zur Herkunft des Kindes“[213]. So sind die Abgegebenen mehrere Wochen für die staatlichen Stellen unbekannt. Dies ändert sich erst mit der Einleitung des Adoptionsverfahrens[214]. „Anders ist es nur in den Bundesländern, in denen die Jugendämter mit den Anbietern eine Vereinbarung treffen konnten, die die Anbieter verpflichtet, jedes anonym abgegebene Kind sofort dem Jugendamt zu melden“[215].
Zur Anzeige verpflichtet sind an erster Stelle die sorgeberechtigten Eltern des Kindes (§ 19 Abs. 1 PStG). Falls „die sorgeberechtigten Eltern an der Anzeige gehindert sind“, muss „jede andere Person, die bei der Geburt zugegen war oder von der Geburt aus eigenem Wissen unterrichtet ist“, den zuständigen Standesbeamten in Kenntnis setzen (§ 19 Abs. 2 PStG). Bei Entbindungen „in Krankenhäusern und sonstigen Einrichtungen, in denen Geburtshilfe geleistet wird, ist der Träger der Einrichtung zur Anzeige verpflichtet“ (§ 20 PStG). „Den Betreiber einer Babyklappe und die Einrichtungen, die anonyme Geburten anbieten, trifft keine Anzeigepflicht, soweit sie nicht von der Geburt aus eigenem Wissen unterrichtet sind und wegen dieses Wissen unter den in § 19 Nr. 2 [...] genannten Personenkreis fallen“[216].
Mitarbeiter, die ein Neugeborenes in einer Babyklappe auffinden, sind allerdings verpflichtet, das Findelkind spätestens am folgenden Tag des Auffindens, der Gemeindebehörde anzuzeigen (§ 24 Abs. 1 PStG). „Die zuständige Verwaltungsbehörde setzt [dann] nach Anhörung des Gesundheitsamts den vermutlichen Ort und Tag der Geburt fest und bestimmt die Vornamen und den Familiennamen des Kindes“ (§ 24 Abs. 2 PStG). „Personenstandsrechtlich ist ein Findelkind jedes Neugeborene, das ohne erkennbaren verwandtschaftlichen Zusammenhang hilflos in einer Umgebung gefunden wird, die nicht weiß, woher es stammt“[217]. Es „gilt bis zum Beweis des Gegenteils als Kind eines Deutschen“ (§ 4 Abs. 2 StAG[218]).
SterniPark vertritt die Auffassung, dass es sich bei den in einer Babyklappe Abgelegten nicht um Findelkinder, sondern um Personen mit ungewissem Personenstand handelt. Daraus ergibt sich, dass die Babys nicht gefunden werden und daher nicht von ihrem Finder bei der zuständigen Behörde angezeigt werden müssen[219]. Aber in der Begründung von § 25 heißt es eindeutig, dass Personen mit ungewissem Personenstand nicht „wegen ihres geringen Alters hilflos“[220] sind. Die Auffassung und das Handeln von SterniPark ist folglich nicht rechtskonform.
Bei einer anonymen Geburt in einem Krankenhaus handelt es sich nicht um ein Findelkind, da Geburtsort und -zeitpunkt feststehen. In diesem Fall wird nach § 25 gehandelt. Das Kind wird als Person mit ungewissem Personenstand verstanden[221].
Als ein nicht unbedeutender Faktor erweist sich die Schweigepflicht der Ärzte und Mitarbeiter einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle nach § 53 Abs. 1 StPO[222]. Die ärztliche Schweigepflicht „wird als eine der höchsten Berufs- und Standespflichten des Arztes bewertet“[223]. Sollte ein Arzt Kenntnis über die Personendaten der Mutter oder beider Elternteile erhalten haben, so bleibt er „gemäß §§ 18, 19 PStG auch dann verpflichtet, die Geburt anzuzeigen, wenn er vorher der Frau Anonymität zugesichert hat“[224]. Das geltende Personenstandsrecht lässt keine Ausnahme zu. Bei einer Offenbarung der Daten handelt es sich somit nicht um eine Verletzung von Privatgeheimnissen gemäß § 203 StGB[225] [226].
„Wird die Anzeige der Geburt gegenüber dem zuständigen Standesbeamten nicht veranlasst und kann diese auch durch die Androhung eines Zwangsgeldes nicht erzwungen werde, begeht der zur Anzeige Verpflichtete eine Ordnungswidrigkeit [...], die mit einer Geldbuße geahndet werden kann“[227] (§ 70 PStG).
„Soweit dem Standesamt Tatsachen bekannt sind, die die Annahme rechtfertigen, dass einer Person durch...