Balanced Scorecard als Instrument für das qualitätsorientierte strategische Sozialmanagement
Vielfach wurde (und wird immer noch) bei der Diskussion um das Management in Sozialen Organisationen bzw. allgemein im Nonprofit-Bereich von einem unüberwindbaren Gegensatz zwischen einer guten und einer bösen Welt gesprochen. Der Nonprofit-Bereich wird als „Welt des Guten und der Moral“ verstanden, das Management ist der „bösen Welt“ zuzuordnen, in der wirtschaftliche vor humane Aspekte in den Vordergrund gestellt werden (vgl. Hanfland/Spinola 1997, S. 67). Diese vereinfachende und wenig differenzierende Betrachtungsweise führte lange Zeit dazu, dass das Management für Soziale Organisationen (= Sozialmanagement) nicht thematisiert wurde. Erst seit Ende der 80er-Jahre (vgl. Müller-Schöll/Priepke 1989) wird das Sozialmanagement intensiv diskutiert, einhergehend mit einem Paradigmawechsel von der bürokratischen bzw. inputorientierten zur outputorientierten Steuerung Sozialer Organisationen (zum Beispiel resultierend aus und einhergehend mit der Verknappung von Geldern und neuen gesetzlichen Vorgaben).
Da das Management in und für Soziale Organisationen erst seit Ende der 80er-Jahre thematisiert wird, stellt sich für diese immer noch die Frage nach geeigneten Managementinstrumenten. Heute sind betriebswirtschaftliche Steuerungselemente und Konzepte des Managements notwendig, um mittel- und langfristig das Überleben einer Sozialen Organisation bzw. Einrichtung zu sichern und um vorhandene Ressourcen effizienter zu nutzen (vgl. Puch 2000, S. 56). „Ökonomische Kategorien und Strukturierungsverfahren für die Soziale Arbeit“ werden nach Merchel (2006, S. 72) auch weiterhin zu einem integrativen Bestandteil der Gestaltung sozialer Einrichtungen und Dienste heranwachsen. Unter diesen Gesichtspunkten wird mit dieser Arbeit ein aus dem betriebswirtschaftlichen Kontext stammendes Management- und Qualitätsinstrument – die Balanced Scorecard – vorgestellt und auf seine Eignung für den Sozialbereich überprüft.
Die Balanced Scorecard (BSC – ausgewogener Berichtsbogen) ist ein zu Beginn der 90er-Jahre entwickeltes Managementinstrument, das bisher hauptsächlich in erwerbswirtschaftlichen Unternehmen eingesetzt wird. Mit diesem Instrument wird grundlegend davon ausgegangen,dass zur Steuerung und für den Erfolg von Organisationen in gleichem Maße Ziele bezüglich der Finanzen, der KundInnen, der internen Prozesse und des Lern- und Entwicklungspotenzials der Organisation zu setzen und zu erreichen sind. Die wichtigsten und zentralen strategischen Ziele der Organisation, die in einer Ursache-Wirkungsbeziehung stehen sollten, werden mit Maßgrößen und Zielvorgaben verbunden, anhand derer die Zielerreichung überprüft werden kann. Die notwendigen Maßnahmen zur Zielerreichung werden ebenfalls in der Balanced Scorecard festgehalten.
An sich ist die BSC als Managementinstrument bekannt. Da der Aspekt der Qualität der Leistungen Sozialer Organisationen derzeit einen zentralen Faktor in Managementkonzepten darstellt, wird mit dieser Arbeit auch überprüft, inwiefern die BSC ein qualitätsorientiertes Management unterstützt.
Wie weit der mit dem qualitätsorientierten Management verbundene betriebswirtschaftliche Terminus bereits Eingang in den Sozialbereich gefunden hat, stellt Schernus (1997, S. 21) in pointierter Form dar:
Rotkäppchen im Modul-Zeitalter
Eine marktorientierte, qualitätsgesicherte Übersetzung
Die Story beginnt fokussierend auf die Interaktion zweier Elemente eines familiären Subsystems: Mutter und Tochter.
Mutter: „Rotkäppchen, zu unserem familiären Network gehört Grandma. Ihre Produktionskraft ist zwar erlahmt, ihre Kaufkraft jedoch intakt. Sie kann Dienstleistungen zielorientiert in Anspruch nehmen und entsprechend vergüten. So trägt sie zur Stabilität unseres Gesamtsystems bei. Allerdings erzwingt ihr psychophysischer Gesamtzustand einigen Aufwand in den Betreuungsleistungen. Ein Fall von Case-Management. Nimm's in deine Hand. Bring ihr ein paar adressatengerechte Produkte.“
Rotkäppchen: „Ziemlich top down gemanagt, Mum. Hast du in deinem Qualitätszirkel nicht gelernt, dass ein produktives Arbeitsklima einen dialogischen Führungsstil erfordert? Menschenbild überprüfen, Ma'am, don't forget it!“
Mutter (etwas affektiv dereguliert): „Damned kid! Grandma trägt effektiv zur Standardverbesserung deines Outlooks bei. Dein roter Hut hätte unsere Kaufkraft total überfordert.“
Rotkäppchen: „Nicht gerade trendy, das Rot! Na denn, im Sinne von total business partnership übernehme ich die Prozessverantwortung für diesen kundenorientierten Service. Wie sieht dein Angebotsprofil eigentlich aus?“
Mutter: „Cake und eine bottle Jonny Walker.“
Rotkäppchen: „Da war wohl die Bedürfnisorientierung dein zentrales Gestaltungsprinzip. ISO 9001, wenn ich nicht irre.“
Mutter: „Vor allem: Prozessqualität vor Ergebnisqualität. Deshalb beweg dich. Besinn dich auf deine Innovationsfreundlichkeit, die Grandma so liebt, mein Kind, und geh das Projekt zielorientiert an. Und pass auf: Ohne critical pathways und practice guidelines kann der Weg zu enormen Fallverlusten führen.“
Rotkäppchen: „O. k., Ma'am. Let us die Qualitätsdiskussion finishen. Das Procedere ist genannt, die Ergebnisrelevanz erkannt. Allerdings finde ich, dass Grandma fehlplatziert ist. Mitten im Wald, das ist doch gegen jedes Normalisierungsprinzip.“
Mutter: „Vergiss nicht die modulbegleitende Kommunikation und sag Grandma guten Tag. Nur so kannst du die zufriedene Ausgeglichenheit bei ihr erzeugen, die gleichzeitig eine Weiterentwicklungsoption enthält. Weich in keinem Fall vom Projektstrukturplan ab, indem du modulüberschreitende Interessen zeigst.“
Rotkäppchen: „Relax, Ma'am. Bin voll am Wert-Kosten-Quotienten orientiert.“
So ging Rotkäppchen in die komplexe Natur (Wald) hinaus.
Da kam der böse hungrige Wolf und starrte sie voller Sozialneid an …
Auch mit der Balanced Scorecard werden betriebswirtschaftliche Begrifflichkeiten aufgegriffen. Mit dieser Arbeit soll jedoch der Sprache und dem Wesen sozialer Arbeit insofern entsprochen werden, dass die BSC zum einen auf eine Art und Weise erläutert wird, dass sie auch den vorwiegend (sozial-)pädagogisch, soziologisch und psychologisch ausgebildeten Tätigen im sozialen Bereich verständlich ist, und zum anderen auch den Besonderheiten Sozialer Organisationen entspricht.
Die spannende Frage ist dabei: Ist der erste Eindruck, dass die BSC ein Managementinstrument ist, welches auch für soziale Organisationen Sinn macht, haltbar? Dieser Eindruck entsteht zunächst, da die BSC differenziert zu sein scheint: Nicht nur die Finanzen einer Organisation sollen zukunftsweisend gesteuert werden (können), sondern auch der Umgang mit Kunden, mit MitarbeiterInnen, mit dem Lern- und Entwicklungspotenzial der Organisation allgemein und den internen Geschäftsprozessen.
Zur Beantwortung dieser Frage und damit für die Untersuchung und Darstellung der Balanced Scorecard als Management- und Qualitätsinstrument im Kontext Sozialer Organisationen ergibt sich folgender Aufbau der Arbeit:
Die Darstellung und Abgrenzung der Institutionen, welche in der vorliegenden Arbeit unter Sozialen Organisationen verstanden werden, wird in Kapitel 1 („Management in Sozialen Organisationen“) vorgenommen. Zudem wird in diesem Kapitel dargestellt, welche Spezifika Soziale Organisationen, zum Beispiel im Gegensatz zu erwerbswirtschaftlichen Unternehmen, aufweisen. Diese Besonderheiten und Strukturen der Organisationen stellen den Handlungsrahmen für das „soziale“ Management dar und sind zudem der Kontext, auf den sich Überlegungen zur Qualität in dieser Arbeit beziehen. Daran anschließend wird das Management in Sozialen Organisationen erläutert, welches in der Regel als Sozialmanagement bezeichnet wird. Der Schwerpunkt liegt in der Darstellung dessen, wodurch sich das Sozialmanagement auszeichnet und welche Funktionen und Aufgaben durch das Management zu erfüllen sind. Dieses Kapitel verweist bereits indirekt darauf, welche Anforderungen sich an ein Managementinstrument für Soziale Organisationen stellen.
In Kapitel 2 („Aspekte der Qualität in Sozialen Organisationen“) wird begründet, warum die Qualität in Sozialen Organisationen für diese derzeit ein zentrales Thema ist, was unter Qualität – vor allem im Kontext Sozialer Organisationen – verstanden werden kann und welche Eigenheiten sozialer Dienstleistungen den Qualitätsbestimmungen zugrunde liegen. Zudem wird explizit auf die Verbindung von Qualität und Management eingegangen. Die Erfüllung bestimmter Anforderungen und Aufgaben hinsichtlich der Qualität in Sozialen Organisationen wird als integraler Bestandteil des Managements verstanden. 1 Deutlich wird, welche Schwierigkeiten sich für das Management (und die MitarbeiterInnen) ergeben, wenn Qualität in Sozialen Organisationen definiert, erreicht und überprüft werden soll.
Davon ausgehend, dass eine Verbindung zwischen Qualität und Management grundsätzlich gegeben ist (auch wenn nicht...