Gong zum Schulbeginn: Fähige Lehrer dringend gesucht!
»Wen Gott im Zorn schuf, macht er zum Lehrer.«
Schlesische Sentenz
Die Guten können zu den wichtigsten Menschen im Leben eines Schülers gehören. Und das hat Dimension. Welcher Beruf bietet schon die Gelegenheit, eine prägende und wegweisende Rolle im Leben junger Menschen zu spielen? Nicht wirklich viele.
Das Dreieck Schule – Lehrer – Schüler ist ein Urkonstrukt. Es bedient die Wissbegier der jungen Generation und gleichzeitig den Wunsch der alten, die im eigenen Leben erworbenen Erkenntnisse weiterzugeben. Es geht um Sinnhaftigkeit, Bildung und Erfüllung. Hehre und edle Themen der Menschen. Und das macht den Lehrerberuf zu einem der wichtigsten Berufe – und das mit der Option, zudem einer der schönsten Berufe zu sein.
Eins vorweg: Es gibt zweifelsohne unmögliche Eltern und unangenehme Schüler. Mit denen können eine Schule und ihr Lehrerkollegium durchaus unerfreuliche Mühen haben. Nicht umsonst sind Schule und Kollegium gut ausgestattet mit allerlei Abwehr und Bollwerk zur Rückendeckung sowie mit Maßnahmen von Sitzenbleiben bis Schulverweis. Das bedeutet: Wenn ein Lehrer nicht gerade einen Straftatbestand erfüllt, steht er ziemlich fest und abgesichert.
Für Eltern ist das dagegen nicht so klar: Die Lehrerschaft ist ein Phänomen, bestimmend und präsent. Und für viele ist sie oft die sprichwörtliche Kröte, die es zu schlucken gilt. Wer Kinder hat, hat quasi ständig den Mund voll, denn diese Kröte ist ein vielköpfiges Wesen mit leider nur wenigen Ausnahmen. Wer Kinder hat, hat überdies ständig den Kopf voll: mit Herumrätseln, Staunen, Ärger. Über Ungerechtigkeiten, Dreistigkeiten, Verschrobenheiten, Naivität, Weltfremdheit, Faulheit, Unwilligkeit, Verbohrtheit, Lahmheit. Damit müssen Eltern fertigwerden. Dazu brauchen sie eine Haltung. Und dabei wird ihnen auch noch regelmäßig die Luft knapp, weil sie sie so oft anhalten müssen. Womöglich zwölf Jahre lang, so lange, wie ein Kind von der Schultüte bis zum Abizeugnis braucht. Wer zwei oder mehr Kinder hat, bekommt in der Regel auch einen bunten Zusatzstrauß an Luftanhalte-Gründen geliefert. Schulmeister-Fleurop ohne Grußkarte, frei Schulhaus geliefert.
Gedanken machen sich Eltern viele. Sie wollen ihre eigenen Eindrücke begreifen und ordnen, Strategien entwickeln, sich selbst besänftigen und zu besonnenem Vorgehen mahnen. Sie wollen taktisch vorgehen. Und sie wollen sich ein Bild davon machen, mit was für einer eigentümlichen Gestalt sie es da eigentlich zu tun haben. Mal kriegen sie die eigenen Gedanken nicht zu packen, etwa wenn es um die oft seltsam aus der Zeit gefallene Aufmachung und Erscheinung mancher Lehrer geht. Der Grund ist nicht etwa Oberflächlichkeit, sondern einzig der Umstand, dass eine wunderliche Optik, die sich natürlich grundsätzlich jeder Mensch frei und nach Gutdünken zulegen kann, in aller Regel auch mit absonderlichem Verhalten einhergeht. Und das stellt bereits die erste Schwierigkeit dar. Denn der deutsche Schulbetrieb ist genormt, geregelt und von zum Teil ziemlich hohen, nicht zur Diskussion stehenden Anforderungen an die Schüler geprägt. Und das verträgt sich nur mäßig mit den Käuzen und Sonderlingen in der Lehrerschaft. Und mindestens ebenso wenig mit dem Phlegma, dem Eingeschnapptsein, der Übellaunigkeit und der schroffen Patzigkeit manches Pädagogen. Man staunt nicht selten über die Fronten und die Feindseligkeit, die sich mitunter statt der erwarteten angemessenen Bemühung um die Schüler auftun, zu deren Beschulung die Lehrer angetreten sind und für deren Bildung sie bezahlt werden (und zwar nahezu komme, was da wolle).
Mit derlei Gedanken setzen Eltern sich tagtäglich auseinander. Denn es bleibt der Eindruck: Lehrer sind ein Phänomen, das sich der normalen Wahrnehmung und dem Vergleich mit zahlreichen Bereichen der elterlichen Arbeitswelt entzieht, ein Phänomen, für das man ein Raster braucht, das man sich erst aneignen muss. Man sucht nach Kategorien, Mustern, Erklärungen. Wie ticken diese Menschen bloß? Diese Suche lässt einen immer wieder fassungslos und schulterzuckend auf der Stelle treten.
Da ist der Direktor, der mit Tränen in den Augen schwört, seine Lehrer wären rund um die Uhr im Einsatz. Und alle schweigen betreten, weil es nichts (Unter-)Durchschnittlicheres gibt als ebendieses Kollegium – in dem neben ein paar wirklich Guten die Ausgebrannten, die Arbeitsscheuen, die Überforderten, die Choleriker und die Trantüten ihren festen Platz haben – und dessen von dem Direktor als nahezu legendär empfundenen Einsatz. Aus welcher Lehrmittelkiste, um Himmels willen, hat dieser Direktor die niedrige Messlatte gekramt, die er hier anlegt – und für so herrlich hoch hält? Es gibt da eine gewisse Form der Lehrernormalität, die eine andere Vorstellung von Pensum und Arbeitshaltung bedeutet und die die Außenwelt immer wieder verständnislos zusehen lässt.
Damit stellt sich generell die Frage: Wie wird aus so vielen Schulkollegien dieser entrückte Planet, der den Kontakt, den Bezug und die Relation zum Rest des Lebens- und Arbeitsuniversums weitgehend verloren zu haben scheint?
»Wen Gott im Zorn schuf, macht er zum Lehrer.«
Diese Schlesische Sentenz, vielfach zitiert und vorgekommen, ist natürlich polemisch und ein bisschen gemein, sehr pointiert und auch einen Hauch rätselhaft – und gibt doch eine über Länder- und Völkergrenzen und über Jahrzehnte hinweg empfundene Wahrheit wieder. Es mag damit die hehre und schwierige Aufgabe, die Lehrer zu erfüllen haben – nämlich sich mit der Jugend herumzuschlagen –, angedeutet werden. Und doch zeigt sie auch und vor allem die Unzufriedenheit mit den Zuständen auf, das nicht gute Gelingen.
Es gibt noch einen weiteren passenden Ausspruch: »In der Liebe zu den Schülern liegt die Würde, die Freude, das Göttliche der Lehrerwirksamkeit.«
Dieses Zitat des italienischen Humanisten und Pädagogen Vittorino da Feltre erschlägt förmlich mit der Diskrepanz zwischen schöner Wunschvorstellung und dem, was als Alltagswirklichkeit schultäglich neu wahrgenommen wird. Eine heutige Schulklasse ist gewiss eine Herausforderung. So viele Schicksale, darunter ungünstige Werdegänge, schwierige Verhaltensausprägungen, unterschiedliche Herkünfte und ausgesprochen heterogene Voraussetzungen sollen eine Klasseneinheit bilden und gemeinsam unterrichtet werden. Da ist zugegebenermaßen zunächst wenig Raum für blumige Umschreibungen. Aber einen entscheidenden Aspekt muss jeder Lehrer einräumen: Das ist keine Überraschung. Das weiß jeder.
Wer sich für den Lehrerberuf entscheidet, muss wissen, dass er eines nahenden Tages raus aus den Seminaren und Ausbildungsrefugien hinein in die tägliche Schulwirklichkeit gehen wird, wo ihn genau solche Klassen erwarten. Das ist ein Stück bundesdeutsche Wirklichkeit. Es ist kein Raum für die, die aus rosaroten Gründen – im Verdacht stehen die relative Sicherheit der öffentlichen Hand, das Beamtentum und die vielen Ferienwochen – den Lehrerberuf für eine Art Auffangbecken halten. Ein Auffangbecken für die, die sich der rauen unternehmerischen Arbeitswirklichkeit, der freien Wirtschaft und den konkurrenz- und bewährungsgeprägten Arbeitssituationen nicht stellen mögen – und die fatalerweise glauben, als Lehrer erwarte sie eine absehbare, bewältigbare Aufgabe. Dass sie absehbar ist, macht die Aufgabe nicht leichter. Und die vermeintliche Bewältigbarkeit beruht auf einer geradezu fahrlässigen Unterschätzung der Anforderungen. Fatalerweise geben zahlreiche Lehramtsstudenten an, ihren Studiengang für vergleichsweise einfach zu halten. Es geht ihnen eher um die Machbarkeit als um die Karriereaussichten, die den Abiturienten mit Einserschnitt dagegen im Lehrerberuf in der Regel zu unattraktiv erscheinen. Von den mittelmäßigen Abiturienten sehen deutlich mehr ihr berufliches Ziel als Lehrer an einer Schule, weil sie dort keine Überforderung fürchten. Eine Berufung, eine Überzeugung oder der dringende Wunsch, Lehrer zu werden, ist keineswegs die treibende Kraft (Kraft ist ohnehin kein Aspekt, der dem Betrachter bei Lehrern vorrangig in den Sinn kommt) – und dann vertun sie sich bitter mit dem vermeintlich dünnen Brett, was wiederum die Burn-out-Rate ein paar Jahre später in die Höhe treibt.
Wohlgemerkt sind sicher nicht grundsätzlich nur die Einserschnitt-Abiturienten in der Lage, gute Lehrer zu werden. Und es gibt natürlich Einserkandidaten, die eher redlich-gewissenhaft und sehr fleißig funktionieren, als für eine Sache zu brennen. Es gibt nur eben diese nicht ganz geringe Gruppe von jungen Menschen, die schon in der Schule keinen großen Ehrgeiz und nicht viel Mühe und Elan aufgebracht haben und sich dann für die Direktschleife zurück an die Schule entscheiden, über ein überschaubares Studium von ein, zwei oder drei der Schulfächer, an die sie sich halt über die eigenen Schuljahre hinweg so gewöhnt haben.
Festzustellen ist jedenfalls, dass Eltern und die Schulumwelt häufig verwirrt, ratlos und mitunter schlicht wütend zur Kenntnis nehmen, was für seltsame Gestalten in einem Lehrerkollegium einen Platz gefunden haben. Leistungsunwillig, zum Teil schlicht leistungsschwach, in Dauerabwehrhaltung gegen Kritik und ehrliche Verbesserungsvorschläge aus allen Richtungen (Eltern, Schüler, Ministerium, alles, was »über ihnen« ist), naiv, irgendwie trotzig, in vielem weltfremd und manche selbstgefällig wie ein dickes, verwöhntes Riesenkind, das es offenbar nicht besser weiß, über das man sich aber dennoch umso mehr ärgert.
Eines steht fest: Das Thema »Lehrerschaft« hört...