Reise von Shanghai auf dem Yangtsekiang ins Innere Chinas
Die ab jetzt geschilderte Reise von Shanghai auf dem Yangtsekiang ins Innere Chinas wird auch im Band 78 dieser maritimen gelben Buchreihe von Oberzahlmeister Otto Schulze beschrieben.
Hier eine Leseprobe:
Shanghai, den 9. Mai 1907
Wie Du siehst, haben wir unsre Reise angetreten und zwar am Dienstag den 7. Mai abends 11 Uhr. Heute Morgen kamen wir hier an. Die Fahrt verlief leidlich; etwas bewegte See, die unser Boot oft in heftige Bewegungen versetzte, riss mich häufig zu der bekannten Erkenntnis aller Seefahrer hin, dass nur die Dummen zur See fahren, die Dümmsten auf Torpedobooten. Na, daran ist nun nichts mehr zu ändern. Es ist aber merkwürdig, dass ich bei allen meinen Fahrten mit „S.90“ noch nie gutes Wetter hatte. Wie reizend ist eine Seereise bei Sonnenschein und spiegelglatter See! Und wie wenig beneidenswert eine andere! Gott sei Dank verlief diese Fahrt ohne Zwischenfall. Heute am Himmelfahrtstage und folgende Tage bis zum 15. Mai haben wir hier Ruhe, dann setzen wir unsre Reise den Yangtse-Fluss hinauf weiter fort. Über den Verlauf werde ich Dich in Abständen unterrichten, um eines bitte ich aber schon jetzt, Herzelchen, beunruhige Dich nicht, wenn während meiner jetzigen Reise meine Briefe vielleicht nicht planmäßig eintreffen; denn die Postverbindung aus dem Innern kenne ich nicht so genau, dass ich Dir schon jetzt gewisse Daten angeben könnte...
Wir liegen hier mitten auf dem breiten Woosung-Fluss, einen Nebenfluss des Yangtse, vor der Stadt Shanghai, neben uns liegt ein englisches Kanonenboot, ferner ein österreichischer Kreuzer, ein russischer, zwei amerikanische, ein japanischer Kreuzer, wir Deutschen sind mit vier Schiffen vertreten. Dazwischen große Handelsdampfer, die teils Frachten, teils Passagiere aus aller Herren Länder herbringen und wegholen, an den Ufern das Fauchen von Fabriken, Werften pp., kurzum ein Verkehr, ein Leben und Treiben, wie man eben nur in dem internationalen Shanghai findet. Ein ewiges Kommen und Gehen von den größten Seedampfern macht das Leben auf dem sehr breiten Fluss abwechselungsreich. Am 15. Mai fahren wir in Begleitung des „FÜRST BISMARCK“, der den neuen Admiral an Bord hat, den Yangtsefluss hinauf, vorbei an Chinkiang, Kiukiang bis Nanking, der alten Kaiserstadt Chinas.
Hier steigt der Admiral auf S. M. S. „TIGER“ und fährt mit uns zusammen nach Hankau. In Hankau befindet sich eine große deutsche Kolonie. Von Hankau fährt der Admiral noch zwei Tage den Fluss weiter hinauf bis Itschang und den berühmten Stromschnellen. Er wohnt während der Zeit bei uns, und isst selbstverständlich auch mit uns zusammen. Die Reise wird jedenfalls ausnehmend schön werden; denn landschaftlich steht der Yangtse mit seinen Flussufern an erster Stelle. Die meisten Scherereien habe ich natürlich, da ich zufällig Messevorstand bin und die ganze Verpflegung zu regeln habe. Der Admiral kommt zu uns an Bord, weil der Fluss oben flacher wird und nur noch Fahrzeuge mit geringerem Tiefgang passieren können. Die gesamte Strecke, die wir ins Innere Chinas auf dem Fluss zurücklegen, beträgt rund 2.300 km. Dann gehen wir dieselbe Strecke zurück und sind am 6. Juni wieder in Tsingtau.
S.M.S Kanonenboot „TIGER“
Es ist hier schon sehr heiß und wird es oben noch viel mehr sein. Anzug Tropenzeug, die Mannschaft trägt große Strohhüte. Aber die Hitze bekommt mir gut, ich bin gänzlich braun gebrannt, wie ein Indianer. Du solltest mich jetzt nur sehen: kurz geschorenes Haar, Rothaut – brrr würdest Du wohl sagen. Aber lass nur, Schatzelchen, die Hauptsache ist, dass ich mich dabei wohl fühle. Nachts muss ich nächstens unter meinem Moskitonetz schlafen, da es Moskitos auf dem Yangtse im Sommer zu Milliarden gibt, die mich dann wohl kaum schlafen ließen. Kennst Du diese hässlichen Insekten?
…Trotz herrlichsten Sonnenscheins haben wir heute recht stürmisches Wetter, das manche üblen Folgen schon heute mit sich brachte. Ein französisches Kriegsschiff lief heute Vormittag hier ein, und überrannte eine chinesische Dschunke (das ist ein großes Segelboot), welche dem Kriegsschiff entgegengetrieben wurde. Es war kein Ausweichen möglich, die Dschunke wurde mitten durchgeschnitten und ging mit Mann und Maus dicht bei uns unter. Rettungsversuche konnten nicht gemacht werden. Etwa 15 Chinesen ertranken. Das fällt nun gar nicht weiter auf; denn die Chinesen unter sich retten sich nicht, sondern einer lässt den andern ertrinken, ohne ihm Hilfe zu bringen. Es geht gegen ihre religiöse Anschauung. Derartige Fälle kommen hier täglich vor, ohne dass derselben Erwähnung getan wird. Durch den heftigen Strom wurden die Ertrinkenden derartig schnell fortgetrieben, dass niemand retten kann.
Auch heute bleibe ich wieder an Bord, ohne dass ich große Lust verspürte, Shanghai anzusehen; denn Neues bietet es für mich nicht. Um Dir nun jegliche Unruhe zu ersparen, …will ich Dir gleich hier sagen, dass ich dem Ehepaar Basse keinen Besuch machen werde...
Soweit die Leseprobe aus Band 78.
S.M.S. „TIGER“ – Wusung Rhede 9.5.1907
Liebe Eltern!
Himmelfahrtstag auf Wusung, das bedeutet nach der Besichtigung größtmögliche Ruhe. Es ist ein wunderschöner Frühlingstag, eigentlich zum Spazierenlaufen gemacht, aber auch auf der Schanze ist (es) schön, ruhig und friedlich. Also ein kleiner Abstecher in die Heimat wird mir und vielleicht auch Euch Freude machen. Ich hatte ja lange den Wunsch, mal wieder in Gemütlichkeit mit Euch zu plaudern, aber Ihr wißt ja auch, daß ich die rechte Ruhe dazu bisher nicht wieder fand. Ich will nun ein wenig zurückgreifen, auf die Gefahr hin mich zu wiederholen.
Zunächst vielen Dank für Eure Briefe und Grüße von Ostern und vom 4.4. Ich war am 1. Osterfeiertag in der deutschen Kirche in Shanghai. Es ist jetzt ein Pastor Ruhmer (Ruhmer kritisierte den im Vergleich zur Missionsschule in Schanghai hohen finanziellen Aufwand für die deutsche Missionsschule in Tsingtau) da, aus Thüringen glaube ich. Görgs (Hermann Görg (1868-1937) hatte WFs Schwester Anna geheiratet; sie lebten in Laubach.) kennen ja wohl eine Familie dieses Namens; ich habe den Pastor selber noch nicht kennen gelernt.
Auch von allen anderen Seiten bin ich stets häufig mit Nachrichten versehen worden, fühle mich ganz auf dem Laufenden. U. A. schrieben mir auch Pfeiffers (Adolf Pfeiffer (1876-1961) hatte von 1897-98 die Ausbildung gemeinsam mit WF durchlaufen und war mit ihm befreundet. Von 1914-17 war er Chef der türkischen Torpedobootsflottille. 1928 wurde er als char. Vizeadmiral verabschiedet. Nach dem 2. Weltkrieg hielt er als Crew-Sprecher die Verbindung mit den Überlebenden und Hinterbliebenen des Offizierjahrgangs, auch zu Ottilie Franck. Die Trauerrede zu seinem Begräbnis ist erhalten.) eine Karte, sehr nett, aber auch immer noch sehr traurig. Mein früherer Kommandant (Korvettenkapitän Hans v. Abeken war 1905–1906 Kommandant des „TIGER“) schickte mir in diesen Tagen das Volksliederbuch des Kaisers (Volksliederbuch für Männerchor – Herausgegeben auf Veranlassung Sr. Mj. d. deutschen Kaisers Wilhelm II, Leipzig 1906) für die Mannschaft; es erfreut doch, wenn man sich nicht ganz vergessen weiß.
Vorgestern war die Besichtigung nicht glänzend, aber doch ganz leidlich gut verlaufen. Mir persönlich liegt wenig an einem besonderen Lob, aber für die Leute hätte ich mich über eine wohlwollendere Besichtigung und über ein größeres Lob gefreut; sie haben sich doch alle viel Mühe gegeben, und ich glaube wirklich, daß das Schiff augenblicklich gut instand ist.
Ich glaube aber auch, daß man von vornherein dem Artillerieoffizier, den der Geschwaderchef (Chef des deutschen Ostasiengeschwaders von 1905-1907 war Konteradmiral Alfred Breusing) vom vorigen Jahr her schon nicht leiden mochte, etwas am Zeuge flicken wollte; daher wohl die ganze Sache. Nun, das hilft mal nichts, wollen mal sehen, ob man dem neuen Chef (Neuer Geschwaderchef wurde Konteradmiral Carl v. Coerper (1854-1942), er bekleidete diese Stellung v. 13.5.1907–17.5.1909. Zuvor war er erfolgreicher Marineattaché in London gewesen.) es besser machen kann. Wir sollen den alten Montag nach Shanghai hinauf bringen und dann gleich mit dem neuen nach Nanking und Hankau hinauf.
So ist unser Verteilungsplan: Mai Tschili Golf, Juni Yangtse wieder umgestoßen. Wir sollen uns Mai – Juli auf dem Yangtse aufhalten, erhalten hier auf Weisung auch unsere Ablösung, und sollen dann August – September in den Süden. Das wird eine feine heiße Zeit, wenn nicht der Plan noch einige Male geändert wird. Ich freue mich aber, endlich auch den Yangtse kennen zu lernen, nachdem wir ein Jahr lang von ihm fern gehalten sind. Tsingtau werden wir auf diese Weise für ein ganzes Jahr nicht sehen; erst im Winter werden wir wieder dort zur Reparaturzeit liegen.
Ja, man denkt schon wieder daran, so schnell läuft hier das Stundenglas! Heute bin ich gerade 1 Jahr von Hause fort, morgen vor einem Jahr dampfte die „BORUSSIA“ aus der Heimat los. Wenn ich dran denke, der arme Vater stand hinten, und ich konnte mich in all dem Trubel garnicht um ihn kümmern. Sollte ich in Hamburg wieder ankommen – übers Jahr – so geht’s hoffentlich besser! Ich glaube allerdings, da in diesem Jahr die „BORUSSIA“ wieder herauskommt, daß das nächste Mal ein Bremer Dampfer kommen wird und wir in Bremerhaven landen. Na, inzwischen werde ich noch allerhand zu sehen und zu hören bekommen, das wird das neue Jahr ebenso schnell vorbei jagen und hoffentlich bei einer netten Messezusammensetzung noch angenehmer machen.
Übrigens ist das letzte halbe Jahr bezüglich des...