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Christine Lieberknecht

Von der Mitläuferin zur Ministerpräsidentin. Eine politische Biografie

AutorMartin Debes
VerlagKlartext Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl262 Seiten
ISBN9783837513370
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Etwa ein Vierteljahrhundert ist es her, dass die Dorfpastorin Christine Lieberknecht mit den Umwälzungen in der DDR in die Politik geriet. Aus der früheren FDJ-Sekretärin und dem Mitglied der Blockpartei CDU wurde binnen weniger Wochen eine Vorzeigereformerin und Landesministerin. Machte und stürzte sie am Anfang ihrer Karriere Ministerpräsidenten, diente sie später lange Jahre im Kabinett oder als Parlaments- und Fraktionschefin mehreren Regierungschefs, um es schließlich selbst an die Spitze zu schaffen. Somit ist die Geschichte Christine Lieberknechts in ihrer einmaligen Kontinuität auch die politische Geschichte Thüringens seit der Wende.

Martin Debes, Jahrgang 1971, studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie in Jena und den USA und absolvierte seinen Redakteursabschluss bei der Deutschen Journalistenschule München. Seit 2000 arbeitet er als politischer Redakteur und Ressortleiter bei der Thüringer Allgemeinen.

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Leseprobe

»Die Macht ist kein Schoßhund. Du musst sie dir greifen und festhalten, sonst ist sie weg, ehe du dich versiehst.«

(Bent Sejrø in der dänischen Fernsehserie »Borgen« zu der künftigen Premierministerin Birgitte Nyborg)

Prolog


Unter Pfarrerstöchtern


Am Ende des Jahres 1991 befindet sich Helmut Kohl auf dem Gipfel seiner Macht. Er ist unumstritten, unanfechtbar, der Kanzler der Einheit. Seine Ära, schreibt die »Zeit«, habe hier, in der Stadt Dresden, endgültig zu ihrer Gestalt gefunden, einem »Absolutismus mit demokratischem Gesicht«1. Die CDU hält zum ersten Mal einen Bundesparteitag im östlichen Deutschland ab. Tausende Parteimitglieder, Gäste und Journalisten pferchen sich in den DDR-Barock des Kulturpalastes. Tische für die Delegierten gibt es nicht, es fehlt schlicht der Platz.

Es ist nur noch eine gute Woche bis Weihnachten, das Adenauer-Haus hat alles auf Harmonie getrimmt. Das Motto des Parteitages lautet »Einheit leben«. Nur die merkwürdigen Vorgänge im nahen Thüringen generieren Missstimmung. Dort wird Ministerpräsident Josef Duchač gerade von seiner Vergangenheit als DDR-Funktionär eingeholt.

Kohl kann nicht egal sein, was in Thüringen geschieht. Die östlichen Landesverbände, die erst ein Jahr zuvor mit der Westpartei vereint wurden, drohen zu kollabieren. Im Sommer hatte mit Gerd Gies in Sachsen-Anhalt ein ostdeutscher CDU-Ministerpräsident zurücktreten müssen und war durch den Westimport Werner Münch ersetzt worden. In Sachsen wiederum trat der Landesvorsitzende Klaus Reichenbach ab, der schon in der DDR die Blockpartei im Bezirk Karl-Marx-Stadt angeführt hatte und in der letzten DDR-Regierung der faktische Stellvertreter von Ministerpräsident Lothar de Maizière war. In Mecklenburg-Vorpommern wackelt Regierungschef Alfred Gomolka.

Das Problem Duchač fehlt dem Bundeskanzler gerade noch, jetzt, da doch ganz andere, aktuellere Personalien pressieren. Durch Reichenbachs Rücktritt ist ein Platz im Präsidium der Bundespartei neu zu besetzen. Und der einzige stellvertretende Parteivorsitz ist vakant, seit Lothar de Maizière im September seine letzten politischen Posten abgegeben hat. Dem einstigen Regierungschef wird vorgeworfen, als Rechtsanwalt unter dem Decknamen »Czerni« für die Staatssicherheit gearbeitet zu haben. De Maizière dementiert, doch es nützt ihm ebenso wenig wie Duchač.

Was die CDU also benötigt, sind frische, ostdeutsche Gesichter. Deshalb holt Kohl in Dresden zwei junge Frauen zu sich. Sie sehen auf den ersten Blick wie Zwillingsschwestern aus, mit ihren kurzen Haaren, den weiten Röcken und den schlichten Blusen unter ihren Jacketts. Die eine, 1954 geboren, stammt aus einer Pfarrersfamilie, ist promovierte Physikerin, kam über den »Demokratischen Aufbruch« (DA) zur Funktion der stellvertretenden Regierungssprecherin unter de Maizière – und dann in die CDU. Seit einem Jahr sitzt sie im Bundestag, leitet zudem das eigens für sie geschaffene Bundesministerium für Frauen und Jugend.

Auch die andere, Jahrgang 1958, ist eine Pastorentochter, die Physik studieren wollte. Dann wurde sie doch lieber Pfarrerin, bis die Wende sie in die Politik spülte. Seit November 1990 ist sie Kultusministerin in Thüringen.

Kohl hat an diesem Dezembertag in Dresden den beiden Frauen nicht viel mitzuteilen. Angela Merkel weiß schon länger, dass sie de Maizière nachfolgen soll. Christine Lieberknecht wird einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. »Mädchen, macht den Mund auf«, sagt Kohl zu den beiden. Wenig später ist Merkel stellvertretende Parteivorsitzende und Lieberknecht Mitglied des Bundespräsidiums.

Die Quote – jung, weiblich, ostdeutsch – ist damit übererfüllt. Und es wird noch eine zusätzliche Botschaft transportiert. Man habe, sagt CDU-Generalsekretär Volker Rühe, mit der Wahl der zwei Frauen die »Erneuerung durchgesetzt«2. Lieberknecht teilt mit, dass sie »für Reformen innerhalb der CDU« stehe. Und: »Ich bin ermutigt, weil ich ja nicht allein stehe, sondern auch Angela Merkel an meiner Seite habe.«3

Die Parteispitze möchte es jedenfalls so sehen. Angela Merkel ist gerade 37 Jahre alt und kann dank ihrer kurzen DA-Vergangenheit als Bürgerrechtlerin vermarktet werden. Christine Lieberknecht, 33, war zwar Mitglied der DDR-Blockpartei. Aber sie gehörte zu jenen, die im Spätsommer 1989 vorsichtig aufbegehrten, als dies noch als gefährlich galt. Deshalb trägt auch sie das Etikett der »Reformerin«, das sich schön vom Stasi-Stigma abhebt.

Somit berühren sich in Dresden erstmals zwei politische Karrieren, die beide auf ihre Art einzigartig sind. Angela Merkel gelingen in der deutschen Geschichte mehrere Premieren: Sie wird erste Generalsekretärin, erste Bundesvorsitzende, erste Bundestagsfraktionschefin – und erste Bundeskanzlerin. Christine Lieberknecht wird nach einer langen, nie unterbrochenen Karriere als Ministerin, Parlamentspräsidentin und Landtagsfraktionschefin die erste Unions-Ministerpräsidentin eines deutschen Bundeslandes.

Bundeskanzler Helmut Kohl gratuliert seiner neu gewählten Stellvertreterin Angela Merkel während des Parteitags der CDU am 15. Dezember 1991 im Kulturpalast in Dresden. In der Mitte Christine Lieberknecht. Quelle: picture alliance/dpa

So verschieden die beiden Frauen sind und so unterschiedlich die Ebenen, auf denen ihre Karrieren stattfinden – die Frage, die sich stellt, ist dieselbe: Wie konnte das passieren? Die Parallelen sind unübersehbar. Das erste Leben der Angela M. ähnelt mit seiner evangelisch eingefärbten Mischung aus Anpassung und Distanz jenem der Christine L. Beide sind Töchter von Pastoren, die sich ganz bewusst für die DDR entschieden und das Prinzip der Kirche im Sozialismus lebten.

Horst Kasner siedelt nach der Geburt seiner Tochter Angela von Hamburg nach Brandenburg über, um dem Pfarrermangel in der DDR zu begegnen.4 Lukas Determann, der Vater Christine Lieberknechts, wird Pfarrer bei Weimar, um seinen Eltern nahe zu sein. Auch er sieht sich auf Mission in einem Staat, in dem Christen spätestens seit 1952 zu Klassenfeinden erklärt worden sind.

Ihre Kindheit beschreiben beide Frauen als glücklich, ja als geradezu paradiesisch. Beide sind sehr gut in der Schule, vor allem in den Naturwissenschaften, beide erhalten die Lessing-Medaille für hervorragende schulische und gesellschaftliche Leistungen, beide besuchen das Lager für Zivilverteidigung, beide treten der FDJ bei, werden in Schule oder Beruf FDJ-Sekretärin.

Und beide verbringen die letzten Jahre der DDR in einer Nische: Merkel in der Akademie der Wissenschaften, Lieberknecht in einer Pfarrei nahe Weimar. In den Westen dürfen beide ab 1987 reisen. Schließlich, 1989, zieht es sie gleichzeitig in die Politik.

Dass die eine Frau in der Bundesregierung aufsteigt, derweil die andere auf Landesebene bleibt, lässt sich nicht nur mit Umständen, Zufällen oder Lebensplänen begründen. Merkel ist souveräner, effizienter, abgebrühter als Lieberknecht. Dennoch verstehen beide ihr Geschäft ähnlich. Beide geben sich unaufgeregt, unideologisch und pragmatisch, moderieren lieber statt zu dirigieren und praktizieren die hohe Schule der Politikverwaltung. Und beide folgen einem ausgeprägten Machtinstinkt, jähe Wendungen inklusive. Die erste Ministerpräsidentin, die die Energiewende-Wende der Kanzlerin nachvollzog, ja gar noch zu übertrumpfen versuchte, hieß Christine Lieberknecht.

Dabei liegt weder Angela Merkel noch Christine Lieberknecht die öffentliche Ansprache. Es gibt von beiden Frauen nur wenige Reden, die sich im öffentlichen Bewusstsein verankert oder die einen Plenarsaal oder Parteitag mitgerissen hätten. Programmatisch drängen sie selten voran. Wenn es einmal passiert, wie bei Merkel auf dem Leipziger Reformparteitag oder bei Lieberknecht mit ihrer Agenda »Thüringen 2020«, bleibt es meist bei Ankündigungen.

Eine andere Parallele sind die Etiketten, die man beiden anheftet. Über Merkel wird im Bundestagswahlkampf 2013 behauptet, dass sie in der Spätphase der DDR eine Reformkommunistin war. Über Lieberknecht, die »rote Christine«, die nicht nur in der FDJ, sondern auch der Blockpartei war, hat man dies schon immer erzählt. Überhaupt, heißt es, trieben sie die Sozialdemokratisierung der CDU voran.

Die gängigste Einordnung aber hat mit den Männern zu tun, die sie hinter sich zurück ließen. Spätestens seit 1992, seit dem Sturz von Josef Duchač, verfolgt Lieberknecht das Stigma der Verräterin, das seit ihrer Emanzipation von Helmut Kohl genauso an Merkel haftet. Was später für die eine Wolfgang Schäuble oder Friedrich Merz waren, waren für die andere Dieter Althaus oder Mike...

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