Vorwort
Vor ein paar Jahren habe ich einmal die These aufgestellt, es gäbe fünfzig Weisen zu beten. Langweilig sei Beten nur dann, wenn man (wie die meisten Menschen hierzulande) davon nur eine Handvoll kenne. – Ich und meine große Klappe! Doch scheinbar habe ich mit meiner Aussage einen Nerv getroffen, denn auf kaum einen Satz wurde ich in den vergangenen Jahren so oft und so interessiert angesprochen wie auf diesen. Vielen geht es scheinbar ähnlich wie mir: Sie glauben an Gott, empfinden aber, wenn sie ehrlich sind, das Gebet oft als eine ziemlich mühsame und eintönige Angelegenheit. Kein Wunder: Es ist ja auch nicht ganz einfach, sich mit einem Wesen zu unterhalten, das man weder sehen noch hören, noch anfassen kann.
Immer wieder bin ich darum gefragt worden: „Wie sehen denn diese fünfzig Weisen aus?“ Hier und dort bin ich sogar eingeladen worden, Vorträge über dieses Thema zu halten. Ausgerechnet ich! Es gibt sicherlich einige Themen, zu denen ich Sinnvolles beitragen kann, doch „Beten“ gehörte bislang nicht dazu. Also habe ich die Leute oft hingehalten und geantwortet, ich würde über diese Frage irgendwann mal ein Buch schreiben. Und in der Zwischenzeit habe ich klammheimlich Weisen zu beten gesammelt.
Über zehn Jahre sind seither vergangen und ich löse hiermit mein Versprechen ein. Endlich. Allerdings hatte ich ursprünglich vor, eine Art „Rezeptbuch“ zu schreiben: „Man nehme diese und jene Zutat, gieße alles fröhlich ineinander, rühre das Ganze kräftig um, und fertig ist das Gotteserlebnis.“
Über zehn Jahre sind seither vergangen und ich löse hiermit mein Versprechen ein. Endlich. Allerdings hatte ich ursprünglich vor, eine Art „Rezeptbuch“ zu schreiben: „Man nehme diese und jene Zutat, gieße alles fröhlich ineinander, rühre das Ganze kräftig um, und fertig ist das Gotteserlebnis.“
So funktioniert das aber nicht. Denn das Heilige lässt sich nicht mithilfe von Methoden einfangen. Als ich begann, mich ernsthaft mit diesem Projekt zu beschäftigen, wurde mir schnell klar, dass ich die fünfzig Arten des Gebets selbst erproben, das heißt einen Selbstversuch durchführen muss, wenn ich authentisch darüber schreiben will. Ich merkte aber auch, dass das, was ich dabei erlebte, höchst individuell war. Und dass ein Leser oder eine Leserin, wenn sie genau die gleichen Übungen machen würden wie ich, dabei möglicherweise völlig andere Erfahrungen sammeln würden.
So kam ich auf den Gedanken, eben kein „religiöses Kochbuch“ zu veröffentlichen, sondern meinen Selbstversuch tagebuchartig zu dokumentieren und Sie an meinen Erfahrungen teilhaben zu lassen. Was ich dabei erlebte, war für mich teilweise wirklich bewegend. Anderes wiederum erschien mir eher kurios und wunderlich. Manches wirkte – wie Sie schnell merken werden – auf mich auch einfach nur skurril und komisch.
Nun! Ich kann die kritischen Einwände gegen ein solches Vorgehen schon ahnen: „So ein ‚Schnupperkurs in Sachen Gebet‘ ist bereits von seinem Ansatz her total oberflächlich und die Darstellung der einzelnen Gebetsformen alles andere als objektiv. Außerdem ist der lockere Ton eines solchen Buches dem ernsthaften Thema doch eher unangemessen.“
Stimmt. Dem allen kann ich nur beipflichten. Wenn Sie eine hochtheologische und zugleich tiefgehende, eine objektive und garantiert humorfreie Darstellung des Themas „Gebet“ suchen, sollten Sie unbedingt auf andere Bücher zurückgreifen. Davon gibt es schließlich eine ganze Menge. Einige davon würde ich Ihnen sogar ausdrücklich empfehlen. Lesen Sie die. Meistens beschäftigen sich solche Publikationen nur mit einer oder mit ganz wenigen Gebetsformen und behandeln diese mit der notwendigen Sachlichkeit und Tiefe. Und das ist auch gut so.
Dieses Buch hier ist ein wenig anders. Klar: Ein Selbstversuch ist schließlich schon vom Ansatz her etwas höchst Subjektives. Und da ich fünfzig Tage lang jeweils eine andere Gebetsart ausprobiert habe, ist der Vorwurf, nichts davon „richtig“ gemacht zu haben, durchaus naheliegend. Wenn Sie es „richtig“ machen wollen, müssen Sie eine Gebetsform oft monate-, ja, mitunter sogar jahrelang einüben. Erst dann können Sie wirklich etwas Qualifiziertes darüber sagen. Andererseits ist das Leben kurz. Ich hätte meine These von den 50 Weisen nie belegen können, wenn ich jede Gebetsart erst mal jahrelang ausprobiert hätte. Wenn Sie also zu den Vertretern der „Eine-Gebetsweise-pro-Jahr-genügt“-Theorie gehören: Bitte schön! Vielleicht kann dieses Buch Ihnen trotzdem helfen, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, mit welcher Übung Sie den Anfang machen oder mal etwas Neues ausprobieren wollen.
Allerdings: So ganz kann ich die Theorie, dass wir uns auf wenige Arten des Betens beschränken sollen, nicht teilen. Es ist völlig normal, wenn wir unsere individuellen Favoriten und Schwerpunkte entwickeln. Aber schon unter uns Menschen ist „Kommunikation“ ein unglaublich buntes, vielschichtiges Geschehen. Wir beschränken uns eben nicht auf zwei oder drei Ausdrucksmöglichkeiten, sondern funken sozusagen auf allen Kanälen: Wir reden, schreiben, singen, simsen, schimpfen, winken, lachen, weinen, umarmen einander usw. Je breiter die Palette der von uns genutzten Kommunikationswege ist, desto mehr erfahren wir voneinander und desto lebendiger ist unser Gespräch. Und umgekehrt: Je eingleisiger unsere Kommunikation verläuft, desto langweiliger und eintöniger wird sie. Ich behaupte: Ähnliches gilt auch für unser Gebet, denn Beten ist nichts anderes als Kommunikation mit Gott. Je breiter die Palette der Ausdrucksmöglichkeiten ist, derer wir uns dabei bedienen, desto lebendiger und interessanter wird dieses Gespräch. Ständige Gleichförmigkeit ist auch hier der Killer jeder lebendigen Kommunikation und endet in dem – wenn auch häufig unausgesprochenen – Gebet: „Lieber Gott, dasselbe wie gestern, Amen.“
Der Philosoph und Psychotherapeut Paul Watzlawick hat einmal gesagt: „Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.“ Ähnlich geht es jemandem, der nur ein oder zwei Weisen zu beten kennt. Ich erinnere mich, dass ich als Kind von meiner Mutter zwei Gutenachtgebete gelernt habe, mit denen ich viele Jahre versuchte, allen Situationen meines Lebens zu begegnen. Wenn „Müde bin ich, geh zur Ruh’“ nicht passte (was bei einem lebhaften kleinen Bengel wie mir meistens der Fall war), dann betete ich eben: „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm.“ Schon damals war mir bewusst, dass dieses Instrumentarium ziemlich begrenzt war, weil es eine Vielzahl von Lebenslagen nicht wirklich abdeckte. Aber ich kannte nur diese beiden Gebete, und dass man Gott mit freier Rede ansprechen darf, lernte ich erst später. Allein diese eine neue Gebetsform eröffnete mir damals einen weiten Horizont. Vielleicht ahnen Sie, wie es mir jetzt ergeht, wo ich dieses Buch fertig habe.
Vielleicht fragen Sie sich auch: „Wie kommt dieser Typ eigentlich auf die Zahl 50? Vielleicht gibt es ja auch 96 oder 333 oder sogar unendlich viele Weisen zu beten.“ Und damit haben Sie völlig recht. Anfangs habe ich diese Zahl einfach mal provokativ in den Raum gestellt. Dann habe ich angefangen zu sammeln und bin im Laufe meiner Recherchen zu diesem Buch auf weit über hundert Weisen des Betens gekommen. Sie finden sie im Anhang aufgelistet. Und sicherlich sind es in der Tat noch sehr viel mehr.
Ich habe es bei meiner Ausgangsthese belassen und fünfzig dieser Formen im Rahmen meines Selbstversuchs ausprobiert. Dabei habe ich alle Grundgebetsarten berücksichtigt und darüber hinaus versucht, eine möglichst bunte Mischung von Gebetsweisen zu finden, die ich – ganz subjektiv – als inspirierend und horizonterweiternd empfand und von denen ich mir neue, ungeahnte Zugänge zu Gott erhofft habe.
Wobei ich manchmal gefragt wurde: „Ja, sind denn die Gebetsformen, die Sie da aufführen, alle christlich?“ Ich verstehe diese Frage und finde sie doch irreführend. Denn ob unser Beten christlich ist oder nicht, entscheidet sich meiner Meinung nach nicht so sehr an der äußeren Form, sondern daran, an wen wir uns mit unserem Gebet wenden. Moslems knien vor ihrem Gott nieder, Juden erheben die Arme zum Himmel und Buddhisten meditieren – sollten Christen das deswegen nicht tun? Zweifellos gibt es Gebetsformen, die dem Wesen des Christentums widersprechen: Menschen- und Tieropfer zum Beispiel. Aber das ist viel seltener der Fall, als wir manchmal meinen. Im Großen und Ganzen empfehle ich, mit dieser Frage gelassen umzugehen und nicht so viele Berührungsängste zu haben.
Viel wichtiger als die Unterscheidung zwischen christlichen und möglicherweise unchristlichen Gebetsformen ist für mich die Frage, ob die jeweilige Weise des Betens zu uns „passt“ oder nicht. Jeder von uns kommuniziert anders; das gilt auch für unser Gebet. Wenn eine bestimmte Art des Betens unsere Beziehung zu Gott vertieft, ist sie auch gut für uns. Und wenn das nicht der Fall ist, ist es unerheblich, ob vielleicht Tausende andere diese Art des Gebets mit Gewinn praktizieren. Für uns ist sie dann offensichtlich ungeeignet. Der Punkt ist: Es gibt keine Gebetsform, die für alle Menschen und in allen Lebenssituationen gleichermaßen geeignet und angebracht wäre. Ein trauriger Mensch muss nicht danken, ein glücklicher Mensch braucht nicht zu klagen, ein unmusikalischer Mensch muss nicht singen und ein ADHSler sollte sich nicht mit Stille-Übungen plagen. Was für den einen gut ist, ist es nicht zwangsläufig auch für den...