Zweiter Teil
Exekutor Stalinscher Verbrechen
A. Maximowitsch
Dossier über Berija
Berija war ein Meisterfälscher. Er verstand es, aus Schwarz Weiß zu machen und jeweils das Gegenteil zu beweisen. Deshalb ist alles unglaubwürdig, was zu seinen Lebzeiten über ihn geschrieben wurde. Er trat beispielsweise nicht 1917, sondern erst im April 1920 der Partei bei. Staatsanwalt Gennadi Terechnow, der 1953 die Ermittlungen gegen Berija leitete, äußerte hierzu Folgendes:
»Er war zuvor (während der englischen Intervention) Agent der konterrevolutionären nationalistischen Organisation ›Mussawat‹ in Aserbaidshan gewesen, was er natürlich tunlichst verschwieg. Er hatte auch mit dem Geheimdienst der georgischen menschewistischen Regierung zusammengearbeitet. Ob Stalin davon gewusst hat ? Auf alle Fälle meinte Berija, alle Spuren sorgfältig beseitigt zu haben. Was ihn noch beunruhigte, waren die Archive des Mussawat-Sicherheitsdienstes, die irgendwo in Kellern in Baku lagerten. Als er Ende 1938 Chef des NKWD wurde, befahl er deshalb seinem Stellvertreter Merkulow, diese Archive nach Moskau zu bringen. So seltsam es auch klingen mag, aber er bewahrte im Safe seines Arbeitszimmers bis zu seiner Verhaftung ein Dossier über sich selbst auf … «
Jeder Schritt in der phänomenalen Karriere dieses Henkers und Abenteurers war hinterhältig und gemein. Berija bereitete sorgfältig und tückisch Intrigen vor, wartete im Hinterhalt geduldig ab, um sich, wenn die Möglichkeit bestand, anzubiedern oder um vernichtend zuzuschlagen.
Der große Führer und sein Komplice begegneten sich erstmals im Sommer 1930, als Stalin zur Erholung nach Zchaltubo fuhr. Sergei Mikojan, Doktor der Geschichtswissenschaften, gab die Worte seines Vaters Anastas Mikojan, Mitglied des Politbüros, folgendermaßen wieder:
»Berija war zu besagter Zeit bereits Leiter der Staatlichen Politischen Verwaltung (GPU) Georgiens. Als Grund für seinen Besuch in Zchaltubo gab er an, sich um die Sicherheit des Führers kümmern zu müssen, doch eigentlich ging es ihm darum, dessen Vertrauen zu erwerben. Sie verstanden einander sofort und so gut, dass direkt aus Zchaltubo nach Moskau die Verfügung erging, im ZK eine außerplanmäßige Berichterstattung der Partei- und staatlichen Führung des Transkaukasischen Regionskomitees und aller drei Republiken (Georgien, Armenien und Aserbaidshan bildeten damals die Transkaukasische Föderation) vorzubereiten. Niemand verstand die Zusammenhänge. Während der Tagung im Kreml fiel vielen auf, dass Sergo Ordshonikidse fehlte. Als ein Anwesender Mikojan nach dem Grund fragte, flüsterte dieser ihm zu : ›Sergo wird keinesfalls der Krönung Berijas beiwohnen, denn er kennt ihn zu gut.‹ … Nachdem verschiedene Fragen erörtert wurden, machte Stalin abschließend den Vorschlag, die neue Führung des Transkaukasischen Regionskomitees mit Kartwelischwili als 1. Sekretär und Berija als seinem Stellvertreter zu bilden. Der Kaukasier Kartwelischwili reagierte daraufhin aufbrausend : ›Mit diesem Scharlaten werde ich nicht zusammenarbeiten !‹ Doch zu einer demokratischen Entscheidung kam es nicht. Stalin sagte nur wütend : ›Das werden wir in einem Arbeitsgespräch regeln …‹»
Swetlana Allilujewa versuchte in ihren im Ausland erschienenen Erinnerungen die Legende in Umlauf zu bringen, dass Berija – diese Ausgeburt des Bösen – Stalin hintergangen und negativ beeinflusst habe. Eine ähnliche Legende gab es übrigens schon im Zusammenhang mit Berijas blutbefleckten Vorgängern Jagoda und Jeschow. Doch angesichts der Situation in jenen Jahren kann man nur zu der Erkenntnis gelangen, dass hinter allen diesen Marionetten lediglich einer stand – Stalin. Während aber Jagoda und Jeschow schnell abgelöst wurden (beide wurden erschossen), konnte sich Berija 15 Jahre halten. Er vermochte es wie kein anderer, die Massenrepressalien gegen missliebige Personen als Kampf für die Sache des Volkes auszugeben. Unter Berija wurden die Staatssicherheitsorgane zur Leibgarde Stalins. Mit dem hohen Amt übertrug ihm der große Chef auch definitiv die Rolle, die er als treuer Diener schließlich zu spielen hatte.
»Wer das nicht weiß«, schreibt Sergej Mikojan, »kann sich viele paradoxe Erscheinungen nicht erklären. Warum stellte Berija beispielsweise, nachdem er Jeschow abgelöst hatte, im Politbüro folgende befremdende Frage : ›Ist es nicht doch angebracht, nunmehr weniger Leute einzusperren, sonst gibt es bald niemanden mehr, den man einsperren kann ?‹
Viele, die in ständiger Furcht lebten, dass man sie als Nächste ›abholte‹, atmeten erleichtert auf. Es wurden sogar einige aus der Haft entlassen. Damit sicherte sich Berija eine gewisse Unterstützung derjenigen in der Führung, die ihr formal noch angehörten, aber praktisch keinerlei Möglichkeit hatten, den auf Hochtouren laufenden Unterdrückungsapparat zu stoppen. Später baute dann Berija, nachdem er etwas Dampf aus dem Kessel abgelassen und mit seinem Gerede von ›Übergriffen‹ die Schuld auf Jeschow abgewälzt hatte, ungestört seinen Strafapparat zu einem allmächtigen und universellen System aus … «
Repressalien wurden nicht nur die »Volksfeinde« selbst, sondern auch ihre Familien, Freunde, fernen Verwandten und Kollegen ausgesetzt. Berija hatte in allen Haftanstalten, in denen Politische einsaßen, ein eigenes Arbeitszimmer. Fast jede Nacht war er bei Verhören und Folterungen zugegen. Erst gegen Morgen zog er sich zurück, worauf in seinem Arbeitszimmer dann Richter aus dem Militärkollegium ihres Amtes walteten. Sie brauchten in der Regel nur wenige Minuten, um das Schicksal eines Menschen zu besiegeln.
Glafira Blücher, die Witwe des 1938 erschossenen legendären sowjetischen Marschalls, musste sieben Monate in einer Einzelzelle verbringen. In der Wochenzeitung »Nedelja« äußerte sie sich dazu:
»Ich werde nie das erste Verhör vergessen, das Berija, wahrscheinlich aus sadistischer Neugier, persönlich leitete. Er verhielt sich hochmütig. Man hatte das Gefühl, wie ein winziges Insekt durch eine Lupe betrachtet zu werden. Von ihm ging Kälte aus. Man merkte, dass ihm alles Menschliche gleichgültig war … Unter der Willkür litten damals nicht nur wir, die man physisch gebrochen und moralisch erniedrigt hatte. Es konnte praktisch jeder, ungeachtet seiner Stellung und Verdienste, jederzeit erniedrigt und in den Schmutz getreten werden.«
In den dreißiger Jahren war General Douglas wohl jedem ein Begriff. So wurde der berühmte sowjetische Flieger Jakow Smuschkewitsch im Spanienkrieg genannt. 1939 wurde er Chef der Luftstreitkräfte der Roten Armee. Anfang Juni 1941, kurz vor Beginn des Großen Vaterländischen Kriegs, begannen die Verhaftungen bei den Luftstreitkräften. Auch Smuschkewitsch wurde festgenommen, noch dazu direkt im Krankenhaus nach einer schweren Beinoperation. Auf einer Trage brachte man ihn ins Gefängnis. Am 28. Oktober wurden er und weitere neunzehn hohe Militärs auf Befehl Berijas erschossen.
Im August gelang es der Tochter von Smuschkewitsch, von Berija empfangen zu werden. Sie schilderte ihre Erlebnisse wie folgt:
»Ich ging durch einen langen, düsteren, völlig unbeleuchteten Gang. Dann wurde ich in ein riesiges Zimmer gebeten, in dem ganz am anderen Ende hinter einem großen Schreibtisch ein kleiner Mann mit Kneifer und feistem Gesicht saß. Er sagte sanft, nahezu freundlich : ›Mach dir keine Sorgen und befürchte nichts. Du weißt doch, dass dein Vater nichts verbrochen hat, also wird er bald freikommen.‹
Doch einige Zeit später wurden meine Mutter und ich verhaftet. Meinen Haftbefehl hatte Berija unterschrieben : ›Die Oberschülerin Rosa Smuschkewitsch wird als Tochter eines Vaterlandsverräters zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Diese Zeit hat sie in Arbeitsbesserungslagern von Karaganda zu verbüßen. Hieran schließt sich lebenslängliche Verbannung an.‹«
Die von Berija und seinen Untergebenen geschmiedeten teuflischen Pläne könnten als Farce abgetan werden, wenn sie nicht stets zu blutigen Tragödien geführt hätten. Über eine dieser sorgfältig eingefädelten, aber gescheiterten Provokationen berichtete die
Zeitschrift »Ogonjok«.
Auf dem Weg zur Arbeit wurde der Leiter von GLAWSEWMORPUT (Nordmeerschifffahrt) beim Ministerrat der UdSSR, Alexander Afanasjew, von Unbekannten entführt und in eine Villa zu einem Treff mit einem »amerikanischen Spionagechef« gebracht, der ihm die Zusammenarbeit anbot. Als er sich energisch gegen diese »Ehre« verwahrte, riet man ihm, sich dies noch einmal zu überlegen, und vereinbarte einen neuen Treff. Die Ereignisse entwickelten sich dann wie folgt:
Als man Afanasjew neben dem Gebäude des Mossowjets abgesetzt hatte, ging er sofort in den Kreml zu Stalin. Doch der Führer war beschäftigt. Darauf begab er sich zu Berija, der für Schifffahrt zuständig war. Bei ihm hielt sich gerade der Minister für Staatssicherheit, Abakumow, auf, der diesen Posten von Berija übernommen hatte. Berija lobte Afanasjews Handlungsweise und riet ihm, sich trotzdem mit dem »Spionagechef« zu treffen. Als sich Afanasjew auf der Krimbrücke mit dem Unbekannten aus der Villa traf, verlor er die Beherrschung und schlug ihn nieder. Gleich darauf kamen Mitarbeiter der Staatssicherheit hinzu und führten den »Spion« ab … (Wie der Minister später erfuhr, handelte es sich um einen Mitarbeiter Abakumows.) Berija versprach daraufhin Afanasjew, dass man ihn für einen Orden vorschlagen werde....