Teil 2: Eier, Fleisch und Milch – das Tierschutzdilemma
Sobald wir tierische Produkte konsumieren, werden die Schattenseiten unserer billigen Lebensmittel besonders offensichtlich. Kein Wunder, dass die Zahl der Veganer in Deutschland laufend steigt – immer mehr Verbraucher haben verständlicherweise Skrupel, Teil eines Systems zu sein, in dem mit Billigung des Gesetzgebers massiv gegen Tierschutzregeln verstoßen wird, obwohl der Tierschutz bei uns sogar Verfassungsrang hat.13
Vor einigen Jahren war ich mit meinen Kindern in Georgien. Auf einer Landstraße in den georgischen Bergen überholten wir irgendwann ein paar Kühe. »Schau mal, die Armen!«, rief mein Sohn, weil die Tiere so dünn waren. Für ihn ein völlig ungewohntes Bild, doch eigentlich ist es ganz normal: Diese Kühe waren so, wie sie von der Natur geschaffen worden waren. Kühe sind Bergbewohner, die auch mit steilen Wiesen ohne Weiteres klarkommen. Sie fressen Gras und werden davon problemlos satt. Sie säugen ihre Kälber und geben außerdem auch noch Milch. Allerdings eben nicht die enormen Mengen, die eine europäische Hochleistungskuh schafft. Die Turbokuh würde auf einer Bergwiese verhungern – für ihren überzüchteten Stoffwechsel benötigt sie industriell optimiertes Kraftfutter.
Bei Milch und Fleisch wird besonders viel Etikettenschwindel betrieben. Industrie und Handel scheinen zu ahnen, dass sich ihre Erzeugnisse nicht so gut verkaufen würden, selbst zu niedrigen Preisen, wenn sie offen kommunizieren würden, wie die Produkte tatsächlich entstehen. Deshalb finden wir auf den Verpackungen oft eine grüne Wiese oder einen idyllischen Gutshof mit Fachwerkfassade. Das Wort »Hof« taucht überdurchschnittlich oft im Markennamen auf. Dass die Wirklichkeit anders aussieht, ist den meisten Kunden klar, lässt sich aber dank dieses Marketings ganz gut verdrängen. Doch viel zu oft haben wir Kunden auch gar nicht wirklich die Möglichkeit, zu entscheiden, was wir kaufen, weil wir bewusst im Unklaren gelassen oder gar getäuscht werden.
Trotzdem ist es möglich, mit gutem Gewissen Salami zu essen oder Milchkaffee zu trinken. Allerdings macht das etwas Mühe …
3. Henne und Ei
Wir Verbraucher haben viel mehr Macht, als uns zuweilen bewusst ist. Besonders eindrucksvoll lässt sich das am Beispiel eines Produktes zeigen, das auf kaum einem deutschen Frühstückstisch fehlen darf: dem Ei. Im Schnitt hat 2016 jeder Deutsche 235 Eier gegessen, mehr als jemals zuvor.
Seit 2004 gibt es eine EU-Verordnung,14 die regelt, wie Eier gekennzeichnet werden müssen. Seitdem muss jedes Ei, das in der EU vermarktet wird, einzeln beschriftet sein. Anhand einer Nummer kann der Kunde genau sehen, wo unter welchen Bedingungen das Ei gelegt wurde. Diese Regelung führte zu einer Revolution: Binnen kurzer Zeit verschwanden Eier aus Legebatterien aus dem Angebot! Und nicht etwa, weil ihr Verkauf verboten worden wäre: Das war in Deutschland erst ab 2010 und EU-weit ab 2012 der Fall.
Die großen Supermarktketten listeten Käfigeier vielmehr deshalb aus, weil sie plötzlich wie Blei in den Regalen lagen. Sobald wir als Kunden ein transparentes System zur Verfügung hatten und damit direkt entscheiden konnten, fiel diese Entscheidung sehr eindeutig aus: keine Eier aus Legebatterien! 2004 kamen Käfigeier bei uns in Deutschland noch auf einen Marktanteil von rund 53 Prozent. Heute ist mehr als jedes zehnte lose verkaufte Ei in Deutschland ein Bio-Ei und immerhin jedes vierte Ei stammt von Freilandhühnern.15
Also alles super beim Ei? Nicht ganz: Denn leider gilt diese kundenfreundliche Kennzeichnungsregelung nur für frische Eier. Sobald das Ei verarbeitet wird, endet die Transparenz. Ob die Eier für mein Stück Käsekuchen aus der Bäckerei oder für die Eiernudeln zum Mittagessen nun aus einer rumänischen Legebatterie oder von einer grünen Wiese stammen, kann ich als Verbraucher nicht wissen. Schon wenn ein Ei gefärbt als Osterei in den Handel kommt, muss die Herkunft nicht mehr verzeichnet werden. Einige Hersteller geben mittlerweile trotzdem auf der Verpackung an, welche Eier sie verwenden, aber diese Information ist freiwillig.16
Aber was genau bedeuten eigentlich Begriffe wie »Freiland« oder »Klasse A«? Worauf kann ich als Kunde achten, wenn ich gerne Eier von zufriedenen Hühnern essen möchte?
Warenkunde Ei
Eier werden in zwei Arten Handelsklassen aufgeteilt, die sogenannten Güteklassen, gekennzeichnet durch Buchstaben, und die Gewichtsklassen, definiert durch die internationale Größenklassifizierung von S bis XL.
Klasse A
Die Schale und die Cuticula müssen sauber und unbeschädigt sein und eine normale Form haben. Die Cuticula ist die Schutzhülle um die Schale, ihretwegen sind Eier selbst ungekühlt so gut haltbar. Um sie intakt zu halten, dürfen Eier in der EU weder vor noch nach dem Sortieren gewaschen werden.
Die Luftkammer im Ei muss unbeweglich und darf höchstens sechs Millimeter hoch sein. Der Eidotter darf bei Durchleuchtung nur schattenhaft sichtbar sein und muss auch bei Drehung des Eis zentral bleiben, das Eiklar muss klar und durchsichtig sein. Nicht zulässig sind auch Fremdgeruch, fremde Ein- und Auflagerungen oder ein sichtbarer Keim.
Die Eier, die wir im Supermarkt kaufen, sind fast ausnahmslos Eier der Klasse A. Der Zusatz »Extra« oder »Extra frisch« kennzeichnet Eier bis zum siebten Tag nach dem Verpacken beziehungsweise neunten Tag nach dem Legen.
Klasse B
Alle Eier, die diesen Kriterien nicht genügen, werden in die Klasse B eingestuft. Auf der Homepage des brandenburgischen Landwirtschaftsministeriums findet sich ein lustiger Satz dazu, was mit diesen Eiern geschieht: »Eier der Klasse B sind sogenannte Industrieeier, die nicht in den Handel gelangen.« Lustig deshalb, weil sie natürlich sehr wohl in den Handel gelangen: verarbeitet in Fertiggerichten und Industriebackwaren! B-Eier müssen nicht nur auf der Verpackung, sondern auch direkt auf dem Ei gekennzeichnet sein: mit dem Buchstaben B in einem Kreis oder einem farbigen Punkt von mindestens fünf Millimetern Durchmesser.
Bei den Gewichtsklassen gibt es vier Kategorien. Sie sind vor allem für Hobbybäckerinnen und -bäcker relevant:
S oder klein: unter 53 Gramm
M oder mittel: 53 bis unter 63 Gramm
L oder groß: 63 bis unter 73 Gramm
XL oder extra groß: über 73 Gramm17
Die Angabe des Legedatums ist freiwillig. Wenn es angegeben ist, muss es auf der Verpackung und dem Ei aufgedruckt sein. Bei Eiern der Klassen »Extra« oder »Extra frisch« ist die Angabe des Legedatums Pflicht.
Wie geht es meiner Eier-Produzentin?
In der Generation meiner Großeltern hatten viele Menschen entweder selbst Hühner zu Hause oder kannten zumindest jemanden, der Hühner hielt. Selbst in Städten waren Gehege im Hinterhof mit ein paar Hühnern keine Seltenheit. Der Spitzname »Mistkratzer« illustriert, wie der Alltag dieser Tiere damals aussah: Hühner bevölkerten die Freiflächen rund um Bauernhöfe, spazierten durch Dörfer und legten ab und zu ein Ei.
Das Wildhuhn brachte es einst auf zwanzig bis sechzig Eier pro Jahr. Die robusten, freilaufenden Landhühner unserer Großeltern schafften jährlich bereits um die 180 Eier. Ein modernes Hochleistungshuhn kommt hingegen auf die eindrucksvolle Jahresleistung von bis zu 320 Eiern.18 Diese enorme Steigerung hat viel mit Genetik zu tun: Moderne Legehennenrassen sind gezielt darauf hingezüchtet, dass möglichst viel von der Energie aus dem Futter in die Eierproduktion fließt. Darum sind diese Hühner vergleichsweise dünn. Für die männlichen Sprösslinge dieser Zuchtlinien hat das drastische Konsequenzen: Einen Hahn zu mästen, der kaum Fleisch ansetzt, ist nicht wirtschaftlich. Und so werden männliche Küken aus der Legehennenzucht direkt vergast oder geschreddert. Das betrifft in Deutschland pro Jahr die stolze Zahl von 45 Millionen kleinen Hähnchen. An der Uni Leipzig arbeiten Forscher an einer Methode, schon im Ei das Geschlecht bestimmen zu können. Wenn diese Methode serienreif wird, kann man ganz gezielt nur noch Legehennen ausbrüten und die Hähne schon im Ei-Stadium entsorgen, etwa als Tierfutter. So oder so kein schöner Gedanke – sehr weit weg vom lustigen Mistkratzer aus dem Bilderbuch.
Aber zurück zur Legehenne. Die EU-Verordnung zur Vermarktung von Eiern schreibt vor, dass jedes Ei mit einem gut lesbaren Erzeugercode gekennzeichnet sein muss. Dieser Code verrät dem Käufer schon eine ganze Menge über die Umstände, unter denen dieses Ei gelegt wurde:
Die Zahl ganz vorne gibt Auskunft darüber, wie die Legehenne gehalten wurde:
0 – Eier aus Bio-Haltung
Hier dürfen im Stall höchstens sechs Tiere pro Quadratmeter leben. Ihr Stall ist mit Sitzstangen ausgestattet, mit einer Länge von mindestens 18 Zentimetern pro Tier. Wenigstens auf einem Drittel der Fläche sind Stroh, Holzspäne oder Sand eingestreut. Außerdem stehen jeder Henne mindestens vier Quadratmeter Auslauf zur Verfügung. Die Tiere erhalten ausschließlich Futter aus ökologischem Landbau.
Noch mehr Platz haben Legehennen übrigens, wenn auf der Packung das Siegel des Bio-Verbandes Demeter prangt: Da sind sogar nur 4,4 Hennen pro Quadratmeter Stallfläche erlaubt.
1 – Eier aus Freilandhaltung
Hier geht es schon enger zu: Neun Tiere pro Quadratmeter im Stall sind zulässig. Dieser muss...