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E-Book

Besonderes Polizei- und Ordnungsrecht

AutorChristoph Keller, Frank Braun, Michael Kniesel
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl436 Seiten
ISBN9783170326095
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Das Lehrbuch soll sowohl Praktiker in den Behörden, die sich einen Überblick über Einzelmaterien des besonderen Polizei- und Ordnungsrecht verschaffen wollen ansprechen, als auch Studierende an den Universitäten und Fachhochschulen. Bei der Auswahl der Rechtsgebiete haben Praxis- und Prüfungsrelevanz, Aktualität und die bisherige Berücksichtigung im Schrifttum eine Rolle gespielt. Nach einem knappen dogmatischen Umriss des besonderen Polizei- und Ordnungsrechts werden im Einzelnen dargestellt: Das Versammlungsrecht, das öffentliche Vereinsrecht, das Feuerwehr-, Rettungsdienst- und Katastrophenschutzrecht, das Waffen- und Sprengstoffrecht, das Ausländer- und Asylrecht, das Luftsicherheitsrecht sowie das Gewerbe- und Gaststättenrecht. Zudem wird in einem gesonderten Kapitel das Recht der neuen Medien unter dem Fokus der Gefahrenabwehr beleuchtet. Im Zentrum stehen die praktisch bedeutsamen und dogmatisch umstrittenen Fragen der 'Gefahrenabwehr im Internet'.

Christoph Keller und Regierungsdirektor Dr. Frank Braun lehren im Hauptamt Polizei- u. Strafprozess- sowie Staatsrecht an der FHöV NRW (Münster). Rechtsanwalt Michael Kniesel ist der ehemalige Polizeipräsident von Bonn.

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Leseprobe

1. Teil:Grundlagen


1. Kapitel:Allgemeines und besonderes Polizei- und Ordnungsrecht


A.Vom Polizeirecht zum Polizei- und Ordnungsrecht


I.Polizeirecht als umfassende Gefahrenabwehr

1Im konstitutionellen Staat des 19. Jahrhunderts war der Begriff Polizei identisch mit der Funktion der öffentlichen Verwaltung, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren;1 jedwede Gefahrenabwehr war Aufgabe der Polizei, weil der damalige materielle Polizeibegriff Polizei mit Gefahrenabwehr gleichsetzte.2 Es war dann konsequent, in allen Verwaltungsbereichen zur Beschreibung der jeweiligen Gefahrenabwehr von Polizei zu sprechen und die diesbezüglichen Aktivitäten als Bau-, Feuer-, Fremden-, Wege-, Markt-, Sitten-, Vereins-, Versammlungs-, Press- und Veterinärpolizei zu kennzeichnen.3

2Diese Vorstellung von Polizei hatte in der Republik von Weimar Bestand und der fortwirkende materielle Polizeibegriff fand seinen Ausdruck in der Generalklausel des § 14 Preuss. Polizeiverwaltungsgesetz von 1931: „Die Polizeibehörden haben im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird.“ Die im Preuss. PVG auf diese Weise beschriebene Rechtsmaterie hieß Polizeirecht.4

II.Entpolizeilichung nach dem 2. Weltkrieg

3Im totalitären Staat des Nationalsozialismus wurden Polizei und Polizeirecht missbraucht. Die Länder- und die kommunalen Polizeien wurden „verreichlicht“ und durch Verschmelzung mit SA und SS Teil eines umfassenden Polizeiapparats. Aus der Generalklausel zur Gefahrenabwehr wurde durch Umdeutung der Begriffe öffentliche Sicherheit und Ordnung eine Generalklausel zur Errichtung und Aufrechterhaltung der nationalsozialistischen Ordnung in ihrer ganzen Totalität.5

4Auf diesem Hintergrund ging es den westlichen Alliierten nach dem Ende des 2. Weltkrieges darum, den Polizeiapparat zu entnazifizieren und zu entmilitarisieren, aber auch ihn durch Dezentralisierung und Entpolizeilichung zu demokratisieren.6 Mit der Dezentralisierung wurde die Polizeigewalt auf die Länder- und Kommunalebene verlagert, mit der Entpolizeilichung die Polizeigewalt auf Vollzugsaufgaben beschränkt und die allgemeine Gefahrenabwehr den örtlichen Sicherheits- und Ordnungsbehörden zugeordnet.7

5So wurde aus der Feuerpolizei die kommunale Feuerwehr, aus der Fremdenpolizei das Ausländeramt und aus der Wegepolizei die Straßenverkehrsbehörde. Der nun als Vollzugspolizei verstandenen Polizei8 blieben nur die Gefahrenabwehr im ersten Zugriff vor Ort für die am Schreibtisch arbeitende Ordnungsbehörde, die Überwachung des Straßenverkehrs und die Verhütung und Aufklärung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die nur oder überwiegend vor Ort erledigt werden konnten. Zu diesem neuen Verständnis von Polizei passte die Übertragung der Aufgabe, anderen Behörden Vollzugshilfe zu leisten.

6Mit der Entpolizeilichung konnte das Verständnis von Polizei und Polizeirecht kein umfassendes mehr sein. Aus der Polizei gingen in den Ländern des Trennsystems die Vollzugspolizei und die Sicherheits- und Ordnungsbehörden bzw. in den Ländern mit Einheitssystem der Polizeivollzugsdienst und die Polizeibehörden hervor.9 Aus dem Polizeirecht wurde damit zwangsläufig das Polizei- und Ordnungsrecht; der Doppelname verdankt seine Entstehung also der Entpolizeilichung nach dem Ende des 2. Weltkriegs.10

III.Repolizeilichung der Gefahrenabwehr

7Herausgefordert durch organisierte Kriminalität und Terrorismus haben die Landesgesetzgeber seit Ende der 1980er Jahre der Polizei auf der Grundlage des Vorentwurfs zur Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes vom 12.3.198611 das Vorfeld der konkreten Gefahr eröffnet12 und die Aufgabe der Gefahrenabwehr um die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten erweitert. Zusätzlich haben sie auch die Gefahrenvorsorge in Gestalt der Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr in ihren Polizei- und Ordnungsgesetzen geregelt.

8Diese beiden Formen der Gefahrenvorsorge sind in den Bundesländern den Polizei- und Ordnungsbehörden auf unterschiedliche Weise übertragen worden; in den meisten Ländern durch Erweiterung der zentralen Aufgabenzuweisung zur Gefahrenabwehr13 und in vier Bundesländern durch tatbestandliche Ergänzungen in den Befugnisnormen ihrer Polizeigesetze.14 Beim Aufgabenzuweisungsmodell weisen sieben Bundesländer originär der Polizei (Polizeivollzugsdienst) die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten mit ihren beiden Unterfällen der Verhütung von Straftaten und der Vorsorge für die künftige Strafverfolgung zu,15 während fünf andere ihr nur die Verhütung von Straftaten originär übertragen.16

9Die Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr für die Hilfeleitung und das Handeln in Gefahrenfällen obliegt in sechs Ländern originär der Polizei17 und in den anderen den Polizei- und Ordnungsbehörden gemeinsam.18 Im Befugniszuweisungsmodell sind die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten und die Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr originär der Polizei (Polizeivollzugsdienst) zugewiesen. Mit diesen Aufgaben- bzw. Befugniserweiterungen sind der Polizei neue, überwiegend originäre Betätigungsfelder zugewachsen, die sie im Rahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr bestellt, weil die Erweiterungen nicht auf einem Spezialgesetz, sondern auf der allgemeinen Polizeirechtsgesetzgebung beruhen.19

B.Das Polizei- und Ordnungsrecht als Gegenstand der Gesetzgebung


I.Art. 70 GG als grundsätzliche Kompetenzverteilung

10In Art. 70 GG findet sich die „Grundregel“ des Bundesstaates für die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten auf Bund und Länder.20 Art. 70 Abs. 1 GG statuiert ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, wonach der Bund nur die ihm zugewiesen Kompetenzen hat, während der nicht ausdrücklich zugewiesene Rest als Residualkompetenz in die Zuständigkeit der Länder fällt.21 In Art. 70 Abs. 2 GG wird hinsichtlich der Zuständigkeit des Bundes zwischen der ausschließlichen und der konkurrierenden Gesetzgebung unterschieden.

11Die Art. 71 und 72 GG regeln in Ansehung dieser beiden Gesetzgebungsarten das Verhältnis zwischen Bund und Ländern beim Zugriff auf die Kompetenzen. Bei der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz hat der Bund den exklusiven Zugriff22 und die Länder sind nach Art. 71 GG von der Gesetzgebung ausgeschlossen, es sei denn sie wären durch ein Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt. Bei der konkurrierenden Gesetzgebung normiert Art. 72 Abs. 1 GG eine Landeskompetenz für die in Art. 74 Abs. 1 GG enthaltenen Gesetzgebungsmaterien, die allerdings unter dem Vorbehalt steht, dass der Bund seine parallel bestehende Zugriffsmöglichkeit auf diese nicht ausübt.23

12Übt er seine Kompetenz aber aus, sind die Länder nicht allein deshalb unzuständig, weil der Bund auf einem Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung überhaupt ein Gesetz erlassen hat.24 Die aus Art. 70 Abs. 1 GG resultierende Sperrwirkung tritt vielmehr erst ein, wenn das Bundesgesetz einen bestimmten Regelungsgegenstand ausdrücklich normiert hat und dem Gesetz durch Gesamtwürdigung des betreffenden Normenbereiches entnommen werden kann, dass es eine erschöpfende und abschließende Regelung einer bestimmten Materie darstellt.25 Das Gebrauchmachen kann ausdrücklich, aber auch durch absichtsvollen Regelungsverzicht26 oder beredtes Schweigen erfolgen.27

13Ob eine abschließende Regelung anzunehmen ist, muss durch Auslegung ermittelt werden.28 Beispielhaft soll das an Tötungsspielen (Laserdromfall) verdeutlicht werden, die unter die Gewerbeordnung fallen, aber in dieser nicht geregelt werden. Da aber in der Gewerbeordnung im Wesentlichen nur die Zulassung und nicht die Ausübung eines Gewerbes geregelt ist, liegt bezüglich letzterer keine abschließende Regelung vor29 und die Landesgesetzgeber können in einem speziellen Landesgesetz ergänzende Regelungen treffen; die zuständigen Behörden können aber auch auf schon bestehendes allgemeines Ordnungsrecht in Gestalt der ordnungsbehördlichen Generalklausel zurückgreifen.

II.Das Polizei- und Ordnungsrecht in den Katalogen der Art. 73 und 74 GG

14Im Katalog der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes nach Art. 73 GG finden sich als polizei- und ordnungsrechtliche Gesetzgebungsmaterien in Nr. 3 das Pass-, Melde- und Ausweiswesen, in Nr. 5 der Grenzschutz, in Nr. 6 und 6a der Luft- und Eisenbahnverkehr, in Nr. 9a die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus, in Nr. 10 die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in der Kriminalpolizei, im Verfassungsschutz und zum Schutz gegen die auswärtigen Belange gefährdende Bestrebungen sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalamtes und die internationale Verbrechensbekämpfung, in Nr. 12 das Waffen- und...

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