Im Verlauf seiner Ostpolitik griff Karl der Große durch militärische Unternehmungen auch in den Teil Europas ein, den die Böhmen bewohnten. Die anfängliche Abwehr der Angriffe der Awaren endete mit der Besetzung ihrer Gebiete um das Jahr 791.[13] Seinen Weg bahnte sich das fränkische Heer durch Böhmen und traf auf keinen nennenswerten Widerstand.[14] Eine freiwillige Unterordnung unter die Oberherrschaft der Franken ist in diesem Zusammenhang möglich, aber quellenmäßig nicht eindeutig belegbar.[15] Im Zuge der Konsolidierung der östlichen Gebiete, die an das Frankenreich grenzten, ließ Karl der Große im Jahre 805 drei Heere gegen die Böhmen ziehen, doch bereits im Jahr 806 musste er ein weiteres Mal in Böhmen einrücken.[16] Bei dieser Gelegenheit war es Karl dem Großen allerdings gelungen, die Böhmen gegenüber dem Frankenreich tributpflichtig zu machen.[17] Einhard weiß Folgendes zu berichten: „[…] endlich machte er sich auch alle die barbarischen und wilden Völkerschaften zinsbar, die zwischen Rhein und Weichsel, dem Meer und der Donau Deutschland bewohnen, so ziemlich einerlei Sprache reden, in Sitten und Kleidung aber sehr voneinander verschieden sind. Die Bedeutendsten darunter waren die Welataben, Soraben, Abodriten, Boemanen [Böhmen], und mit diesen hatte er Krieg zu führen, die übrigen weit zahlreicheren unterwarfen sich ihm freiwillig.“[18] Anhand der Quellenstelle wird deutlich, dass die Böhmen zwar Widerstand leisteten, dieser jedoch gebrochen werden konnte und sich daraus das rechtliche Verhältnis des Tributverhältnisses der Böhmen gegenüber den Franken entwickelte. In der Odinatio imperii von 817 wurde auch Böhmen, neben Bayern, Karantanien, den awarischen Gebieten und denen der östlichen Slawen, dem ostfränkischen Reich von Ludwig dem Deutschen zugeteilt.[19] Der Hauptsitz des ostfränkischen Königs war seitdem Regensburg.[20] In den Beziehungen der Böhmen zum Ostfrankenreich, spielte Bayern daher eine wichtige Rolle. Allerdings war die Abhängigkeit von Bayern für die Böhmen zu dieser Zeit nicht stark. Der Chronist Cosmas von Prag weiß in seiner Chronica Boemorum zu berichten, dass die Böhmen „jährlich hundert zwanzig auserlesene Ochsen und fünf hundert Mark entrichten sollten“[21]. Diese detaillierte Information fügte Cosmas in seiner Chronik für das Jahr 1040 an. Wilhelm Wegener stellt in diesem Zusammenhang fest, dass diese Tributpflicht keine verfassungsmäßige Abhängigkeit bedeutete und die Böhmen autonom blieben.[22] Hartmut Hoffmann lehnt diese Schlussfolgerung Wegeners, indem er darlegt, dass Tributzahlungen mit einer Abhängig-keit einhergehen konnten, ab.[23]
Für die Jahre 815, 822 und 831 ist belegt, dass Böhmen auf den Hof- und Reichstagen der Karolinger zugegen waren.[24] Friedrich Prinz vertritt die Meinung, dass hieraus keine „staatsrechtlich gesicherte Abhängigkeit“[25] ableitbar sei, sondern dass es sich vielmehr um je nach Ereignis modifizierte Beziehungen gehandelt habe.[26] Demgegenüber sieht Hoffmann die Abhängigkeit der Böhmen vom Ostfrankenreich mit der Teilnahme an den Hof- und Reichstagen jedoch als gegeben an.[27]
Trotz der Tributpflicht der Böhmen gestalteten sich die Beziehungen zum Ostfrankenreich nicht derart, dass Böhmen als Verbündeter Ludwigs des Deutschen angesehen werden kann. Der Eintrag für das Jahr 840 in den Fuldaer Annalen belegt, wie schwierig es für den ostfränkischen Herrscher sein konnte, nach Böhmen auszuweichen. Ludwig der Deutsche musste im Jahr 840 die Möglichkeit zur Flucht vor Ludwig dem Frommen durch böhmisches Gebiet mit Geschenken erkaufen.[28] In den Fuldaer Annalen ist zu lesen, dass Ludwig der Deutsche sich außerhalb der Reichsgrenzen aufgehalten hat.[29] Böhmen zählte demnach nicht zum Reichsgebiet des Ostfrankenreiches, obwohl es in der Ordinatio imperii von 817 dem Ostfrankenreich beigegeben wurde. Dies würde die Meinung Wilhelm Wegeners, der für eine autonome Stellung der Böhmen gegenüber dem Ostfrankenreich plädiert, bekräftigen.
Nach der Reichsteilung von 843 wurde Regensburg Hauptstadt des ostfränkischen Reiches.[30] Somit kam der Stadt unweigerlich auch für die Gebiete, die im Osten an das Ostfrankenreich angrenzten, eine wichtige Rolle zu.[31] Im Zuge fränkischer Ostmission wurden vierzehn böhmische Stammesfürsten getauft. In den Fuldaer Annalen wird Folgendes für das Jahr 845 in diesem Zusammen-hang berichtet: „Ludwig nahm 14 von den Herzögen der Böhmen mit ihren Leuten auf, welche nach der christlichen Religion verlangten, und ließ sie am achten Tag nach dem Erscheinungsfest.“[32] Diese Taufe könnte laut Friedrich Prinz im Kloster St. Emmeram in Regensburg stattgefunden haben.[33] In diesem Kloster wurden zukünftig auch die böhmischen Mönche, Nonnen und Kleriker ausgebildet.[34] Darüber hinaus spielte das Kloster auch eine zentrale Rolle bei der Christianisierung und dem „Aufbau der Kirchenorganisation in Böhmen“[35]. Nach Wilhelm Wegener setzt die Taufe von 845 eine „baierische Missionstätigkeit in Böhmen voraus“[36]. Eine kirchliche Annäherung kam in der Mitte des 9. Jahrhunderts zwischen ostfränkischer Kirche und Böhmen zustande. Doch das politische Verhältnis wurde im Jahr 846 wieder erschüttert. Für das Jahr 846 berichten die Fuldaer Annalen: „[…] als dies aber erfolglos blieb, zog er etwa Mitte August mit Heeresmacht gegen die Slaven an der Marsch, welche auf Abfall sannen; wo er nach Gutdünken die Verhältnisse ordnete und feststellte, und ihnen zum Herzog Rastiz, einen Neffen Moimars, setzte. Von da kehrte er durch das Land der Böhmen heim mit großer Schwierigkeit und bedeutendem Verlust seines Heeres.“[37] Das Verhältnis zwischen dem Ostfrankenreich und Böhmen scheint sich zu diesem Zeitpunkt wieder verschlechtert zu haben, denn anders als noch im Jahre 791 wurde den Franken kein freier Durchzug durch Böhmen gewährt. Wilhelm Wegener vermutet, dass auch die Vorstöße von Karl dem Großen in den Jahren 805 und 806 daraus motiviert waren, dass den Franken der Durchmarsch durch Böhmen nicht bedingungslos gewährt wurde.[38]
In seiner Chronik der Böhmen schreibt Cosmas von Prag, dass die Böhmen ihren Tribut „[…] jedes Jahr ohne alles Widerstreben entrichtet […]“[39] hätten. Diese Behauptung ist allerdings so nicht aufrechtzuerhalten. Denn im Jahre 848 versuchten die Böhmen ihre Tributpflicht abzuschütteln: „Etwa Mitte August ließ er einen Zug gegen die Böhmen, welche einen Einfall planten, unter seinem Sohn Ludwig machen, rieb sie auf und nötigte sie, Gesandte um Frieden zu schicken und Geiseln zu geben.“[40] Ludwig der Deutsche war gezwungen, das Tributverhältnis mit Waffengewalt aufrecht zu erhalten. Zieht man einen Vorgang aus dem Jahre 877 als Analogie heran,[41] dann wird deutlich, dass die Abstellung von Geiseln der Anerkennung der eigenen Dienstpflicht entspricht. Darüber hinaus wurde mit den Geiseln auch ein erneutes Treueverhältnis bekräftigt.[42] Die Geiseln sollten die Versicherung dafür sein, dass der Tribut von Seiten der Böhmen auch gezahlt wurde.
Für das Jahr 849 verzeichnen die Fuldaer Annalen einen Angriff der Böhmen auf das Reich.[43] Richter zieht daraus den Schluss, dass dieser Sieg den Böhmen „eine kurze Zeit der Unabhängigkeit verschaffte“[44]. Ein Aufstand der Sorben im Jahr 851 zeigt ebenfalls, dass sich die Gesamtsituation an der Ostgrenze des Ost-frankenreiches unruhig gestaltete und die Grenze immer wieder durch kriegerische Auseinandersetzungen befriedet werden musste.[45] Unter Rastislav, der von Ludwig dem Deutschen als neuer Herrscher der Mährer 846 eingesetzt wurde, führten auch die Mährer immer wieder Angriffe gegen das Ostfranken-reich durch. Es blieben jedoch entscheidende Erfolge gegen die Ostfranken aus.[46] Im Falle einer Niederlage der Ostfranken gegen die Mährer, führten die Böhmen in den 850er Jahren häufig Angriffe gegen das ostfränkische Reich durch.[47] Zu dieser Zeit unternahmen die Böhmen stets den Versuch, sich von der Oberherrschaft des Reiches zu befreien.
Von Ludwig dem Deutschen wurde 856 ein Feldzug gegen die Sorben und Daleminzier erfolgreich durchgeführt.[48] Bei dieser Gelegenheit ließ sich der ostfränkische König in Böhmen huldigen.[49] Da nicht belegt ist, wer von den böhmischen duces Ludwig dem Deutschen huldigte, geht Prinz davon aus, dass die Herrschaft der Premysliden noch nicht gefestigt war.[50] Im folgenden Jahr gelang es bayerischen Kontingenten unter Bischof Otgar von Eichstätt und Pfalzgraf Rudolf die „seit vielen Jahren abgefallene Stadt (civitas) des Herzogs Wiztrach [...]“[51] in Böhmen einzunehmen.[52] Als neuer Herzog wurde Zistibor, der Bruder des geschlagenen Slavitag, eingesetzt, da er dem König huldigte.[53] Prinz nimmt an,...