Erster Teil
BRUTAL gescheitert!
Mein Name ist Felix Maria Arnet und ich bin brutal gescheitert. Ich habe mein Scheitern sogar ins Bild gebannt. So habe ich zum Beispiel den Auszug aus unserem Büroloft fotografiert. Von oben, vom Penthouse auf dem Dach (siehe Seite 17).
Ich habe mich fotografiert, mit wirrem Haar, im Bademantel, während meiner depressiven Phase im Sommer nach der Insolvenz. Dieses Bild ziert die Rückseite des Buchumschlags. Ich habe auch den Blick aus der Herrentoilette des Commerzbank-Towers festgehalten, als ich dort meine Coaching-Dienstleistung vorgestellt habe, im feinen Zwirn, wie es sich auf der Teppichetage gehört, aber meinen alten BMW hatte ich statt in der Tiefgarage in einer Nebenstraße geparkt, damit ihn keiner sieht (siehe Seite 57 im zweiten Kapitel).
Ich habe relativ früh angefangen, meine Geschichte niederzuschreiben, zunächst für mich, eine Mischung aus Tagebuch, Selbstgespräch, Fundstücken und bloßen Gedankenfetzen. Aber irgendwann war der Gedanke an eine Veröffentlichung da, wenigstens als Kolumne. Ich bin mutig aus dem Schatten getreten und habe angefangen, öffentlich über mein Scheitern zu sprechen. Zunächst war das meist vor kleinem Publikum und pro bono. Von anderen Vortragsrednern und Agenturen wurde ich damals belächelt. »Wer will denn das schon hören?«, hieß es – und hinter vorgehaltener Hand noch Schlimmeres. Aber ich blieb am Ball. Gegen alle Wahrscheinlichkeit und Regeln der Branche erkämpfte ich mir meinen Platz in der Szene. Und mehr noch: In der Speaker-Gemeinde gilt mein Auftritt als ausgesprochen hochwertig und vor allem extrem authentisch. Wer die Größe dazu hat, zollt mir Respekt für meinen Mut und mein Durchhaltevermögen.
Wenn ich heute mit Kollegen aus der Speaker-Community zusammen bin, kommt oft die Frage: »Wann hat es sich denn nun mal ausgescheitert? Du bist doch jetzt so erfolgreich, wäre es nicht mal an der Zeit?« Nein. Solange Scheitern unser täglich Brot ist, wird es ein Thema sein, das die Leute hören wollen. Bei dem sie aufhorchen und bei dem sie sich öffnen.
Der Beweis? Wenn ich in eine Runde mir unbekannter Menschen komme und man stellt sich vor, kommen die üblichen Posen: wer man ist, wo man arbeitet, wen man kennt, was man hat usw. Wenn ich dann an der Reihe bin, sage ich mein Sprüchlein auf, mein »Pass-Wort«, wie ich es nenne: »Mein Name ist Felix Maria Arnet und ich bin brutal gescheitert.« Nicht nur habe ich dann die ungeteilte Aufmerksamkeit, Ohr und Herz meiner Gesprächspartner. Mehr noch: Es werden ungemein interessante Gespräche. Denn plötzlich erzählt jeder seine Geschichte, die wahre.
Meine geht so: »Sie sind gescheitert, Herr Arnet. Sie sind mit Ihren Ideen bei unserem Vorstand gescheitert.« Der Anruf des Kommunikationschefs der Lotteriegesellschaft erreichte mich kurz vor Weihnachten. Ich erinnere mich noch genau, dass es schon dunkel wurde, als die lang überfällige Nachricht endlich kam, aber so ganz anders war, als erwartet. Wir waren bis zuletzt gut dabei gewesen und hatten entsprechend große Hoffnung, diesen dringend notwendigen Auftrag, diesen Megafang, einholen zu können – mit einem Etat von 1,3 Millionen Euro! Ich erinnere mich auch, dass ich nach dieser Nachricht noch lange im Dunkeln gesessen habe, den Blick aus dem Fenster, ohne etwas zu sehen.
Auszug aus dem Büroloft.
Wochenlang hatten wir geschuftet. Von der zu Hochzeiten 40 Köpfe zählenden Mannschaft war noch ein tapferes Dutzend geblieben. Diese glorreichen Zwölf hatten sich für die Ausschreibung der Lottogesellschaft buchstäblich wundgearbeitet. Dieser »Pitch«, wie man in der Werberwelt sagt, sollte uns wieder auf Kurs bringen. Und wir wussten, dass er es konnte. Ich hatte einige Top-Kreative eingekauft, für sie nochmals ordentlich Geld in die Hand genommen. Unser Kampagnenentwurf war innovativ und ideal durchdekliniert, sogar bis in den Social-Media-Bereich, was damals noch relativ neu war. Ich hatte zudem eine populäre Moderatorin als »Testimonial« gewinnen können, also als Markenbotschafterin für den Kunden in spe. Damit die Agentur wieder Wasser unter den Kiel bekam, war ich an meine Anfänge als Werber zurückgekehrt. Hatte meine Finger in allem, von Konzept über Kreation, Text, Grafik und Foto bis zu Produktion. Es fühlte sich wirklich an wie vor 20 Jahren, Déjà-vu. Aber gut, so gut!
Den Zuschlag bekam dann eine uninspirierte, eindimensionale 08/15-Kampagne eines unserer Mitbewerber. Mit der Begründung des Lotterie-Vorstandes, man wolle erst mal ganz »simpel und basic« anfangen. Ganz simpel und basic hieß das für mich: Die Agentur war in den Sand gesetzt.
Aber nun mal von Anfang an: Meine Werbeagentur war 1993 vom Stapel gelaufen, als klassische Kreativschmiede. Ganz gegen alle Klischees von der wilden Werberwelt verstanden wir uns aber hanseatisch solide und arbeiteten konzeptionell und strategisch. Bei einem ausgebildeten Fotografen, bildenden Künstler und Designer wie mir, der bereits allerhand Erfahrung mit den gerade aufkommenden digitalen Medien gesammelt hatte, waren ästhetische Optik und sinnliche Haptik, der ganze schöne Schein, das Kerngeschäft der jungen GmbH. Wir betreuten die Geschäftsberichte und Umwelt-Audit-Dokumentationen von Unternehmen wie Eckes und Motorola. Darüber hinaus wurden wir durch einen eher zufälligen Umstand – ein großes Agrochemieunternehmen fragte bei uns an – zu dem Spezialisten für alles rund um die Kommunikation über Herbizide, Fungizide und Co. in Deutschland. Das war nicht wenig, denn Deutschland ist ein großer Markt für Agrarchemie. Da unsere Kampagnen sehr kreativ und innovativ waren und wir in Sachen Design und Konzept einfach einzigartig ablieferten, öffneten sich uns nach und nach auch die Türen bei anderen Unternehmen der Branche, etwa bei BASF. Wir, das waren übrigens mein Freund Bernd und meine damalige Lebensgefährtin und spätere Mutter meines Sohnes, Michaela, daneben noch ein weiterer Gesellschafter, Jörn, der auch mein Steuerberater war.
Wenn wir pitchten, gewannen wir üblicherweise und brauchten uns vor Branchengrößen wie Kirchhoff, Peter Schmidt Group und Co. nicht zu verstecken. Einen Pitch allerdings gewannen wir nicht. Schuld daran war meine Leidenschaft für Automobile. Schon seit meiner Kindheit bestand diese Faszination, nun konnte ich sie so richtig ausleben. Kurz nach meinem 30. Geburtstag hatte ich mir meinen neuen Sportwagen gegönnt, einen Porsche 911 964 RS. Wer weiß, wovon ich rede, kann den nächsten Satz überlesen. Das Ding ist sportlich hart und höllisch laut. Als Familienkutsche völlig ungeeignet (inzwischen war auch mein Sohn Calvin auf der Welt), nutzte ich ihn gern und oft für geschäftliche Fahrten. So auch zum Gespräch bei Nestlé, die den Etat für ein Convenience-Produkt für die Gastronomie zu vergeben hatten, also Tütensuppen für Profiköche. Möglicherweise war den Herrschaften der Auftritt im roten, röhrenden Porsche etwas zu auffällig für ein solches Produkt. Den Zuschlag bekamen wir nicht, aber aus der kleinen Auto-Fachsimpelei mit dem Nestlé-Werbeleiter auf sein »Waren das eben Sie mit dem Porsche?« hin wurde ein sehr guter Kontakt.
Für die Agentur stand nun ein Ortswechsel an. Inzwischen waren wir dank unserer wachsenden Expertise im Agrarchemiebereich 20 Leute, weitere Einstellungen standen bevor und wir platzten aus allen Nähten im Loft über einer ehemaligen Waschanlage. Als mir geradezu feudale Räumlichkeiten in einem schicken neuen Industriekomplex angeboten wurden, konnte ich nicht ablehnen, trotz des stolzen Preises: 6000 Euro Miete waren fällig für die symmetrisch um einen gläsernen Besprechungsraum angelegte Etage, große Küche als Rekreationsbereich für die Mitarbeiter inklusive. Ein krasses Gegenstück zu unserer Self-made-Bude. Ich sagte zu. Das lag sicherlich auch daran, dass im Untergeschoss der vorherigen Räumlichkeiten inzwischen mein zweites Unternehmen wohnte – etwas ganz anderes als die Werbeagentur. Gemeinsam mit meinem Bruder hatte ich den ersten Internetshop für Lotus-Sportwagen und -Tuning online geschickt. Mit über 400 Artikeln, die wir zum Teil selbst entwickelt hatten, waren wir weltweit führend. Bald verkauften wir nicht nur Teile und Zubehör, sondern auch die Fahrzeuge selbst.
Bei meinen Kollegen in der Werbeagentur war meine Nebentätigkeit allerdings nicht gerade gern gesehen. Ich hatte meine Arbeitszeit in der Agentur reduziert, verdiente natürlich auch weniger, aber vor allem störte wohl, dass ich, statt den seriösen Geschäftsführer zu geben, lieber ölverschmiert unterm Auto lag. Inzwischen hatte ich auch selbst einen Lotus erworben, um damit Rennen zu fahren. Mein Lotus Elise 1 trug mich zu ersten großen Erfolgen, aber auch in einen schweren Unfall. Natürlich brachte das Unruhe in die Geschäftsführung, zu der auch meine Lebensgefährtin gehörte. Der Ortswechsel schien mir daher probates Mittel, um die Dinge etwas zu...