3. Einführung in die Kulturen des frühen und mittleren Jungpaläolithikums
3.1. Allgemeiner Überblick
Der zweite Teil der letzten Kaltzeit ist menschheitsgeschichtlich, zumindest in Mitteleuropa, die "große Zeit der Eiszeitjäger" (Bosinski, 1987) Es fällt klimatisch in eine Zeit, die von einem winterkalten, extrem trockenen Kontinentalklima mit kurzen, aber warmen Sommern geprägt war (Frenzel, 1983, S. 133). Da aus dem kalten Ozean kaum verdunstetes Wasser aufstieg, brachten die vorherrschenden Westwinde nur geringe Niederschläge nach Mitteleuropa. Dieses Wasserdefizit hielt während der Interstadiale an, die vor allem während des Inter-Pleniglazials (Isotopenstadium 3) nicht feuchtkalt, sondern winterkalt-trocken waren. Die vorherrschende Vegetationsform war die mit Steppengräser bewachsene Kaltsteppe. Wohl wegen der Temperaturen, als auch auf Grund der Trockenheit wuchsen Wälder lediglich entlang der Flussläufe und in geschützten Senken und Mulden.
Die eiszeitliche Graslandschaft beherbergte eine große tierische Biomasse, für die neben Mammut, Wollnashorn, Wisent oder Pferd auch Tiere wie die Saiga-Antilope und das Rentier, deren heutige Verbreitungsgebiete weit voneinander getrennt sind, charakteristisch waren. In großen Herden durchzogen diese Tiere in jahreszeitlichen Zyklen die Kältesteppe.
Chronostratigraphisch beginnt das Jungpaläolithikum während des Inter-Pleniglazials (Bosinski, 1987; Müller-Beck, 1998), der letzten Kaltzeit. Dieses Inter-Pleniglazial wird insgesamt mit der Isotopenstufe 3 gleichgesetzt, die etwa 60.000 – 25.000 vor heute datiert wird (Müller-Beck, 1998) also ein Zeitraum von etwa 35.000 Jahren.
Bosinski (1987) glaubt allerdings den Beginn des Jungpaläolithikums mit dem Hengelo-Interstadial (im Rheinland: Innerwürmboden, in Frankreich: Les Cottes), das etwa von 43.000 bis 34.000 vor heute dauerte, gleichsetzen zu können. In diesen gemäßigten Abschnitt gehören Industrien des frühesten Jungpaläolithikums, die wie das Chatelperronien in Frankreich, das Szeletien und Bohunicien im östlichen Mitteleuropa, die aus dem regionalen Mittelpaläolikum hervorgegangen sind.
Umstritten ist die Stellung der Sungir-Kostenki I,5 Osteuropa. Bosinski möchte diese an den Beginn des Mittelpaläolithikums datiert wissen und zieht hierfür ein 14C-Datum einer Humusschicht von 32.000c vor heute heran. Allerdings läßt sich für die Bestattung des Mannes von Sungir immer wieder ein 14C-Datum von ca. 25.000c vor heute finden, was eine gravettien- zeitliche Einordnung der Sungir-Kostenki I,5 Kultur nahe legt.
Nach einer kälteren Phase, in die ein Teil der Inventare des frühjungpaläolithischen, europaweit einheitlichen Aurignacien datiert, folgt um ca. 32.000 - 28.000 vor heute ein weiterer gemäßigter, allgemein als Denekamp-Interstadial bezeichneter Abschnitt.
In Südwesteuropa lassen sich mehrere wärmere Ozillationen (Frankreich: Arcy und Kesselt, Belgien: Denekamp und Maisieres) unterscheiden, während weiterer östlich in den Profilen lediglich ein Boden zu erkennen ist. Mit ihm beginnt die ältere Phase des mittleren Jungpaläolithikums, die wie das Aurignacien im wesentlichen eine kulturelle Einheit in ganz Europa bildet und auch die, durch eine zunehmende Verschlechterung der klimatischen Bedingungen gekennzeichnete Anlaufzeit zum 2. Kältemaximum umfasst. Die zugehörigen Inventare stammen aus erhaltungstechnischen Gründen vor allem aus der Zeit nach dem Denekamp-Interstadial und werden dem "Perigordien superieur", "Gravettien" oder "Pavlovien" zugerechnet.
Die Einheitlichkeit des Fundstoffes in Europa geht durch das 2. Kältemaximum zwischen 22.000 und 18.000 vor heute (Isotopenstadium 2) verloren. Der skandinavische Eisschild dringt weit nach Europa vor. Er reicht etwa bis zur Mitte der jütischen Halbinsel und bis in die Gegend um Berlin vor. Im Süden reichen die Alpengletscher jetzt in das Alpenvorland hinein und in den Mittelgebirgen bilden sich ab einer Höhe von 900 m ebenfalls Gletscher.
Zwischen dem skandinavischen und dem inneralpinen Eisschild entsteht eine siedlungsfeindliche Eiswüste, die den mitteleuropäischen Siedlungsraum in einen West- und einen Ostteil teilt.
Während sich im Westen das Solutreen herausbildet, sind es im Osten Inventare und Befunde, wie sie für die Fundplätze von Eliseevici und Kostenki VIII,1 typisch sind. Nach dem 2. Kältemaximum der letzten Kaltzeit kommt es im Zuge der allmählichen Wiedererwärmung, von kleineren kälteren Abschnitten unterbrochen zu einer Klimaverbesserung, die im Lascaux - Interstadial um 17.800 - 16.500 vor heute ihren Anfang nimmt und schon im Bölling - Interstadial in manchen Gebieten, wie in Österreich, eine flächendeckende (Kiefern-) Bewaldung ermöglicht. Die Wiederbesiedlung Mitteleuropas erfolgt vom Westen her durch die Träger des Magdalenien, das in seinen verschiedenen Ausprägungen die Zeit des späten Jungpaläolithikums zwischen dem Ende des 2. Kältemaximums und dem Anfang des Alleröd-Interstadials um 11.750 vor heute in West- und Mitteleuropa bestimmt.
Sein Pendant in Osteuropa ist die Mezin-Meziric-Kultur. Europaweite Einheitlichkeit stellt sich erst wieder im Azillien des Spätpaläolithikums ein.
Im Unterschied zum Mittelpaläolithikum setzen sich zu Beginn des Jungpaläolithikums die weniger rohmaterialaufwendige Klingentechnik und wenig später auch rückengestumpfte und z.T. kleindimensionierte Geräte als feste Bestandteile der überwiegenden Anzahl der Technokomplexe durch. Daneben gewinnt die Knochen- und Geweihbearbeitung stärker an Bedeutung, wie die Anwendung der Spantechnik, die standardisierten Knochen- und Geweihgeräte und der zunehmenden Anteil der Werkzeugklasse der Stichel zeigen.
In die Zeit des Jungpaläolthikums fällt auch der Beginn der Beschäftigung des Menschen mit Dingen und Tätigkeiten, die zumindest vordergründig nicht unmittelbar zur Sicherung des Überlebens beitragen.
So zeugen Fundstücke wie z.B. Statuetten aus Elfenbein und Ton, oder aber skulptierte Speerschleudern, nicht nur von einer differenzierten und komplexen, ständigen Veränderungen unterworfenen Vorstellungswelt, sondern auch von einem höheren Quantum an "Freizeit".
Es scheint so als ob durch einen schnellen Austausch von Informationen über weite Distanzen der Wandel in der Vorstellungswelt, ebenso wie in der Technik beschleunigt wurde
Trotz regionaler Rohmaterialversorgung finden sich schon im Fundmaterial des Aurignacien fossile Schmuckschnecken, die teilweise aus großen Entfernungen von mehreren hundert Kilometern stammen müssen. So konnten in Krems-Hundssteig in Nieder- Österreich neben fossilen Mollusken aus dem Wiener Becken solche aus dem mittleren Donaubecken Ungarns und aus dem Mittelmeer (Schwarzes Meer?) nachgewiesen werden, die man wohl als eingetauscht ansehen darf.
Das wohl nicht nur materielle Güter getauscht (verhandelt) wurden, belegen die nach und nach angebrachten Grübchen auf dem Adorantenplättchen aus dem Aurignacien des Geißenklösterle und den Elfenbeinplättchen gleicher Zeitstellung aus dem Abri Blanchard bzw. Abri Lartet, die scheinbar auf einer identischen Vorstellung beruhen. So scheinen sich bereits für das Aurignacien weitreichende Kontakte belegen zu lassen, die wohl dazu betragen das sich Neuerung sehr schnell in einem großen Teil der menschlichen Ökumene verbreiten.
3.2. Das früheste Jungpaläolithikum
In die Zeit des Hengelo-Interstadials zwischen 43.000 und 34.000 vor heute fällt der Umbruch vom Mittel- zum Jungpaläolithikum, der durch eine Zunahme von jungpaläolithischen Werkzeugklassen (Klingengeräte, Stichel, Kratzer) innerhalb der weiterhin stark von den jeweiligen regionalen mittelpaläolithischen Gerätetraditionen geprägten Inventaren charakterisiert ist. Eine technologische Neuerung stellt die einfache Spantechnik dar, die vereinzelt durch typische Vorformen (z.B. aus Arcy-sur-Cure/Grotte du Renne) nachgewiesen ist. Daneben gehören jetzt Kunstgegenstände Schmuck, aber auch Statuetten - zu den Funden.
Die Leitform des vor allem in Südwestfrankreich verbreiteten Chatelperronien oder Perigordien I, ist die Chatelperron-Spitze, die eine Weiterentwicklung aus dem Mousterien darstellt
Ebenfalls mittelpaläolithisch sind die verschiedenen Schaberformen und kleinen Faustkelle, und auch die - jetzt allerdings in höheren Anteilen vertretenen -Klingen und aus Klingen gefertigten Kratzer und Stichel kommen im späten Mittelpaläolithikum bereits vor. Bearbeitete Gegenstände aus Knochen und Zahn stammen vor allem aus dem Höhlensystem Arcy-sur-Cure, das Leroi - Gourhan untersucht hat. Als Schmuckgegenstände anzusprechen sind Zähne vom Wolf, Fuchs und Ren, die eine Rille zum aufhängen besitzen, sowie das Glied eines fossilen Seeigels. Darüber hinaus liegen verschiedenartig bearbeitete Knochen vor. Ebenfalls in Arcy-Sur-Cure, in der Grotte du Renne, konnte ein rundliches, von einer Plattenlage, Mammutstoßzähnen und peripheren Pfostenlöchern begrenztes Siedlungsobjekt beobachtet werden.
Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass das Chatelperronien allgemein als Industrie des Neandertalers angesehen wird. Es...