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E-Book

Zwischen Boule und Bettenmachen

Mein Leben in einem südfranzösischen Dorf

AutorChristine Cazon
VerlagVerlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783462306033
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Eine wunderbare Aussteigergeschichte mit Happy End. Nicht ausgedacht, sondern selbst erlebt. Als Christine Cazon vor mehr als zehn Jahren ihre Sachen packte, um in Frankreich auf einem Bauernhof ein Praktikum zu machen, da wollte sie eigentlich nur ein Jahr bleiben. Doch dann kam alles anders. Sie verliebte sich, heiratete und betrieb mit ihrem Mann eine kleine Auberge in den französischen Seealpen. Aus ihrem Blog, den sie über ihr Leben schrieb, entstand dieses Buch. Christine Cazon erzählt vom Dorfladen, der als Nachrichtenzentrale fungiert, vom Schlachtfest im Winter, das der Städterin einiges an Nervenstärke und Trinkfestigkeit abverlangt, vom Gemeinschaftsgefühl, aber auch von kulturellen Unterschieden. Über was sprechen die Franzosen beim Essen, und wie schaffen sie es eigentlich, zu zweit in diesen engen Betten zu schlafen? Und warum ist man für die Franzosen gleich ein Exot, nur weil man mal allein sein möchte? Mit einem feinen Gespür für alles Atmosphärische, mit einem offenen Blick für das Fremde und einer großen Portion Selbstironie geht Christine Cazon diesen Fragen nach und erzählt, wie sie in Frankreich eine neue Heimat gefunden hat.

Christine Cazon, Jahrgang 1962, hat ihr altes Leben in Deutschland gegen ein neues in Südfrankreich getauscht. Sie lebt mit ihrem Mann und Katze Pepita in Cannes, dem Schauplatz ihrer Krimis mit Kommissar Duval. 

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Leseprobe
Inhaltsverzeichnis

Kräht der Hahn auf dem Mist …


»Komm doch erst mal an«, sagt mir Fleur, weil ich trotz der gestrigen Botschaft »mich zu entspannen« unruhig nach Arbeit frage. »Wenn du Lust hast, kannst du ja noch mal Kirschen ernten, vielleicht machen wir dann einen Clafoutis, und später zeig ich dir den Garten. Hast du denn schon gefrühstückt?« Ja, habe ich. Ich bin schon ganz lange wach, auch ohne Wecker. Ich habe erstaunlich gut geschlafen und dachte, alle seien schon seit fünf Uhr früh am Arbeiten. Und ich hatte schon ein schlechtes Gewissen, weil ich erst jetzt auftauche, aber niemand hat mich bislang gesucht. Also ziehe ich mit meinem Korb und einer alten Holzleiter los zum Kirschbaum. Die Sonne scheint. Um mich herum nur Himmel und Berge. Ich sehe Schmetterlinge, die ich nur vom Memory-Spiel kenne, Bienen summen, Grillen zirpen. Ich klettere auf den Kirschbaum, atme tief ein und aus und bin merkwürdig berührt. Ich habe einen Kloß im Hals. Ich werd’ doch hier nicht auf einem Kirschbaum sitzen und heulen?!

 

Zum Mittagessen finden sich zwölf Personen an dem großen Holztisch auf der Veranda ein. Es dauert einen Moment, bis alle da sind und bis wir anfangen können, denn wir essen alle zusammen, und keinesfalls essen wir ohne die Männer, die noch auf dem Feld sind oder im Stall oder was weiß ich wo. Also warten wir. Ich sitze auf dem Verandageländer, lasse die Beine baumeln und streichele Bijou, einen der großen schwarzen Hunde, der so unglaublich schmusig ist, dass ich meine Angst vor ihm schon nach Stunden verlor. Und dann essen wir. Und ich komme mir vor wie in einem der französischen Filme, die ich so gerne sehe. Es ist laut, und alle reden gleichzeitig, riesige Teller und Schüsseln werden weitergereicht. Es gibt Salat und dicke Scheiben rohen Schinken und selbst gemachte Paté, und ich bin jetzt schon satt, aber das war nur der Anfang. Dann wird eine riesige dampfende Tonschüssel auf den Tisch gestellt: pieds paquets. Ich habe keine Ahnung, was ich esse, »ça va Christjann, schmeckt es dir?«. Oh ja, es schmeckt mir gut, ein bisschen fremd, aber gut, alle lachen und freuen sich. Ich freue mich auch, verstehe nicht, was sie mir erzählen, und plötzlich sehe ich befremdet, ja was sehe ich? Zähne? Fußknochen? auf dem Teller meines Tischnachbarn. Was habe ich da gerade voll Genuss gegessen? Später verstehe ich was pieds paquets meint: Die paquets, kleine »Pakete«, sind les tripes, gefüllter Schafsmagen, Kutteln auf Deutsch, und die pieds, na, das sind eben Schafsfüße. Beides wird zusammen in einer Art Tomatensauce gekocht und gegessen und ist im Übrigen eine Spezialität aus Marseille. Ich bin dann doch ganz froh, dass es noch Käse und den Clafoutis gibt, den ich mit Fleur gebacken habe. Die dreifache Rezeptmenge mit zwölf Eiern füllte eine gigantische Auflaufform, aber bei zwölf Personen bleibt kein Krümelchen davon übrig. Und dann ist es l’heure de la sieste, und heute bin ich auch tatsächlich müde und schwer in Kopf und Bauch. Ich lege mich dankbar in mein Bett und sinke in einen kleinen Mittagsschlaf.

 

Nachmittags gehen wir in den Garten, zwei kleine Mädchen an den Händen hopsen wir und rennen und machen abwechselnd mit ihnen »Engelchen flieg«, was hier schlicht un, deux, trois, uiii heißt, aber genauso funktioniert, und dann liegt er vor mir, der Garten. Vom Hang blicke ich hinunter auf eine Oase.

 

Grün, blumenbunt und riesig liegt ein richtiger Bauerngarten vor mir, ohne Zaun, einfach so auf dem Acker, umgeben von brachliegendem Land, Wiesen und Obstbäumen. Ich sehe Sonnenblumen, und zartes Rosa-, Weiß-, Pink- und Lilafarbiges und überall Flecken von kräftigem Orange. Cosmos und Arnika lerne ich, dann Kohl, Karotten, Salat, Bohnen, Tomaten, Zwiebeln, Lauch, Kräuter … alles, was man sich in einem Gemüsegarten vorstellen kann, ist da. Und auch Pflanzen, die ich nicht kenne, wie etwa les fèves, Saubohnen steht in meinem Wörterbuch, also Schweinefutter? »Neinnein, Christjann, kuck, das kann man essen …« Ich bin nicht ganz überzeugt und halte mich lieber an eine Karotte, die ich aus der Erde ziehe, mit den Händen säubere und schließlich doch an meiner Hose abreibe – ist doch nur Erde, Christjann, sag ich mir selbst – und knackend und krachend kaue. Schmeckt, wie Karotten früher mal geschmeckt haben, finde ich. Und mir fällt ein, dass meine Eltern, als ich klein war, bei einer alten Dame den Garten bestellt haben. Ich sehe das alles plötzlich ganz deutlich vor mir. Das kleine Siedlungshäuschen mit dem großen Garten, und da gab es auch den Kirschbaum, der gestern schon in meinem Kopf herumschwirrte, und ich hatte ein eigenes kleines Beet mit Karotten und Radieschen. Ich bin erstaunt, an was ich mich so alles erinnere.

 

Wir jäten Unkraut, und Agnès zeigt mir, wie ich die überflüssigen Triebe der Kürbispflanzen abzwicke, sodass an jeder »Abzweigung« nur eine Blüte und ein Blatt wachsen. Ich bin ganz vertieft und in Gedanken anderswo, als ich Ninon und Agnès rufen höre: »Christjann, viens, vite …« Plötzlich sind die Wolken gar nicht mehr watteweiß, und der Himmel ist auch nicht mehr blau. Es ist grau, dunkel, die Wolken hängen tief, Wind kommt auf, und dann ist es ganz schnell da, das Gewitter, und wir rennen nach Hause. Das Gewitter ist heftig, es kracht und blitzt, unglaubliche Wassermassen stürzen vom Himmel, ein paar Minuten lang hagelt es auch, haselnussgroße Körner knallen auf das Blechdach, ein unglaublicher Lärm, das Licht flackert, und dann wird es plötzlich ganz dunkel, denn der Strom ist ausgefallen. Das ist hier bei jedem Gewitter so, erfahre ich. Beeindruckt ob dieser Gewalt trinke ich schweigend meinen Tee, und wir zählen die Sekunden zwischen Donner und Blitzen und kucken ehrfürchtig zu, wie die Blitze am helllichten Tag den schwarzen Himmel erleuchten.

Später sehe ich, was das Gewitter hinterlassen hat. Überall auf dem Hof steht das Wasser, Rinnsale, Bäche, Pfützen, weggeschwemmte Steine, der Weg am Hang ist eine einzige schlammige Rutschbahn, alles ist matschig und braun, und die nasse Erde quietscht und quatscht und bleibt satt und schwer an meinen Schuhen hängen, während ich zurück zu meinem Dachkämmerchen stapfe.

 

In den Garten gehen wir heute nicht mehr, aber es wird schon wieder Essen zubereitet. Dass man ganz selbstverständlich zweimal am Tag kocht, ist mir fremd, und dass man zweimal am Tag so viel essen kann, auch. Es gibt Melone und Salat und eine Art Fischsuppe mit Crevetten und Muscheln und dazu Brot, Käse und Wein, schon wieder für mehr als zehn Personen, denn auch wenn Fleur und Camille mit ihren kleinen Familien abends bei sich essen, heute Abend kommen noch ein paar Freunde von Paul und Agnès. Und der Nachbar, der heute Nachmittag vorbeikam, um ein Glas zu trinken, und vom Gewitter überrascht wurde, bleibt natürlich auch zum Essen. Aber vorher gibt es noch den Apéro. »Was willst du trinken, Christjann?« Keine Ahnung, ich bin überfordert von der Auswahl an Flaschen und schon hat Agnès riesige Platten mit Häppchen auf den Tisch gestellt. Und Oliven und Schinkenscheiben. Also Christjann, Whisky? Pastis? Rosé? Die Männer trinken alle Pastis, also probiere ich das. Es hat mir in Deutschland nie geschmeckt, wenn irgendwer eine Flasche Ricard oder 51 aus einem Frankreichurlaub mitbrachte und ganz schick und ganz frankophil in Originalgläsern servierte, aber jetzt bin ich ja hier, im Süden Frankreichs, im Midi, und ich erwarte ein erhellendes Geschmackserlebnis. Aber nein, ich finde das gelblich-milchige Anisgebräu auch hier nicht lecker, aber es ist gar nicht schlimm, denn ich lerne, dass Pastis eher ein Männergetränk ist. Frauen trinken eisgekühlten Rosé oder süßen Orangenwein oder Martini oder manchmal auch einen Weißwein. Aber irgendetwas wird auf jeden Fall genippt, während man schwarze Oliven oder kleine Häppchen mit Oliven- oder Sardellenpaste knabbert: Tapenade und Anchoiade. Der Apéro ist also weniger ein Aperitif als vielmehr eine Art ungezwungenes Essen vor dem Essen, und eigentlich bin ich schon jetzt satt.

Und alle reden. Vor allem über das Wetter: Junge, war das ein Gewitter heute Mittag. Auf der Straße zum Dorf ist ein Stück Hang weggebrochen und auf die Straße gerutscht, man kann kaum vorbeifahren und muss den Straßendienst anrufen. Und irgendwo hat der Blitz eingeschlagen. Und dann erzählt jemand die Geschichte von dem Unwetter vor zwei Jahren, wo der Blitz eine Kuh erschlagen hat. Und vor fünf Jahren, wo es tagelang regnete, sodass das ganze Flusstal einer reißenden dunkelgrauen Schlammlawine glich und alles mit sich riss, unter anderem eine Brücke weiter unten im Tal.

Das Wetter bleibt beherrschendes Thema heute Abend, wir haben schon den Wetterdienst auf zwei verschiedenen Fernsehkanälen gekuckt, fehlt noch der Regionalsender, aber klar ist schon, dass für die nächsten Tage hier weitere Gewitter angesagt sind. Ich versuche dem Gespräch zu folgen, ganz Frankreich leidet unter Trockenheit, es gibt Bauern, die mit Waffengewalt gezwungen werden, die Bewässerung ihrer Felder einzustellen, und hier zerstören Hagel und sintflutartige Wassermassen die Ernte. Ich höre das alles, und doch bleibt es für mich weit weg, denn es ist schon wieder hell und freundlich, und es ist immerhin so warm, dass wir auf der Veranda essen können. Bei einbrechender Dunkelheit sind wir plötzlich von Myriaden von Nachtfaltern umschwärmt, die wie...

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