Kapitel 2:
Erlebte Symptome
2.1 Definitionsversuche
Das Burn-out-Syndrom ist keine offiziell anerkannte Krankheit, sondern eher eine Beschreibung für einen Zustand, der sich aufgrund seiner hochkomplexen Entstehungsweise in verschiedenen Facetten zeigen kann. Daher gibt es keine einheitliche Definition des Burn-out-Syndroms nach den Klassifikationen der WHO. Auch in der im deutschen Gesundheitswesen verbindlichen 10. Auflage der „Internationalen Klassifikation der Erkrankungen, ICD-10“ wird Burn-out nicht aufgeführt. Der Begriff wird im ICD-10 jedoch unter der Überschrift „Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen“, im Abschnitt Z73.0 „Ausgebranntsein, Burn-out, Zustand der totalen Erschöpfung“ erwähnt.
Burn-out-Syndrom
Etymol.: engl.; Symptomenkomplex mit Verlust der körperlichen und seelischen Leistungs- u. Regenerationsfähigkeit. Häufig bei Angehörigen sozialer Berufe. Ätiol.: emotionale Überbeanspruchung; Daueranspannung; berufliche Situationen, in denen begrenzte Handlungsmöglichkeiten als besonders belastend erlebt werden. Klinik: 1) Anfangsphase mit chronischer Müdigkeit u. Energiemangel; 2) Phase reduzierten Engagements mit Überdruss an der Arbeit, zunehmenden Fehlzeiten, Reaktion auf das Umfeld mit Schuldzuweisungen, Frustration oder Aggression; 3) Abbauphase mit Leistungsabfall, Konzentrationsstörungen, „Dienst nach Vorschrift“, mangelnder Veränderungsbereitschaft; 4) Phase der Verflachung, geprägt von emotionalem, sozialem u. geistigem Rückzug mit Auswirkung auf Privatleben und feindseligem Verhältnis zu Mitarbeitern oder Klienten. Psychosomatische Beschwerden mgl.; erhöhte Suizidgefahr, Gefahr des Drogenmissbrauchs. [Roche Lexikon Medizin 2003]
Das „Klinische Wörterbuch“ beschreibt Burn-out als „Zustand emotionaler Erschöpfung, reduzierter Leistungsfähigkeit und eventuell Depersonalisation infolge einer Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität bei Personen, die Arbeit mit oder am Menschen ausführen; Endzustand eines Prozesses von idealistischer Begeisterung über Desillusionierung, Frustration und Apathie; Symptome: psychosomatische Erkrankungen, Depression oder Aggressivität, erhöhte Suchtgefahr …“ [Pschyrembel 2006].
Unter energetischen Gesichtspunkten beschreibt Schröder (2006) Burn-out als eine zu hohe Energieabgabe unter permanent zu hoher Anspannung für eine zu geringe Wirkung bei ungenügendem Energienachschub. Technisch könnte man dies mit einer Öllampe vergleichen, die nicht über genügend Brennstoff verfügt, dennoch aber helles Licht abgeben soll. Dies ist physikalisch nicht möglich. Unterschiedliche Autoren bedienen sich zur Beschreibung des Burnouts der deutschen Redewendung „die Kerze an beiden Enden anzünden“. Dies kommt dem Geschehen zwar nahe, berücksichtigt aber nur den Aspekt des Abbrennens, nicht den des unerfüllten Sehnens, der Diskrepanz zwischen Erwartungen und Wirklichkeit, der illusionären Verkennung der eigenen Möglichkeiten und der maximalen Anstrengung.
Chronischer, überbordender Stress führt zu Erschöpfung und Burn-out
Ängstlichkeit, Zukunftsängste, Mut-/Entschlusslosigkeit
Nervosität, innere Unruhe, Müdigkeit („wired but tired“)
Ein- und Durchschlafstörungen
Kopfschmerzen, Migräne
Erschöpfung, Kraftlosigkeit, fehlender Antrieb
Motivationsverlust, „Batterien leer“, „Akkus leer“
Gewichtszunahme, Heißhungergefühle
kardiovaskuläre Beschwerden, Herzrhythmusstörungen
Libidomangel
Das Burn-out-Syndrom ist kein vorübergehendes Unwohlsein, kein Stimmungstief, und es betrifft nicht nur Menschen, die kein dickes Fell haben. Nach unserer Meinung ist Burn-out durchaus eine ernst zu nehmende Erkrankung. Sie überfällt einen nicht von heute auf morgen, sie schleicht sich langsam über die Jahre an, während man mit der Alltagsbewältigung beschäftigt ist. Werden Menschen über einen längeren Zeitraum dauerhaft überfordert, lassen sich zeitversetzt zu den körperlichen Reaktionen typische Verhaltensänderungen beobachten:
Hast und Ungeduld (z.B. Essen verschlingen, Pausen verkürzen oder ausfallen lassen, schnell sprechen und andere unterbrechen, schneller Auto fahren)
Betäubungsverhalten (z.B. mehr rauchen, viel Alkohol trinken, Beruhigungsmittel oder Aufputschmittel nehmen, Konsumdrang)
unkoordiniertes Arbeitsverhalten (mehrere Dinge gleichzeitig tun, sich in Arbeit stürzen, mangelnde Planung und Organisation)
konfliktreicher Umgang mit anderen Menschen (z.B. Zynismus, anderen Vorwürfe machen, aggressives Verhalten gegenüber Nahestehenden)
Hinzu kommen kognitiv-emotionale Reaktionen, also Gedanken und Gefühle (intrapsychische Vorgänge), die für Außenstehende nicht oder nur indirekt sichtbar sind. Zu diesen Reaktionen zählen z.B. innere Unruhe, Unzufriedenheit, Hilflosigkeit, Ärger, Versagensängste, Leere im Kopf oder kreisende, grüblerische Gedanken. Burn-out bedeutet ganzheitliche Erschöpfung in folgenden Bereichen:
Körperlich: Ich kann nicht mehr.
Psychisch: Ich freue mich über nichts mehr.
Geistig: Ich habe keine Einfälle mehr.
Sozial: Ich habe keine Freunde mehr.
Interessanterweise erkrankt aber nicht jeder an Burn-out, der in seinem beruflichen oder privaten Umfeld über einen längeren Zeitraum hinweg hohen Anforderungen ausgesetzt ist. Ob ein Mensch in einer anhaltenden Belastungssituation ausbrennt und wie schnell das vor sich geht, hängt nicht nur von den Umständen, sondern auch von ihm selbst, von der Belastbarkeit seines Organismus, seiner genetischen Prädisposition und seiner Persönlichkeitsstruktur ab.
Burn-out entsteht aber immer dann, wenn die beiden folgenden Voraussetzungen zutreffen:
Der Betroffene erlebt über einen längeren Zeitraum hinweg eine stark erhöhte Beanspruchung infolge von Über- oder Unterforderung, die ihn dazu zwingt, einen ständig wachsenden Anteil seiner psychophysischen Ressourcen zu aktivieren.
Aufgrund der persönlichen Ansprüche, Sozialisation, Einstellungen, Wertvorstellungen und Gewohnheiten ist der Betroffene nicht in der Lage, sich trotz der erlebten Frustration oder Misserfolge von seiner beruflichen Tätigkeit und ihren Ansprüchen zu distanzieren.
Das Burn-out-Syndrom bezeichnet einen Zustand umfassender körperlicher, emotionaler, geistiger und sozialer Erschöpfung, der über einen längeren Zeitraum andauert, keine primär körperlichen Ursachen hat und den Betroffenen in einer ständig schneller werdenden Abwärtsspirale gefangen hält.
Über Jahrzehnte hinweg sah man Burn-out ausschließlich als Folge von andauernder Überforderung. Heute weiß man, dass auch Menschen in eine ähnliche Abwärtsspirale geraten können, die chronisch unterfordert sind, die mehr leisten könnten, als von ihnen gefordert wird, die sich an ihrem Arbeitsplatz keinen Herausforderungen mehr stellen müssen und an Routine ersticken. Oder die ihren Vorgesetzten und Kollegen gegenüber so tun, als hätten sie viel zu erledigen, obwohl keine Aufgaben anstehen. Diese Form des Ausbrennens wegen andauernder Unterforderung wird in der Literatur auch als „Bore-out“ (von engl. to bore: langweilen) bezeichnet, also unerträgliche und gleichfalls auf Dauer krank machende Langeweile [Rothlin et al. 2007].
2.2 Die Stufen der Burn-out-Spirale
Am Anfang des Burn-out-Syndroms steht meist ein psychisches Unwohlsein in Form von Abgeschlagenheit, verstärkten Unlustgefühlen und Schlafstörungen. In der nächsten Phase treten verstärkt psychosomatische Beschwerden auf. Wenn sich die Ursachen, die persönlichen Ansprüche und Einstellungen in dieser Phase nicht verändern, leidet der Betroffene unter massiver Unzufriedenheit, fühlt sich als Versager. Zuletzt schlägt die Erschöpfung in Verzweiflung um. Die emotionale Spannung reicht in der letzten Phase von Depressionen bis hin zu existenziellen Ängsten mit Selbstmordgedanken und -versuchen.
Einen typischen Verlauf mit einer bei allen Betroffenen anzutreffenden Symptomatik gibt es nicht. Auszubrennen ist ein Prozess, der individuell höchst unterschiedlich verläuft. Die Entwicklung eines Burn-out lässt sich am besten mit dem Bild einer Spirale verdeutlichen, die sich langsam, aber stetig nach unten hin enger zuzieht. Das Ausbrennen geschieht kontinuierlich und ist nicht durch exakte Stufen gekennzeichnet....