Vorwort. Von den Bienen lernen
Wie kommt es, dass die Bienen plötzlich in aller Munde sind? Ihr mögliches Aussterben beklagt wird? Petitionen verfasst, politische Entscheidungen zu ihrem Schutz getroffen werden, wie das EU-Verbot von Pestiziden, die Hummeln, Bienen und Schmetterlinge töten? Dass große Pharmakonzerne sogar eigene Abteilungen unterhalten, in denen die Auswirkungen von Pestiziden auf die Bienen untersucht werden (nicht ohne Eigennutz versteht sich; kann man beweisen, dass es den Bienen zum Beispiel trotz Glyphosat gut geht, drohen keine finanziellen Einbußen, Klagen oder gar Verbote).
Ältere Semester, wie ich eines bin, sind mit Wochenendfahrten im VW Käfer und der Ente aufgewachsen, wobei man alle fünfzig Kilometer an eine Tankstelle heranfahren musste, um die völlig verschmierte Windschutzscheibe zu reinigen. Man konnte nichts mehr erkennen vor lauter toten Insekten, darunter kleine und große Flatschen in gelb, rot und braun, von Faltern, Schmetterlingen, Käfern, Libellen, Wildbienen und Wespen. Die Scheibe wurde damals noch vom Tankwart gesäubert. Tanken, Scheibenwischen, nach dem Öl schauen. Trinkgeld geben und danken. Heute undenkbar.
Als Kind spielte ich auf den Wiesen im Wiener Prater im Zweiten Bezirk, eine Schnellbahnstation von meiner Wohnung entfernt. Ich liebte es als kleines Mädchen, hin und her zu rennen, um die zahlreichen Heuschrecken zum Hüpfen zu bringen. Nun kann ich mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen Grashüpfer in meiner unmittelbaren Umgebung gesehen habe. Auch den obligatorischen Blumenstrauß (mit viel zu kurz abgerissenen Stängeln) für meine Mutter mit all den Wiesenblumen kann ich heute nicht mehr pflücken; es gibt kaum Wildblumenwiesen mehr an meinem Wohnort.
Unser derzeitiger Fokus in der Nahrungsmittelindustrie liegt auf der normierten Reproduzierbarkeit, Lagerfähigkeit und Effizienz (also z. B. Ertrag). Wir wollen alles jederzeit verfügbar haben, sagt der Handel. Wir wollen mehr. Zuhause lassen wir die Fächer im Kühlschrank und in den Regalen überquellen, um alle paar Tage Verdorbenes und Angeschrumpeltes in einer Art innerer Reinigung und Erleichterung in den Müll zu werfen, um dann gleich wieder loszuziehen und alles wieder vollzumachen.
Dieses Mehr erreichen wir vor allem durch zusätzliche Flächenversiegelung, durch Kunstdünger und Kraftfutter, durch das Ignorieren der Bedürfnisse unserer Mitlebewesen und nicht zuletzt durch Medikamente und Hormone.
Früher war es gang und gäbe, den Vögeln und anderen Tieren mindestens zehn Prozent an Früchten, Getreide und Gemüse zu überlassen. Zum einen ergab sich das aus der manuellen Ernte von selbst, zum anderen war es ein christlicher Standpunkt, seine Ernte mit anderen zu teilen oder ihnen zumindest vom Reichtum etwas abzugeben. Wir waren uns im Klaren, dass wir Teil der Natur sind und nur mit ihr zusammen gesund und zufrieden bleiben würden.
Das Miteinander löst sich auf. Stattdessen erobert der Kampf gegen die Natur die Welt. Sie muss gezwungen werden, uns zu dienen. Viele haben eine Sehnsucht nach Verwurzelung und Einfachheit. Nach einem Essen, das Jahrtausende lang unsere Lebensbasis war, nach Landschaften, die dem Auge schmeicheln und die Nase glücklich machen. So ist auch eine Bewegung entstanden, bei der die Biene zur Sympathieträgerin wurde, weil sie symptomatisch zeigt, wie sehr wir uns schon von unseren Wurzeln entfernt haben.
Man kann jedoch nicht ein Insekt schützen wollen und die anderen ignorieren. Kein Insekt, kein Lebewesen überlebt im leeren Raum. So wie wir die Natur zum Überleben brauchen, Luft und frisches Wasser, so trifft dies auch auf die Insekten zu. Wir alle brauchen das Lebendige. Man kann nicht Insektenvernichtungsmittel streuen und es als Schutz deklarieren. Insektengift ist genau das: ein Gift. Gerade Wildbienen mit ihren zahlreichen erstaunlichen Fähigkeiten und Strategien, wie überhaupt alle Insekten, werden von den meisten Menschen immer noch kaum bestaunt und als schützenswert betrachtet. Wir erleben Insekten höchstens als lästig oder gar gefährlich. Kaum einer von uns nimmt sich die Zeit, diese kleinen Dinger genau anzusehen und zu beobachten. Jemand, dem wir nur schwer ins Aug schauen wollen und können, berührt meist nicht unsere Seele.
Anders ist es bei der Honigbiene, die wir meistens meinen, wenn wir von Bienen sprechen. Ihre Lobby wächst von Jahr zu Jahr. Und das ist gut so, denn sie hilft – so hoffe ich jedenfalls – langfristig auch dem Schutz aller Insekten. Wer kennt nicht »Die Biene Maja und ihre Abenteuer«, Waldemar Bonsels Buch, das 1912 seinen Siegeszug um die Welt antrat und in über vierzig Sprachen übersetzt ist, oder die Zeichentrickfilm- und Comicadaptionen aus den Siebzigern? Die Honigbiene ist uns als liebenswertes Insekt vertraut. Die Botschaft lautet: Fleißige Bienchen tun uns viel Gutes, indem sie eine enorme Bestäubungsleistung vollbringen. Mit Bienen assoziieren wir also grundsätzlich positive Eigenschaften. Vielleicht weil sie keine Nahrungskonkurrenten des Menschen sind wie die Wespen und eine gänzlich andere ökologische Nische besetzen als diese? Oder weil sie nicht freiwillig unsere Nähe suchen und auch nicht mit Vorliebe in unserem Badezimmer oder Keller überleben wollen, wie es Silberfische oder Kakerlaken gerne machen und uns suggerieren, dass sie, wie zum Beispiel die Kopfläuse, von ein bisschen zu viel Schmutz profitieren (was nachweislich so nicht stimmt).
Aber was wissen die meisten Menschen wirklich über Bienen? Wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umhöre, und selbst bei befreundeten Hobby- und Profiimkerinnen und -imkern, dann wird mir bewusst, wie wenig wir über das Wesen der Bienen, ja überhaupt Insekten wissen und wie viele (Vor-)Urteile über sie existieren.
Ich habe gestaunt, als ich erfuhr, dass die Honigbiene sich wohl aus fleischfressenden Wespen entwickelt hat und dann im Laufe von Jahrmillionen zur Vegetarierin wurde. Die Biene ist eines der ältesten Tiere dieser Welt. Die ersten Funde echter Honigbienen aus Mitteleuropa stammen aus der Übergangszeit vom Oligozän zum Miozän vor rund dreiundzwanzig Millionen Jahren. Aus einer Zeit, als sich das zuvor eher kühlere Klima erwärmte, die Polkappe zeitweise völlig verschwand und die Meeresspiegel anstiegen. Und sie ist immer noch da! In Europa war es damals feuchtwarm wie in den Subtropen mit immergrünen Laubwäldern aus Eichen, Lorbeergewächsen, Magnolien, Kiefern, Feigen und Rattanpalmen.
Honig sammelten bereits die Steinzeitmenschen, wie Felsmalereien in Anatolien und bei Valencia beweisen, die vor etwa achttausend Jahren entstanden. Neben Früchten gab Honig ihnen die begehrte, seltene Süße in der Nahrung. Mit Honigbienen geimkert haben sie recht sicher noch nicht. Damit begannen – in verschiedenen Abstufungen – wohl erst die alten Ägypter vor rund sechstausend Jahren. Jahrtausendelang lieferten Bienen uns Menschen die Süße, bevor die aus Zuckerrohr und später aus Rüben gewonnene ihren Siegeszug um die Welt antrat. Zunächst ging die Honiggewinnung mit der Ausrottung des ganzen Bienenvolkes einher und war meist sehr schmerzhaft und gefährlich für den Honigerntenden (auch wenn sich mit der Zeit bei den Honigräubern sicher eine Art Resistenz gegen das Bienengift entwickelte). Über die Zeit hat man gelernt, Völker in Baumlöchern zu halten. Mit diesem sogenannten Zeideln erreichte die Honigproduktion in Europa im Mittelalter ihren Höhepunkt. Später begannen die Imker, Beuten, also spezielle Behausungen, aus Stroh, Dung oder Holz zu bauen und die Honigwaben so herauszuschneiden, dass das Volk zwar geschwächt wurde, aber meist überleben konnte. Von Anfang an waren alle Bienenprodukte auch Medikamente und Bestandteil zahlreicher anderer Anwendungen: Salben, Abdichtungen, Werkzeuge, Kerzen und Kosmetika. Kaum einem Tier haben wir so viel und Vielfältiges zu verdanken wie der Honigbiene.
Die wilden Schwestern der Honigbienen, die Wildbienen, die überwiegend keine Staaten bilden und deshalb auch keinen Honig produzieren, gibt es sogar noch viel länger. Man hat in Bernstein eingeschlossene Bienen entdeckt, die vor ungefähr hundert Millionen Jahren lebten, in der Kreidezeit, als Dinosaurier die Erde bevölkerten. Blütenpflanzen aus dieser Zeit weisen bereits Merkmale auf, die auf eine Bestäubung durch Bienen schließen lassen. Nun, die Dinosaurier sind längst ausgestorben. Aber die Biene hat dank ihrer Eigenschaften, ihrer Anpassungsfähigkeit und ihrer Qualitäten bisher überlebt. Doch sie ist in Gefahr. Denn nicht nur die Biene hat es geschafft, die Welt so ausdauernd und über alle Kontinente verteilt erfolgreich zu bevölkern. Der Mensch steht ihr historisch gesehen in seiner Erfolgsgeschichte in nichts nach. Doch gerade der Mensch ist zur größten Gefahr für die Biene geworden. Wenn wir nicht achtsam und respektvoll mit unseren Mitgeschöpfen sind und uns über deren wesenhafte Bedürftigkeit nicht klar werden, dann wird der Mensch es in absehbarer Zeit schaffen, die Wildbienen und vielleicht auch die Honigbiene auszurotten.
Zwar können Imker Verluste von Honigbienen schnell ausgleichen, teilen noch vorhandene Völker zu neuen, mischen die Reste schwacher mit stärkeren – als wär’s ein Kuchenrezept – oder kaufen zum Beispiel neue, künstlich befruchtete Königinnen, um das Volk wieder zu vermehren und zu verjüngen. Doch haben wir ein Stadium erreicht, in dem die Honigbiene kaum ohne den Eingriff der Menschen, ohne medikamentöse Behandlungen und Zufüttern überleben würde. Unterstützen wir damit die Bedürfnisse der Bienen oder nur unsere eigenen? Verstehen wir, was das mit ihnen macht? Vor allen Dingen:...