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Bergsommer

Wie mir das Leben auf der Alp Kraft und Klarheit schenkte. Eine wahre Geschichte.

AutorKatharina Afflerbach
VerlagEden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Erscheinungsjahr2019
ReiheSehnsuchtsorte 8
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783959102346
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Eine junge, erfolgreiche Frau steigt aus - raus aus dem Großstadtleben, rauf auf eine Alp in den Schweizer Bergen. In drei Sommern erfährt Katharina Afflerbach, was es heißt, ein Leben zu führen, das von Tieren, körperlicher Arbeit und von Wind und Wetter bestimmt wird: morgens um halb sechs Ziegen melken, Rinder auf die Weiden führen, Käse machen, Heu mähen und Bäume fällen. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang gibt es zu tun, alle müssen sich dafür aufeinander verlassen können, und Arbeit und Leben gehen Hand in Hand. Während der Sog der Berge Katharina fest im Griff hat, verliert sie drei Wochen vor ihrem dritten Alpsommer ihren kleinen Bruder durch einen tragischen Unfall. Zwischen Berg und Tal sucht und findet sie Trost in der Natur, bei den Tieren und der engen, herzlichen Alpgemeinschaft. Sie kommt gestärkt wieder, mit einem neuen Blick auf ihr Leben und ihre Zukunft. Ein Buch, das Mut macht, neue Wege zu gehen und dabei aufregende Seiten an sich zu entdecken.

Katharina Afflerbach machte Karriere bei Kreuzfahrtreedereien und einer Hotelkette. Viele Dienstreisen und Überstunden bestimmten ihren Alltag, und über Milch wusste sie nicht viel mehr, als dass sie aus der Tüte kommt. Ein ehrenamtlicher Einsatz auf einem Bergbauernhof änderte alles. Sie kündigte Job, Wohnung und Yogakurs in Köln, um auf die Alp zu gehen. Seither genießt sie ihr Leben zwischen Berg und Tal und arbeitet als freie Texterin.

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Leseprobe

DAVOR


Verliebt


Es ging ganz schnell, das Verlieben in die Berglandwirtschaft. Und es war, wie das immer ist mit den besten Dingen im Leben: nicht geplant.

Im Frühling 2013 spendeten meine Freundin Kathrin und ich der Bergbauernhilfe Südtirol ein paar Urlaubstage und tauschten Büro gegen Stall. Ich war auf der Suche nach einer Möglichkeit, mal so richtig viel Zeit am Stück in den Bergen zu verbringen, viel länger als sonst im Wanderurlaub oder beim Bergsteigen. Dass ich der Berg- und nicht der Meertyp bin, war mir bereits klar. Selbst als ich mal für zwei Jahre in Hamburg mit Ost- und Nordsee praktisch vor der Haustür lebte, war ich kein einziges Mal am Timmendorfer Strand oder in Sankt Peter-Ording.

Zwei Optionen hatte ich mir überlegt: Ich könnte entweder für eine Saison auf eine Alp gehen und von Melken bis Misten auf Bäuerin umsatteln, oder ich könnte in einer Berghütte, so einer Art Alpenvereinshütte, anheuern. Mit dem Ausflug auf den Bergbauernhof in Südtirol wollte ich Option A austesten, wobei der Bergbauernhof zwar keine Alp, aber immerhin ein Bauernhof und immerhin in den Bergen war. Woher sollte ich wissen, ob ich überhaupt für die Landwirtschaft gemacht war? Berghütten hatte ich auf meinen Touren schon viele von innen gesehen. Aber einen Bauernhof, geschweige denn eine Alp, noch nie. Vielleicht würde mich das frühe Aufstehen nerven. Vielleicht hätte ich, im wahrsten Sinne des Wortes, bald vom Ausmisten die Nase voll. Vielleicht würde ich mich ganz schnell fragen, welche Kuh mich da geritten hatte.

Kathrin und ich landeten auf einem Bergbauernhof auf 1.430 Metern gleich unterhalb der Plose, einem Biobetrieb mit Ziegen, Hühnern und einem Esel.

»Aus Frankfurt und Köln kommt ihr, so so«, begrüßte uns Bauer Arnold, als er uns am Bahnhof in Brixen abholte. »Und jetzt kommt ihr also zu uns«, dachte er laut weiter.

»Ja, und wir können zupacken«, versuchten wir Arnold auf der Fahrt nach oben zu überzeugen. Eine halbe Stunde den Berg hinauf hatten wir Zeit, ihn abwechselnd mit Fragen zu löchern und Beweise für unsere Tatkraft zu liefern.

»Ich hoffe, dass wir diese Woche Heu machen können, jetzt, wo ich zwei Helferinnen habe«, erklärte uns Arnold. »Aber wahrscheinlich wird das Wetter nicht mitspielen. Dann gehen wir eben ins Holz!«

Das war unser Stichwort. Wir zwei gebürtigen Siegerländerinnen haben die Holzwirtschaft quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Gut, 35 Meter hohe Bergfichten haben wir selten gefällt – weder Kathrin, wenn sie ihrem Vater beim Brennholzmachen half, noch ich, als ich dabei war, wenn Papa und meine Brüder kleine Fichten umlegten, um damit eine Brücke über den Weiher auf unserem Grundstück zu bauen. Aber wir konnten von der Haubergswirtschaft erzählen, dem jahrhundertealten zyklischen Waldbewirtschaftungsprinzip aus unserer Heimat. Immerhin.

Kaum auf dem Hof angekommen, ging es auch schon los. Der Opa holte die Sense aus dem Schuppen, um rund um das Haus zu mähen.

»Das kann ich doch machen«, rief ich ihm übereifrig zu.

»Kannst du denn mit der Sense umgehen?«, wollte er wissen.

»Ja, das kenne ich von zu Hause«, erwiderte ich, um einen guten Eindruck bemüht.

Aber ehrlich gesagt hatte ich noch nie mit der Sense gemäht. Auch nicht mit einem Rasenmäher. Ich hatte eigentlich noch nie irgendetwas gemäht. Zusammengerecht ja, aufgeladen und abtransportiert, sowas. Handlangerarbeiten eben. Aber gemäht? Aus Angst um die Frösche und sicher auch um mich hatte Papa, der aus Prinzip Rasenmäher verabscheut und sein Lebtag auf die gute alte Sense setzt, mich nie rangelassen. Nun ja, die Geschichte ist schnell erzählt. Alle paar Meter stand mir ein Zaunpfahl im Weg und die Servolenkung der Sense war irgendwie kaputt. Ich scheiterte kläglich. Wortlos nahm der Opa mir die Sense ab, und das Gras war schneller gemäht, als Kathrin und ich gucken konnten. Wir kratzten es dann zu Haufen zusammen.

Danach ging es zum Melken.

»Als Kind war ich oft auf einem Bauernhof hier in der Nähe im Urlaub«, erzählte Kathrin Arnold und mir, während Arnold uns den Ziegenstall zeigte.

»Hast du denn auch gemolken damals?«, wollte unser Chef wissen.

»Klar«, sagte Kathrin, »ist halt nur ein paar Jahre her.«

Ich sagte lieber nichts, denn ich hatte auch noch nie irgendetwas gemolken. Wir hörten aufmerksam zu, als Arnold uns erklärte, wie sein Stall funktionierte. Zwei Bereiche gab es: den großen Laufstall für die Milchziegen und den Kindergarten für den Nachwuchs. 24 Ziegendamen waren zu melken, jeweils sechs auf einen Streich, praktisch im Melkstand, sodass wir uns noch nicht einmal zu bücken brauchten. Mit Kraftfutter lockte Arnold die ersten sechs in den Melkstand. »Bevor wir die Melkmaschine ansetzen, müssen wir kurz von Hand anmelken. So reinigen wir das Euter.« Die Zitzen sahen in Arnolds großen Arbeiterhänden winzig aus. Vorsichtig berührte ich zum ersten Mal ein Euter. Ganz dicht trat ich von hinten an die Ziege, die sich auf ihr Kraftfutter konzentrierte, heran. Warm, ein kleines bisschen ledrig, aber irgendwie vertraut fühlte es sich an. ›Gar nicht so viel anders als meine eigene Haut, nur ein bisschen rauer und ein bisschen fester‹, dachte ich. Während sich meine Finger um eine Zitze schlossen, um ihr ein paar Tropfen Milch zu entlocken, musste ich schlucken. ›Ob ich der Ziege wehtue? Was sie wohl von mir denkt, wenn ich ihr jetzt die Milch stehle, die eigentlich für ihre Zicklein ist?‹

Aber viel Zeit zum Nachdenken blieb nicht. Arnold schaltete die Melkmaschine an und zeigte uns, wie die Milch direkt vom Melkstand aus über Edelstahlröhren in einen gekühlten Tank geleitet wurde. Von unten sollten wir die Melkkelche an die Zitzen heranführen und dann über diese stülpen, bis sie sich festgesaugt hatten. Sobald die Hände frei waren, ging’s zur nächsten Ziege. Als wir die ersten sechs gemolken hatten, öffneten wir für sie den Ausgang und trieben sie in einen Wartebereich, holten die nächsten sechs herein, gaben auch diesen Kraftfutter und melkten sie. Kathrin und ich grinsten uns an. »Cool, oder?«, rief ich zu ihr rüber, und wir klatschten uns ab. Kaum waren wir eine halbe Stunde im Stall bei den Tieren, hatten wir die Welt um uns herum vergessen. Köln, Frankfurt, der Ärger im Büro, was zählte das noch? Jetzt ging es einzig darum, uns um die Tiere zu kümmern und unsere Arbeit zu machen. Und plötzlich keimte Zufriedenheit in mir auf. In diesem Moment wusste ich genau, wofür ich mich hier anstrengte – es hatte Sinn! Und ich war durchströmt von der Wärme und Liebe der Tiere. Ja, ich weiß, es muss sich komisch anhören, denn die meisten Ziegen hatte ich nur von hinten gesehen, und ich hatte mich hauptsächlich mit ihren Zitzen beschäftigt. Und Ziegen sind keine Hunde, die sich fast selbstlos an uns Menschen ausrichten, ganz im Gegenteil. So anschmiegsam wie eine Katze, so dickköpfig wie ein Kind in der Trotzphase und so unstet wie die sprichwörtliche Hummel im Hintern. Und dennoch war ich bereits irgendwo in mir drin tief berührt und freute mich riesig auf die nächsten Tage. Nach dem Melken zeigte Bauer Arnold uns den Milchtank und seine kleine Käserei. »Morgen Abend könnt ihr mir beim Käsen helfen«, kündigte er an.

Gerade einmal ein paar Stunden waren wir jetzt hier, einen halben Tag und einen kurzen Abend. Aber mein Leben war schon dabei sich zu verändern. Ich war dabei mich zu verändern. Ich würde als jemand anderes nach Hause fahren. Ich war mir selbst hier, auf diesem ungewohnten Terrain, näher als in all den letzten Jahren in Köln, Hamburg oder sonst wo. Für manches würde es in meinem Leben keinen Platz mehr geben, für anderes plötzlich die Möglichkeit. Ich hatte mich herauskatapultiert aus einem zermürbenden Büroalltag in der Großstadt und hineingeworfen in einen Tagesablauf, der an erster Stelle von den Tieren und vom Wetter bestimmt wurde. Von jetzt auf gleich war mein Terminkalender arbeitslos geworden, und mein iPhone brauchte ich nur noch als Wecker. Meine neuen Arbeitskollegen hatten vier Beine und waren vergleichsweise leicht zu händeln. Statt Kostüm oder Anzug trug ich Blaumann, Gummistiefel und ungekämmte Haare.

Die nächsten Tage auf dem Bergbauernhof vergingen wie im Flug. Wir sammelten den Hühnern die Eier unter dem Hintern weg, gingen mit dem Opa ins Holz, schauten Arnold beim Käsen über die Schulter, rissen den alten Hühnerstall ab und retteten Rehkitze vor dem Motormäher. Wir verkauften die selbst gemachten Bio-Produkte auf dem Wochenmarkt und halfen unserer Gastfamilie bei der Buchhaltung. Wir kochten aus den Südtiroler Bergeiern Siegerländer Eierkäs und stopften Schokoriegel in uns rein, weil wir mit dem Kaloriennachschub nicht hinterherkamen. Wir machten uns schmutzig, schwitzten aus allen Poren und schliefen wie Steine. Wir erledigten, was zu erledigen war, und wenn wir mit einer Arbeit fertig waren, gab unser Chef uns eine nächste. Wir schafften so viel weg wie noch nie in unserem Leben. Wir waren stolz – und glücklich!

Und ich, ich hatte Feuer gefangen. Plötzlich war alles anders! Denn jetzt war mir klar, dass meine Qualen im Büro endlich waren. Ich selbst hatte es ja in der Hand, sie zu beenden! Denn ich würde meine Segel neu setzen! Ich war weniger erschrocken darüber, dass ich das vergessen hatte, sondern einfach nur erleichtert, weil ich es wiederentdeckt hatte. Bei Bauer Arnold waren offensichtlich nicht nur meine Arme und Beine stärker geworden. Nein, die paar Tage voll harter Arbeit hatten meinen Blick geschärft und meinen Willen aufgerichtet. »Ätschibätschi«, rief mir mein inneres Kind jetzt immer häufiger zu, wenn ich mich im Büro ärgerte,...

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