Bei der Beschreibung des Feldes Community Interpreting und der Herausarbeitung seiner Eigenarten, wird nicht selten auf den direkten Vergleich mit dem Konferenzdolmetschen, der wohl bekanntesten Form des Dolmetschens, zurückgegriffen. Für das Konferenzdolmetschen wird ein gehobener Grad an Professionalisierung erwartet sowie eine hohe Honorierung geboten, während das Community Interpreting durch Laiendolmetscherinnen und kostenlose Dienste gekennzeichnet ist.[32] Es fällt auf, dass alle Definitionen, die den Begriff des CI umschreiben, sich auf den großen Machtunterschied zwischen den zwei Gesprächsparteien konzentrieren. So schreibt Pöllabauer über die zwei Gesprächsparteien, zwischen denen gedolmetscht wird, diese seien häufig „Personen, die am unteren Ende der institutionellen und sozialen Machtpyramide stehen“[33] und ein geringes Ansehen haben; die andere Gesprächspartei seien Vertreterinnen von Behörden, Institutionen, Einrichtungen des Gastlandes.[34] Hier scheint das Hauptcharakteristikum für das Community Interpreting zu liegen und es von anderen Formen des Dolmetschens zu unterscheiden.
Community Interpreter dolmetschen häufig Sprachen, die von Minderheiten gesprochen werden, sowie Sprachen, die weniger angesehen sind als die Weltsprachen, welche beim Konferenzdolmetschen dominieren. Regionale Dialekte und Umgangssprache kommen beim CI mehr zur Anwendung als beim Konferenzdolmetschen und auch mit wechselnden Stilebenen und Sprachregistern wird man beim CI häufiger konfrontiert. Der Dolmetschmodus ist dabei meistens konsekutiv und bilateral, das heißt, die Texte sind direkt aufeinander bezogen und werden gegenseitig voneinander beeinflusst. Demzufolge handelt es sich oft um spontane, meist kurze Redebeiträge, in denen auch elliptische und abgebrochene Sätze vorkommen, Gedanken können dabei neu formuliert, nachgetragen oder zur Absicherung wiederholt werden.[35] Auch stehen Dolmetscherinnen bei bilateralen, konsekutiven Gesprächen nicht so unter Zeitdruck wie es beim Simultandolmetschen der Fall ist. Sie müssen nicht unbedingt Notizen anfertigen, da Rückfragen möglich und die Beiträge rhetorisch wenig anspruchsvoll sind. Bei solchen Gesprächen spielen nonverbale Informationen hingegen eine große Rolle, da sich die Gesprächspartnerinnen und die Dolmetscherinnen im sogenannten face-to-face Modus direkt anschauen und viele Informationen nonverbal ausdrücken.[36]
Letztendlich unterscheidet sich das Arbeitsangebot von Community Interpretern ebenfalls von dem des Konferenzdolmetschens, denn es ist extrem abhängig von politischen Veränderungen im Land und auf der Welt und wurde seit jeher von Flüchtlingsbewegungen, Einwanderungswellen und politischen Entscheidungen geprägt.[37]
Deutschland, so Ashley Marc Slapp 2004, ist zu einem „Einwanderungsland wider Willen“[38] geworden. Durch Wanderbewegungen, Arbeitsmigration und Flucht sind in Europa im 20. Jahrhundert multiethnische und multikulturelle Gesellschaften entstanden.[39] Seit 1957 lässt die Bundesrepublik Deutschland die Zuwanderung von ausländischen Arbeitnehmerinnen zu, fördert sie sogar, und ist daher seit jener Zeit aus demographischen, ökonomischen und humanitären Gründen zu einem Einwanderungsland geworden. Doch wie der Begriff „Gastarbeiter“ schon andeutet, so Slapp, sollten jene angeworbenen Arbeitskräfte nur vorübergehend bleiben, und daher sah sich die Regierung auch nicht gezwungen, sprachlich auf die Einwanderinnen zuzugehen.[40] Als Migrantinnen innerhalb der Gesellschaft begannen, anderen Migrantinnen sprachlich zu helfen, entstand langsam das Community Interpreting. Es entwickelte sich die Möglichkeit, mit der Sprachmittlung Geld zu verdienen, und, trotz der geringen Summen, beklagte sich kaum jemand über den geringen Lohn aus Angst vor einem Jobverlust. Für die Tätigkeit gab es kein Training. Es existierten keine Standards, denen die Dolmetscherinnen folgen konnten und so mussten sie improvisieren, um für Probleme Lösungen zu finden.[41] Die Leistungen waren weder verlässlich noch besonders gut und so entstand das Bild eines Dolmetschermarktes, der nicht die gleiche Anerkennung erfuhr wie andere Dolmetscharten.[42] Schon in den 60er Jahren gab es darüber hinaus, so Bahadır, ein natürliches Misstrauen von Seiten der Behörden gegenüber diesen Sprachmittlerinnen. Diese schienen nämlich zum einen zu den Migrantinnen zu gehören und damit auf deren „Seite“ zu stehen, auf der anderen Seite war man jedoch auch stark abhängig von ihnen, da sie für die Kommunikation mit den ausländischen Bürgerinnen unverzichtbar waren.[43]
Da nicht nur in Deutschland Migration ein Hauptphänomen unserer Zeit ist, gibt es auch global einen steigenden Bedarf an Dolmetschleistungen für Menschen, die in einem Land mit fremder Sprache leben.[44] Dies haben seit den 1970er Jahren vor allem Länder erkannt, die sich selber auch als Einwanderungsländer betrachteten, wie etwa Kanada, Australien, die USA und Schweden. In diesen Ländern institutionalisierte man das Dolmetschen im öffentlichen Dienst mit dem Ziel, die Zugewanderten in den Arbeitsmarkt einzugliedern und sozial zu versorgen.[45] Schweden entwickelte sich in Europa zum Vorzeigeland im Bereich des CI, sodass heute alle Migrantinnen in öffentlichen Einrichtungen das Recht auf kostenfreie Dolmetschdienste haben und der Beruf des Community Interpreters den gleichen Stellenwert hat wie andere Berufe.[46] Auch auf Grund des steigenden Bedarfs an Dolmetscherinnen im intrasozietären Bereich innerhalb Deutschlands ist nun auch hier in den letzten Jahren ein Anstieg des Interesses an dem Thema Community Interpreting an den deutschen Universitäten zu verzeichnen.[47]
Jedoch befindet sich Deutschland, so sind sich viele führende Dolmetschwissenschaftlerinnen einig, immer noch in einem „Teufelskreis“[48], wenn es um das Community Interpreting geht. Dieser Teufelskreis beginnt damit, dass es in Deutschland aktuell an Trainingsprogrammen fehlt, um Dolmetscherinnen oder mehrsprachige Menschen zu Community Interpretern auszubilden.[49] Fortbildungen werden nur langsam ins Leben gerufen und die akzeptierte, unbezahlte Praxis hat sich bereits soweit etabliert, dass es wenige Bemühungen gibt, diesen Bereich zu professionalisieren.[50] Die wenigen existierenden Programme weisen keinen einheitlichen Aufbau auf und unterscheiden sich deutlich in ihren Lernzielen und Abschlüssen. Daneben gibt es für viele Sprachkombinationen keine Trainerinnen und keine Kurse.[51] Dieser Mangel an guten Ausbildungsprogrammen führt dazu, dass der Bereich des intrasozietären Dolmetschens von Laien dominiert wird, deren Qualifikationen nicht nachgeprüft werden können. In wichtigen Gesprächen müssen sich Institutionen blind auf die Dolmetscherinnen verlassen, sowohl in Hinblick auf deren ethische Prinzipien wie auch auf die sprachliche Qualifikation. Von Laien gedolmetschte Gespräche können gelingen, führen aber in vielen Fällen zu einer Reihe von Problemen.[52] Laiendolmetscherinnen nehmen, so belegen Studien von Pöllabauer, Einfluss auf den Gesprächsverlauf, ohne dass dies bemerkt wird. Sie haben, so die Wissenschaftlerin, die Tendenz, Elemente wegzulassen, falsch wiederzugeben, Zusammenhänge nicht zu verstehen, zu über- oder untertreiben und es kommt bei ihnen häufig zu Vermeidung bestimmter Probleme und Themen.[53] Dazu kommt, dass sich Laiendolmetscherinnen oft als Fürsprecherinnen oder sogar als Retterinnen der Geflüchteten sehen und ihnen bevormundend Entscheidungen abnehmen möchten.[54] Zu ihren Reihen gehören auch oft Kinder, welche die Fremdsprache nachweislich schneller lernen als ihre Eltern. Ihr Einsatz zeigt, wie hoch der Bedarf ist, aber auch, wie wenig Wert auf eine qualitative Verdolmetschung in diesem Bereich gelegt wird, wie sehr das Bewusstsein für die professionelle Rolle der Dolmetscherin fehlt. Gerade bei öffentlichen Institutionen wird dieses fehlende Bewusstsein offensichtlich. In Deutschland ist die Kommunikation mit Vertreterinnen öffentlicher Einrichtungen, so Slapp, „Sache der Migranten“[55], und um die eigenen Rechten wahrzunehmen, muss man in Deutschland Deutsch sprechen.[56] Öffentliche Institutionen wollen keine zusätzlichen Ausgaben für Dolmetscherinnen ausgeben, da der Bedarf mit Ehrenamtlichen meistens gedeckt werden kann.[57] Jedoch ist Pöllabauer nicht alleine mit der Meinung, dass dieses Problem nicht nur finanzieller, sondern auch ideologischer Natur ist, wenn es darum geht, wie sich eine Mehrheit in der Gesellschaft gegenüber einer Minderheit verhält. Es geht ihrer Meinung nach also auch um die allgemeine Akzeptanz von Ausländerinnen und ihrer Integration.[58] Darüber hinaus ist Dolmetschen immer auch mit Fragen der Machtausübung verbunden und alle Tatsachen, so Bahadır, CI nicht zu unterstützen, werden dadurch verstärkt, dass Fachkräfte oft kein Interesse haben, bestehende Machtverhältnisse aufzubrechen[59] und Angst...