2. Praxis
2.1 Mündliche Äußerungen
2.1.1 Reden im Parlament
In Parlamenten hierzulande geht es normalerweise nicht so beschwingt zu wie in ostasiatischen Staaten, wo im Plenum manchmal die Fäuste fliegen.36 In unseren Breiten muss ein Redner sein Publikum schon auf andere Weise aufrütteln als mit Backpfeifen.
2.1.2 Reden und Grußworte außerhalb des Parlaments
Jede Rede ist anders, vieles lässt sich schwer verallgemeinern. Wir greifen ein paar typische Redeanlässe heraus und versuchen, diese zu systematisieren. Vorlagen für alle erdenklichen Veranstaltungen zu liefern, würde den Rahmen dieses Buches sprengen, zumal vorgestanzte Formeln und Musterreden auch nur begrenzt weiterhelfen, wenn der Bürgermeister vor einem Verein mit ganz speziellen Problemen, vor einer Person mit einem ganz bestimmten Lebenslauf oder vor Experten zu einem ganz bestimmten Fachthema sprechen soll. Allerdings können Musterreden, wenn sie originell gemacht sind, zumindest gedankliche Anregungen bringen.38
Findet ein Fest statt, spult er nicht in einem Blitzstreifzug dessen Geschichte ab, sondern er sagt, was das Fest für die Stadt bedeutet. Oder er verliert ein paar Worte darüber, wie wichtig Feste generell sind.
Beim Fest einer Kirchengemeinde erläutert er, wie die Stadt mit der Gemeinde zusammenarbeitet oder inwiefern die Kirche beispielsweise in sozialen Diensten Gutes bewirkt.
Beim Jubiläum eines Chores spricht der Bürgermeister über die Rolle von Musik und unterstreicht, wie wichtig musikalische Angebote bereits in frühen Kinderjahren sind.
Beim Fest eines Ausländervereins erläutert er, wie viele Menschen aus diesem Land in der Stadt wohnen und was sie zum Stadtleben beitragen.
Bei der Freigabe einer Straße beschreibt er konkret, was sie den Bürgern bringt.
2.1.2.1 Als Gast bei Vereinen, Firmen, Institutionen
Ein Bürgermeister wird immer wieder als Gast- oder Grußwortredner zu Vereinen, Firmen oder anderen Institutionen eingeladen. Am einen Tag flattert eine Einladung zum Festkommers eines 100-jährigen Vereins ins Haus, am anderen feiert der älteste Arbeitgeber der Stadt sein Firmenjubiläum, und anschließend ist ein neuer Kindergarten in Betrieb zu nehmen, bevor der Bürgermeister in die Stadthalle eilt, wo er eine Vollversammlung der IHK eröffnen muss.
Bemerkungen zur Institution: Der Bürgermeister lässt kurz Teile der Vereins- oder Firmengeschichte Revue passieren, würdigt das Engagement der Akteure. Die Gründerväter des Geschichtsvereins zum Beispiel haben bereits in der Bismarckzeit detailliert zur Stadthistorie geforscht. Oder mit dem Engagement des bekannten Schauspielers X hat die Theatergesellschaft Y den Höhepunkt in ihrem Jubiläumsprogramm gesetzt. Die Produkte der Firma Z sind mittlerweile nicht nur in Deutschland in ihrer Sparte Marktführer, sondern setzen ihre Produkte auch in Südostasien und in Nordamerika erfolgreich ab. Der Bezirksvorsitzende der IHK wurde kürzlich zum Deutschlandsprecher eines Berufsverbandes gewählt und reist demnächst als Experte seiner Branche zu einer internationalen Fachtagung nach Toronto, Kanada.
Bemerkungen zur Stadt: Der Bürgermeister erläutert, was die Institution für die Stadt bedeutet. Dem Geschichtsverein zum Beispiel ist es zu verdanken, dass im ältesten Haus der Stadt ein Museum eingerichtet werden konnte. Die Theatergesellschaft Y hilft bei einer Theater-AG des Gymnasiums mit und fördert damit Talente von Jugendlichen am Ort. Umgekehrt unterstützt die Stadt den Verein und zahlt im laufenden Jahr einen Zuschuss von 10 000 Euro für Requisiten. Die Firma Z ist mit 500 Beschäftigten der größte Arbeitgeber und macht sich als Sponsor des jährlichen Stadtlaufs um den Breitensport verdient. Gemeinsam mit der IHK hat die Stadt ein Programm ins Leben gerufen, bei dem Hauptschüler auf dem Weg zu einem Ausbildungsplatz begleitet werden.
Bemerkungen zu Politik und Gesellschaft: Der Bürgermeister beleuchtet das Betätigungsfeld der Institution aus politischer Sicht, weist auf gesellschaftliche Tendenzen hin oder entwirft Zukunftsvisionen für die Branche. Den Auftritt beim Geschichtsverein nutzt er, um über die Bedeutung von „Heimat“ angesichts der Globalisierung nachzudenken. Bei der Theatergesellschaft regt er an, neben neuen Theaterstücken auch die Werke der alten Meister nicht zu vergessen, die unsere Bühnentradition mit geprägt haben. Beim Besuch des Unternehmens verteidigt er einheimische Wertarbeit gegen chinesische Billigprodukte und Imitate. Vor der IHK fragt er, was getan werden muss, um die Kenntnisse der Schulabgänger zu verbessern. Mit derartigen Bemerkungen verbindet der Bürgermeister eine politische Botschaft: Beispielsweise kündigt er an, gezielt bestimmte Institutionen unterstützen zu wollen, ruft zu Joint Ventures zwischen öffentlicher Verwaltung und privaten Initiativen auf oder erklärt, auf welchem Feld in der Stadt in den kommenden Jahren dringend etwas geschehen muss.
Bemerkungen zum persönlichen Verhältnis: Der Bürgermeister erinnert an persönliche Begegnungen mit Vertretern der Institution oder erläutert, wie er als Person zur Sache eingestellt ist. Beim Geschichtsverein erinnert er sich, wie er als Kind mit Spielkameraden auf dem Acker Fundstücke aus dem vergangenen Jahrhundert entdeckt hat. Bei der Theatergesellschaft erzählt er, wie er einmal selbst die Schauspielschule besuchen wollte, aber nicht aufgenommen wurde – jetzt sei er Politiker, und das sei gewissermaßen ein verwandtes Fach. Beim Firmenjubiläum gibt er eine Anekdote von einem Urlaub auf den Malediven zum Besten, als er in einem Dorf am Strand plötzlich auf ein Produkt der heimischen Firma stieß. Bei der IHK berichtet er, wie er kürzlich bei einem Empfang in der Landeshaupthauptstadt mit dem Präsidenten des IHK-Bezirks beieinander stand, als ein Redner am Mikrophon das „Ende des Mittelstands“ prophezeite.
Internet (beispielsweise die Homepage der Institution)
Veröffentlichungen der Institution (Zeitschriften, Jahrbücher, Broschüren)
Medienberichte (Artikel über frühere Jubiläen, Berichte zur aktuellen Lage der Institution)
Eigene Unterlagen (Akten im Haus, frühere Grußworte, Unterlagen zu Veranstaltungen)
Nachfragen bei der Institution selbst. Der Bürgermeister oder jemand, der von ihm beauftragt wurde, sollte dabei erfragen: Welche Themen bewegen Sie aktuell? Welche Themen decken die anderen Redner ab? Auf welche Weise können wir als Stadt Ihnen helfen?
2.1.2.2 Persönliche Ehrung
Neben Besuchen bei Vereinen und Firmen gibt es im Standardprogramm der Bürgermeisterkalender auch viele persönliche Ehrungen: Bundesverdienstkreuze, Landesehrenbriefe, Dienstjubiläen, Pensionierungen, Preisverleihungen, 100. Geburtstage … Die Reden oder kurzen Ansprachen, die der Bürgermeister dort hält, dienen drei Zielen. Zunächst werden die Geehrten gewürdigt und als Vorbild für andere präsentiert. Dann schmückt sich die Stadt oder Gemeinde selbst mit den Geehrten – entweder weil diese Personen zeigen, welch bedeutenden Personen hier leben, oder wie sich die hiesige Bürgergesellschaft engagiert. Und schließlich beleuchtet der Bürgermeister anhand des Geehrten historische, politische, gesellschaftliche oder sonstige allgemeine Tendenzen.
Bemerkungen zur Leistung: Die Rede erklärt, warum jemand ausgezeichnet wird. Der Bürgermeister sollte dabei möglichst konkret und anschaulich sprechen. Jemand wird nicht generell „für Verdienste um die Stadt“ geehrt, sondern die Rede berichtet, wie viele Jugendgruppen der Geehrte gegründet hat, welche Stiftung er ins Leben rief, welche Skulptur er für die Stadt geschaffen hat. Dabei weist der Rathauschef auch auf andere Auszeichnungen hin, die der Geehrte bereits erhielt.
Bemerkungen zum Werdegang: Der Bürgermeister geht auf einige persönliche Daten und Stationen ein – vornehmlich auf solche, die möglichst direkt mit der Stadt zu tun haben. Ein Bundesminister, der vor 30 Jahren als Sachbearbeiter im städtischen Sozialamt anfing, ist wegen dieser Zeit von höherem Interesse als für seine aktuellen bundespolitischen Umtriebe. Wenn ein bedeutender Unternehmer mit einem Familienbetrieb in der Stadt angefangen hat, dann sollte der Bürgermeister auf diese Wurzeln eingehen. Eine in der Stadt wohnende Schauspielerin, die mittlerweile auf den Bühnen von Hamburg bis Wien Furore macht, erinnert er vielleicht an ihre erste Rolle als Irrenärztin Mathilde von Zahnd in Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ in der Theater-AG des heimischen Gymnasiums.
Bemerkungen zum persönlichen...