Das Phänomen Crowdfunding ist noch relativ jung. In Deutschland wird es in Zusammenhang mit den Starts der fünf wesentlichen Crowdfunding-Plattformen erst seit 2010 in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Entsprechend gibt es bisher erst wenige Autoren, die sich wissenschaftlich mit diesem Themenfeld auseinandersetzen. Die Filmemacherin Marie Ebenhan beschreibt das Prinzip so: „Eine Vielzahl von Leuten (die Crowd) gibt einen meist kleinen Betrag, um ein vorgestelltes Projekt zu finanzieren. Da dieses Prinzip nur durch das Zusammenkommen und Zusammenagieren einer ‚breiten Masse‘ funktioniert, liegt es nahe, die Verbreitung der jeweiligen Projekte über das Internet zu praktizieren. Genau über dieses ‚Werkzeug‘ hat ein Projektinitiator, der sein Projekt durch Crowdfunding finanzieren möchte, die Möglichkeit, mit kleinem Aufwand eine große Anzahl an potenziellen Geldgebern zu erreichen. Die Vorstellung und Bewerbung eines Projektes kann sowohl auf eigens dafür angelegten Internetseiten geschehen, als auch auf speziell dafür programmierten Plattformen.“[172] Diese Annäherung charakterisiert die Grundprinzipien, das Phänomen stellt sich aber noch weitaus komplexer dar. Häufig kommt es in medialen Darstellungen zu Missverständnissen, weil der Begriff des Crowdfunding nicht ausreichend differenziert wird. So wird Crowdfunding häufig mit Spenden gleichgesetzt.[173] Die Finanzierung eines Vorhabens durch eine bestimmte Anzahl Menschen, die jeweils kleine Beträge geben, kann dabei durchaus auf ein Spendenmodell hinauslaufen. So bündelt beispielsweise die Plattform betterplace.org gemeinnützige Projekte, die sich durch Kleinspenden finanzieren wollen, bei denen die Unterstützer keine Gegenleistungen, dafür aber meist eine Spendenbescheinigung bekommen, mit der sie den Betrag beim Finanzamt geltend machen. Die Spendenform ist dabei aber nur eine von mehreren Möglichkeiten und keineswegs die, die am weitesten verbreitet ist. Im Bereich der Filmfinanzierung spielt sie praktisch keine Rolle.
Crowdfunding stellt eine Form des Crowdsourcing dar. Der Begriff wurde 2006 erstmals von Jeff Howe im Wired-Magazine erwähnt[174] und zunächst vornehmlich als eine bestimmte Unternehmensstrategie zum Oursourcen von Leistungen beschrieben: „Crowdsourcing ist die Strategie des Auslagerns einer üblicherweise von Erwerbstätigen entgeltlich erbrachten Leistung durch eine Organisation oder Privatperson mittels eines offenen Aufrufs an eine Masse von unbekannten Akteuren, bei dem der Crowdsourcer und /oder die Crowdsourcees frei verwertbare und direkte wirtschaftliche Vorteile erlangen.“[175] Das Internet bzw. Web 2.0-Anwendungen und entsprechende Plattformen spielen in diesem Zusammenhang (ebenso wie für das Phänomen Crowdfunding) eine zentrale Rolle.[176] Diese unternehmenszentrierte und gewinnorientierte Sichtweise hat bis heute Gültigkeit. Da jedoch auch gemeinnützige Projekte wie Wikipedia oder das Open-Source-Betriebssystem Ubuntu auf dem unentgeltlichen Engagement vieler Einzelpersonen basieren[177], die ihre Zeit und ihre Fähigkeiten zur Verfügung stellen, hat sich der Begriff erweitert.[178] Im Zusammenhang mit Crowfunding akzentuiert es der Social-Media-Experte Jörg Eisfeld-Reschke so: „Crowdsourcing ist die Allokation von Wissen, Fähigkeiten und Kapital, insbesondere mit Mitteln des Social Web. Von Crowdfunding wird gesprochen, wenn die Allokation finanzieller Mittel im Vordergrund steht.“[179]
Die verschiedenen Ausprägungen von Crowdfunding orientieren sich an den klassischen Finanzierungsformen Spenden, Sponsoring und Investing bzw. Lending. Julia Kaltenbeck unterscheidet in Anlehnung an Koren und Zandvliet entsprechend zwischen Crowddonating, Crowdsupporting bzw. Crowdsponsoring, Crowdlending und Crowdinvesting.[180]
Bei Crowddonating handelt es sich um Mittelbeschaffung in Form von Spenden. Diese können durch gemeinnützige Organisationen für soziale, ideelle oder umweltbezogene Projekte kostengünstig und mit einer hohen Reichweite über entsprechende Spendenplattformen akquiriert werden. Genau wie bei der klassischen Spende erhält der Gebende keine direkte Gegenleistung (die Motivation ist die Unterstützung der guten Sache, die durch das eingesetzte Geld ermöglicht wird), kann die Spende aber gegebenenfalls steuerlich geltend machen.[181]
Crowdsupporting bzw. Crowdsponsoring ist die am weitesten verbreitete Form von Crowdfunding, vor allem im Kultur- und Kreativbereich. Es wird häufig sogar mit dem Begriff Crowdfunding gleichgesetzt, so spricht man beispielsweise von den für Deutschland wesentlichen fünf Crowdfunding-Plattformen, auf denen fast ausschließlich Projekte im Bereich Crowdsponsoring angeboten werden. Wie im klassischen Sponsoring ist die Zahlung von Geld an bestimmte Gegenleistungen gebunden.[182] Durch die Crowdfunding-Plattformen und Web 2.0-Anwendungen ist diese Form jedoch nicht länger auf Unternehmen begrenzt, die damit bestimmte Kommunikationsziele verfolgen, sondern für jeden Einzelnen eine Möglichkeit, durch vergleichsweise kleine Beträge Projekte zu unterstützen und im Gegenzug nicht-monetäre, aber meist wertvolle Gegenleistungen, gestaffelt nach der eingesetzten Summe, zu erhalten. Häufig handelt es sich dabei um Vorverkäufe (Pre-Sales), zum Beispiel dann, wenn die Gegenleistung für die Unterstützung eines Filmprojektes in der DVD mit dem fertigen Film besteht.[183]
Crowdinvesting ist vor allem im Bereich der Unternehmens- und Start-Up-Finanzierung verbreitet. Viele Investoren investieren hierbei direkt in das Unternehmen und erwerben im Gegenzug Anteile, die mit einer Gewinnbeteiligung verbunden sind. Das Modell wurde bereits erfolgreich zur Filmfinanzierung, beispielsweise für die Projekte „Stromberg – Der Film“ und die Satire „Iron Sky“ eingesetzt. Investoren erwarben als Ko-Finanziers Beteiligungen am Projekt und werden somit an den Erlösen beteiligt.[184] Crowdlending bezeichnet die Vergabe von Kleinkrediten durch Privatpersonen, also ohne die Beteiligung von Banken. Dies ist für das die Mittel empfangende Unternehmen mit vergleichsweise niedrigen Zinsen verbunden, ermöglicht den Kreditgebern aber gleichzeitig eine höhere Rendite als bei vielen bankenbasierten Investitionsformen.[185]
Im Bereich der Filmfinanzierung spielen bisher nur Crowdsponsoring und Crowdinvesting eine Rolle, die Untersuchung wird sich deshalb im Folgenden auf diese beiden Formen beschränken.
An dieser Stelle muss noch ein weiteres Missverständnis ausgeräumt werden, das im Zusammenhang mit Crowdfunding häufig auftaucht: Besonders durch die Massenmedien wird es oft als „Schwarmfinanzierung“ beschrieben.[186] Das resultiert vor allem daraus, dass eine adäquate deutsche Übersetzung für den Begriff „Crowd“ im Zusammenhang mit Crowdfunding noch aussteht.[187] Der Terminus des Schwarms bezieht sich vor allem auf den Journalisten James Surowiecki, der in seinem Buch „Die Weisheit der Vielen“[188] den Begriff der Schwarmintelligenz für das breite Publikum populär machte. Nun handelt es sich bei Crowdfunding-Projekten nicht um die kreativ-kognitive Lösung von Problemen durch ein Kollektiv. Vielmehr geht es um Individuen, die aus ganz unterschiedlichen Motiven und Bedürfnissen heraus ein Projekt unterstützen und dabei häufig Vorauskäufe tätigen, also als „Prosumer“ gleichzeitig als Finanziers und Konsumenten auftreten.[189] Sie tun dies häufig nicht anonym, gerade beim Crowdsponsoring (aber auch bei allen anderen Formen des Crowdfundings) steht die individuelle, direkte Unterstützeransprache durch die Projektinitiatoren im Vordergrund.[190] Zudem kann auch quantitativ bei den meisten Projekten nicht von einem Schwarm von Unterstützern gesprochen werden.[191]
Das grundlegende Prinzip des Crowdfundings, nämlich die Vorfinanzierung größerer Projekte durch kleinere Geldbeträge mehrerer Menschen, ist keineswegs neu. Komponisten wie Mozart oder Beethoven verkauften Konzerte bzw. neue Musikstücke mittels Subskriptionen an Musikkenner und Anhänger, bevor sie anfingen, die entsprechenden Vorhaben zu komponieren.[192] Als frühes Beispiel kann auch die Freiheitsstatue in New York angeführt werden. Zwar war die Statue selbst ein Geschenk der Franzosen, die Amerikaner mussten ihren Sockel jedoch selbst finanzieren. Die Summe von 102.000 Dollar kam 1885 innerhalb von sechs Monaten nach einem Aufruf der Zeitung New York World durch kleine Beiträge von durchschnittlich unter einem Dollar von insgesamt 120.000 Menschen zusammen. Als Massenmedium diente also die Zeitung.[193] Aus heutiger Sicht könnte man von einem Grenzfall sprechen, der sowohl dem Crowdsponsoring als auch dem Crowddonating nahe kommt. Einerseits erhielten die einzelnen Unterstützer keine individuellen Gegenleistungen. Andererseits bekamen sie doch das, was sie als „Prosumer“ durch ihren Beitrag erst ermöglicht hatten: Die Freiheitsstatue als Wahrzeichen ihrer...