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E-Book

Berührungshunger

Kuscheltherapie als Antwort auf unseren modernen Lebensstil

AutorElisa E. Meyer
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783748105046
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Berührungshunger: Das Gefühl, wenn die Haut sich nach Berührung sehnt. Genau wie der Magen sich nach Nahrung verzehrt oder die Lunge nach Luft, braucht die Haut angenehme Berührung. In meinem Buch geht es um den Zusammenhang zwischen Streicheln, Kuscheln und der seelischen Gesundheit. Wie funktioniert die Biologie dahinter? Warum ist Berührung so ein Tabu? Was passiert bei chronischem Kuschelmangel? Und vor allem: Was kann man dagegen tun? Kuscheltherapie wird als Lösung für einige unserer Zivilisationskrankheiten (Depression, Burn-Out, Einsamkeit) untersucht. Was bringt sie und wem kann sie helfen? Hilf dir selbst ist die beste Devise. Im Buch findest du deswegen auch Anleitungen und Anregungen zum Selbermachen, wenn die Haut mal wieder hungrig ist.

Elisa E. Meyer ist Kuscheltherapeutin aus Leipzig. Sie wurde 1986 in Luxemburg geboren. Sie studierte Germanistik und Philosophie in Freiburg, anschließend promovierte sie in Wien zum Werk von Robert Musil und dem Thema "Leibliche Identität". Als Kind von zwei Therapeuten begann sie früh mit der Erforschung des eigenen therapeutischen Weges. Sie arbeitete mit Reiki, Familienaufstellung, Bodywork und seit kurzem mit biodynamischer Körpertherapie. Seit 2015 setzt sie sich mit Kuscheltherapie in Theorie und Praxis auseinander. 2018 gründete sie das Unternehmen die Kuschelkiste.

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Leseprobe

Harry Harlow und die Mutterliebe


Harry Harlow war einer der ersten, der in den 50er Jahren den Zusammenhang zwischen mütterlicher Berührung und der gesunden Entwicklung des Babys erforschte. Davor herrschte in unserem Gesundheitssystem leider der Irrglaube, dass Berührung ungesund und deswegen unter allen Umständen zu vermeiden sei. „Berührung löst Stress aus und überträgt Krankheiten“, so das Motto. Sogar bei Säuglingen.

„Besonders eifrige Mediziner und Verhaltensforscher plädierten sogar für den vollständigen Verzicht auf körperliche Nähe. In einer von den Naturwissenschaften geprägten Gesellschaft schien zudem eine Hinwendung der Mutter zum Kind wissenschaftlich wenig plausibel und daher zweifelhaft.“ (Grunwald, Homo Hapticus, S. )

Betrachten wir die ersten Momente nach der Geburt: In dieser Phase ist der Mensch auf die Berührung der Mutter angewiesen. Im Mutterleib ist die Berührung durch die Flüssigkeit im Uterus gegeben, es gibt einen konstanten Druck von allen Seiten. Ist das Baby plötzlich auf der Welt, fehlt die Berührung, Atmung funktioniert anders, alles ist ungewohnt und seltsam. Das kann zu einem traumatischen Erlebnis werden, wenn nicht sofort Kontakt mit der Mutter hergestellt wird. Die Berührung ist nicht nur emotional, sondern auch biologisch das erste Bedürfnis und die erste Bedingung, damit ein Baby überlebt. Sonst schaltet sich der Körper des Babys nach und nach ab. Das weiß man unter anderem durch Forschung mit anderen Säugetierarten.

„Wie ungemein wichtig diese passive Stimulation schon im frühen Kindesalter ist, zeigen verschiedene Studien an Tieren: Kaum hatte man junge Ratten von ihrer Mutter getrennt, drosselten sie sofort die Produktion von Wachstumshormonen – es sei denn, die Forscher ersetzten die fehlenden mütterlichen Liebkosungen durch Streicheleinheiten mit einem nassen Malpinsel. Fällt die taktile Stimulation hingegen längere Zeit vollkommen aus, entwickelt sich weder der Körper noch das Gehirn des Tieres normal weiter“.3

Berührung bedeutet Sicherheit und Vertrauen. Sicherheit für den Körper: Er kann sich stressfrei weiterentwickeln und wachsen. Zellen teilen sich, das Immunsystem arbeitet gut, das Baby wächst gesund heran. Vertrauen bedeutet psychisch: Ich bin in Sicherheit, ich muss keine Angst haben, jemand passt auf mich auf. Dieser Jemand liebt mich, denn er fasst mich sanft und behutsam an, er sorgt für mich. Wenn mit den beiden Faktoren Sicherheit und Vertrauen etwas schief geht, dann hat der Mensch später, wenn er überhaupt überlebt, massive Probleme.

Vor Harry Harlow war es üblich, das Baby gleich von der Mutter zu trennen, zu wickeln und in ein eigenes Bettchen zu legen. Das notorische Schreien wurde als gesunde Reaktion angesehen. In einem Artikel der Zeit über die NS-Zeit und die Erziehungsmethoden von damals, speziell über den Erziehungsratgeber einer Ärztin namens Johanna Haarer, wird dies ausführlich beschrieben:

„"Das Kind wird gefüttert, gebadet und trockengelegt, im Übrigen aber vollkommen in Ruhe gelassen", riet damals Johanna Haarer. Sie schilderte detailreich körperliche Aspekte, ignorierte aber alles Psychische – und warnte geradezu vor "äffischer" Zuneigung: "Die Überschüttung des Kindes mit Zärtlichkeiten, etwa gar von Dritten, kann verderblich sein und muss auf die Dauer verweichlichen. Eine gewisse Sparsamkeit in diesen Dingen ist der deutschen Mutter und dem deutschen Kinde sicherlich angemessen." Gleich nach der Geburt sei es empfehlenswert, das Kind für 24 Stunden zu isolieren; statt in einer "läppischverballhornten Kindersprache" solle die Mutter ausschließlich in "vernünftigem Deutsch" mit ihm sprechen, und wenn es schreie, solle man es schreien lassen. Das kräftige die Lungen und härte ab.“4

Die Angst vor Infektionen und charakterlicher Verweichlichung sowie die wissenschaftliche und rassenideologische Anmaßung, das Baby besser versorgen zu können als die Mutter, waren so groß, dass man dafür das Leben von Säuglingen aufs Spiel setzte. Harlow wurde damals in den 50ern stark kritisiert, man war empört! Man könnte fast meinen, er hätte hier ähnlich wie Kopernikus ein Weltbild umgestoßen. Ich würde diese Zeit sogar als „Harlow‘sche Wende“ bezeichnen! Wolfgang Bergmann sagt über Harlow und seine Kollegen:

„Sie haben ein Tabu gebrochen. Das Tabu lautet: Ein Kind braucht Liebe, in den ersten Lebensmonaten vor allem die Liebe der Mutter, sonst wird es krank, seelisch und körperlich. Nein, so etwas tut man nicht, so redet man nicht in den Räumen der Wissenschaften und schon gar nicht denen der Politik.“5

Bis heute gibt es noch Ärzte, die an den Unsinn mit den schädlichen Berührungen glauben. Hauptsache man hat sich nicht geirrt! Auch in der deutschen Bevölkerung sitzt die Konditionierung tief. Wie im Artikel aus der Zeit betont wird, kann sich ein solches Berührungs-Trauma von Generation zu Generation weitervererben. Das führt zu transgenerationellen Identitäts- und Beziehungsstörungen und vielen anderen psychischen Problemen.

Der Psychologe Harlow züchtete und trainierte für seine sozialen Experimente Rhesusaffen in seinem Labor. Ihm fiel auf, dass diese ein seltsames Verhalten an den Tag legten. Die Affen, die im Käfig geboren wurden und gleich nach der Geburt einen eigenen Käfig bekamen, um vor Keimen geschützt zu sein, waren später nicht mehr zu „gebrauchen“, da sie aggressiv und unkooperativ anderen Affen gegenüber reagierten. Mehr noch, sie zeigten depressives und katatonisches Verhalten, hatten teilweise motorische Störungen. Dabei hatte er doch scheinbar bestens für sie gesorgt!

Um diesem Umstand auf den Grund zu gehen, erfand Harlow ein bis dato einzigartiges Experiment. Er baute für die Affenbabys Ersatzmütter. Damit wollte er herauszufinden, was den Kleinen denn nun genau fehlte. Er baute einerseits Draht-Mütter, die Milch in Flaschen eingebaut hatten, andere Mütter hatten ein flauschiges Fell. Das Resultat war eindeutig: Die Babys bevorzugten auf jeden Fall die flauschige Mutter. Nahrung war zweitrangig. Immer wenn eine stressige oder angsteinflößende Situation kam, flüchteten die Affen zurück zu ihren Flauschmüttern. Meistens verließen sie diese nur für kurze Zeit, zum Beispiel, um schnell etwas zu trinken. Bahnbrechende Ergebnisse!

Wenn Harlow sich nicht durchgesetzt hätte, würden heute die Babys immer noch mit einem Klaps auf den Po begrüßt und schreiend in ein Bett verfrachtet werden. Die Behandlung nach der Geburt ist aber leider nicht der einzige Irrtum, der sich in unserer Gesellschaft festgesetzt hat. Dazu gehören auch Kinderwagen und Brutkästen, beides Überbleibsel aus einer Kindererziehung und Forschung, die längst überholt gehören. Über Brutkästen für Frühchen hat Dr. Grunwald einiges geschrieben. Diese veralteten Terrarien mit Schläuchen versetzen das Frühchen in einen traumatischen Zustand. Nachdem sie sich die Lunge aus dem Leib geschrien haben und keine Hilfe kommt, geben sie ganz auf und sterben entweder, oder bleiben ihr Leben lang emotional und körperlich beeinträchtigt. Lange war es üblich, dass Frühchen gar nicht angefasst wurden. Erst Tiffany Field hat in den 90ern (!!) festgestellt, dass Frühchen mit Massagetherapie wesentlich schneller wachsen und gesund werden. Sie konnten sechs Tage früher als ihre unberührten Mitpatienten entlassen werden. Neue Studien belegen immer häufiger und eindeutiger, dass Berührung die Überlebenschancen enorm steigern, und nicht schmälern.

Warum sind Kinderwagen und Brutkästen so schädlich für Kinder? Warum machen wir mit dieser unnatürlichen Lebensweise die Leben von ganzen Generationen kaputt? Das beschreibt Jean Liedloff in ihrem Buch „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“. Sie vergleicht unsere „zivilisierte“ Welt mit den Lebensumständen bei einem Indianerstamm: Wie gehen diese mit ihren Kindern um und was ergibt sich daraus? Dieses Buch ist purer Sprengstoff. Es macht betroffen. Man kann die Thesen abtun, aber im Endeffekt hat sie recht. Auch die Wissenschaft weist mittlerweile vermehrt darauf hin, dass Säuglinge den wiegenden Gang der Mutter erleben müssen, dass also das Getragen-Werden ein wesentlicher Bestandteil der Säuglingsentwicklung ist. Ohne diese Stimulation (also bei der horizontalen Fahrtbewegung im Kinderwagen oder der absoluten Privation von Bewegung im Brutkasten) kann sich das Gehirn des Säuglings nicht ordentlich entwickeln. Motorische Fähigkeiten und Gleichgewichtssinn bleiben unterentwickelt.

Der Umschwung in der Medizin ist also vor knapp 50 Jahren gestartet. Die Schäden, die damals angerichtet wurden, wirken immer noch nach. Sie sind unter anderem ein Grund für den Berührungsmangel in unserer heutigen Gesellschaft: Die letzten Generationen wurden in der Kindheit kaum...

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