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E-Book

Das antike Drama

AutorMartin Hose, Therese Fuhrer
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406707933
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,49 EUR
Noch heute stehen die Dramen von Aischylos, Sophokles, Euripides und Aristophanes auf den Spielplänen unserer Theater. Doch auch die Werke von Menander, Plautus, Terenz und Seneca gehören zu den überzeitlichen Schätzen der Weltliteratur. In dieser einführenden Darstellung wird das Schaffen eines jeden der Dichter knapp und klar beschrieben; ihre Stücke werden exemplarisch interpretiert. So wird auch die Entwicklung der Form des Dramas in der Antike unter ihren je unterschiedlichen medialen, sozialen und politischen Bedingungen verständlich.

Therese Fuhrer ist Professorin für Lateinische Philologie der Antike an der Ludwig-Maximilians-Universität München; dort lehrt auch Martin Hose als Professor für Griechische Philologie.

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Leseprobe

1. Die «Geburt» der dramatischen Formen in der griechischen Welt


Die Entstehung der Tragödie


«Seit der Dichter Thespis als erster als Schauspieler auftrat, der ein Drama [in der Stadt] einstudiert hatte und als [Siegespreis] der Bock ausgesetzt war, sind 2[7?] Jahre vergangen …» So lautet ein verwitterter Eintrag einer Chronik auf einer Marmortafel, gefunden auf der Insel Paros. Diese Chronik, das sogenannte Marmor Parium, verzeichnet, ausgehend vom Jahr 264/3 v. Chr., Geschehnisse der griechischen Geschichte im Rückblick, darunter auch solche von kultureller Bedeutung. So wird mit diesem Eintrag eines Ereignisses in Athen («in der Stadt») gedacht: der Aufführung der ersten Tragödie durch den Dichter Thespis. Das byzantinische Lexikon Suda gibt im Artikel Thespis hierfür eine exaktere Datierung, die 61. Olympiade (d.h. das Intervall 535/2 v. Chr.). In einem buchstäblichen Sinn wird so die ‹Geburt der Tragödie› protokolliert, und man kann mit Hilfe von Kombinationen aus der Kultur- und Ereignisgeschichte des 6. Jh. v. Chr. die Rahmenbedingungen dieser ‹Geburt› erschließen, auch wenn die Datierungen für diese Zeit ihrerseits auf bereits antiken Konstruktionen beruhen sollten.

Athen hatte im Laufe des 6. Jh. v. Chr. politische Spannungen und Veränderungen erlebt, die für archaische griechische Poleis nicht selten waren: Wirtschaftliche Veränderungen, darunter die wachsende Bedeutung des Handels und der Geldwirtschaft, hatten zu sozialen Problemen in der Bevölkerung und einem Zerfall des Zusammenhalts in der Aristokratie geführt, die die Geschicke der Stadt lenkte. Reformen, die der berühmte Politiker Solon erarbeitet hatte, brachten keine dauerhafte Abhilfe. So konnte sich in Athen, wie auch in vielen anderen griechischen Städten, der Aristokrat Peisistratos zum Alleinherrscher über die Stadt aufschwingen. Seit Mitte der 40er Jahre regierte er Athen und gewann während seiner fast zwei Jahrzehnte währenden Herrschaft eine breite Zustimmung zu seiner Tyrannis, zu der auch eine Kulturpolitik gehörte, in deren Rahmen er Götterfeste neu einrichtete. Zum traditionellen Inventar derartiger Feste zählten neben Prozessionen Opfer und musische Darbietungen, die oft als Wettbewerbe von Chören oder einzelnen Künstlern organisiert waren. Die Opfer sicherten nicht nur das Wohlwollen der Götter, sondern boten, da das Fleisch der Opfertiere an die Kultgemeinde verteilt wurde, den ärmeren Bevölkerungsschichten eine der wenigen Gelegenheiten für den Verzehr von Fleisch. Prozessionen und musische Vorführungen stärkten darüber hinaus durch die Beteiligung der Kultgemeinde ein Gemeinschaftsgefühl – Feste trugen damit zur Identitätsstiftung in einer Polis bei.

Peisistratos und seine Söhne nutzten solche Feste als Instrument, die Bevölkerung an sich zu binden und konkurrierende Aristokraten-Familien an Prestige zu überflügeln. So förderten sie das wichtigste Fest Athens, die Panathenäen, und sorgten dafür, dass dort die homerischen Epen vollständig rezitiert wurden. Im Rahmen dieser Politik stifteten die Tyrannen (oder bauten aus) ein Fest zu Ehren des Gottes Dionysos im Monat Elaphebolion (nach heutigem Kalender in der zweiten März- und ersten Aprilhälfte). Sie statteten es nicht nur mit Opfern und Festgelagen zu Ehren des Gottes aus, sondern auch mit der passenden Musik. Deren Grundbestandteil war in der archaischen griechischen Kultur der Chor, der Hymnen für die Götter zur Begleitung von Flöten oder Saiteninstrumenten sang und dazu tanzte. Im Laufe des 6. Jh. wurden derartige Chorgesänge zunehmend kreativer ausgestaltet und lösten sich aus ihrer Bindung an traditionelle Hymnenformen. So berichtet Herodot (1,23) etwa, dass der Kitharode Arion in Korinth den Dithyrambos, das Kultlied für Dionysos, reformierte. Zu derartigen musischen Experimenten gehört auch die Neuschöpfung des Thespis für die Dionysien in Athen. Aus den kargen überlieferten Nachrichten ergibt sich, dass er die Rolle des Chores veränderte, indem er ihm ein Gegenüber schuf, einen hypokrites, «Antworter» (oder «Ausleger») – wir können ihn als ‹Schauspieler› bezeichnen. Zwischen diesem Schauspieler (er konnte, je nach Kostüm und Maske, in verschiedenen Rollen vor den Chor treten) und dem Chor entwickelte sich eine Interaktion, die den traditionellen Chorgesang völlig verwandelte: Aus einem einfachen Chor, der über eine Begebenheit in der Vergangenheit singt, wurde nun eine Gruppe von Menschen, die in eben dieser Vergangenheit agieren, die für sie (wie für den Schauspieler) eine neue, imaginäre Gegenwart darstellt – anders formuliert: Aus einem einfachen Bericht ist nun ein ‹Handeln› (griechisch: drama) geworden.

Thespis schuf diese neue musische Form offenbar aus verschiedenen ‹alten› Komponenten: dem traditionellen Chor, einem hypokrites, der Maskierung. Ferner griff er auf Traditionen zurück, die außerhalb Athens lagen: Der Chor der Tragödie sang nicht im attischen Griechisch, sondern in einer an das dorische Griechisch angenäherten Form; im Kontrast dazu trug der Schauspieler auf Attisch Sprechverse im jambischen Trimeter (d.h. der dreimaligen Wiederholung des Schemas υ – υ –) oder (seltener) trochäischen Tetrameter (d.h. der viermaligen Wiederholung des Metrums – υ – υ) vor. Diese Mixtur der Komponenten hat schon früh zu erklärenden Herleitungen der Tragödie herausgefordert. Es ist übrigens für die griechische Kultur ein typisches Phänomen, dass sie sich für die Fülle ihrer Erscheinungen selbst Rechenschaft abzulegen versuchte, in der Regel dadurch, dass man einen ‹ersten Erfinder› – protos heuretes – für eine Errungenschaft identifizierte, wie ihn gerade das Marmor Parium in der Gestalt des Thespis für die Tragödie nennt. So sah Aristoteles (Poetik, Kap. 4) die Genese der Tragödie in Improvisationen, die die Leiter von Dithyramben-Chören ausprobiert hätten. Ferner inspirierte der Name ‹Tragödie› zu erklärenden Erzählungen, in denen der attische Bauer Ikarios den Weinanbau ‹erfunden› habe, ein Ziegenbock, der von den Reben fraß, zur Strafe getötet worden sei und sich an diesem ‹Bocksopfer› kultische Tänze für Dionysos als eine Art von Proto-Tragödie entwickelt hätten (so der alexandrinische Gelehrte Eratosthenes).

Heute sieht man im Namen ‹Tragödie› einen Hinweis auf alte Kultbräuche, freilich in mehrdeutiger Weise. Lässt er sich doch als (a) ‹Gesang der Böcke›, (b) ‹Gesang zum Opfer eines Bocks› oder (c) ‹Gesang um den Preis eines Bockes› verstehen. Dies führt auf je verschiedene Archäologien der Tragödie. So wäre ein Gesang um den Preis eines Bockes Hinweis auf die Konstellation von Thespis’ erster Darbietung, die Tragödie hätte ihren Namen schlicht vom Preis für Thespis erhalten. Der Gesang der Böcke, d.h. von Sängern in Bockskostümen, würde auf kultische Zusammenhänge deuten, in denen Verkleidung, also Transformation und Transgression von Grenzen etwa zwischen Mensch und Tier, im Zentrum standen. Dies passt zum Kontext von Kulten des Dionysos, des Gottes der Veränderung und Transgression schlechthin, womit sich die Verbindung von Tragödie und Dionysos erklären ließe. Der Gesang beim Bocksopfer könnte wiederum auf Riten hinweisen, in denen der Mensch das Erlebnis des Tötens und des Todes zu bewältigen versucht. Eine solche Herleitung würde die Fokussierung der Tragödie erhellen, die sich auf Sterben und Tod sowie Versuche, diesen Vorgängen Sinn zu geben, richtet. Ferner hilft sie, die spezifische ästhetische Wirkung der Form zu erklären, die in einem eigenartigen ‹Vergnügen an tragischen Gegenständen› liegt, d.h. der auf den ersten Blick merkwürdigen sublimen Lust an dargestelltem Leid anderer Menschen.

Alle Herleitungen bleiben freilich aufgrund der Überlieferungslage zur Tragödie des späten 6. Jh. Hypothesen. Zu wenig ist zu den Dramen des Thespis und seines jüngeren Konkurrenten Choirilos sicher ermittelbar: Vier Werktitel und vier Fragmente des Thespis sind überliefert, doch vielleicht sind dies Fälschungen aus hellenistischer Zeit. Für Choirilos notiert die Suda die gewaltige Zahl von 160 Stücken und 13 Siegen (an den Dionysien?), die dieser seit der 64. Olympiade (523/20 v. Chr.) vorzuweisen habe. Überliefert sind ein einziger Titel (Alope) und zwei unvollständige Verse. Immerhin spricht selbst aus diesen spärlichen Nachrichten, dass das Experiment ‹Tragödie›...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Zum Buch2
Über die Autoren2
Impressum4
Inhalt5
1. Die «Geburt» der dramatischen Formen in der griechischen Welt6
2. Die Tragödie als politische Kunst: Phrynichos und Aischylos15
3. Sophokles: ‹Bessere Menschen als sie es sind›33
4. Euripides: Neue intellektuelle Herausforderungen41
5. Aristophanes: Der geniale «Hanswurst»50
6. Menander: Die Komödie als Erbin der Tragödie56
7. Das Drama im Hellenismus: Bühnen und Bücher in der gesamten Oikumene65
8. Das Drama in Rom: Kulturimport und Machtpolitik67
9. Plautus: Inszenierte Aneignung des Fremden84
10. Terenz: Die Komödie als Medium für Wertediskussionen102
11. Seneca: Ästhetisierung von Macht, Gewalt und Leidenschaft111
12. Das Drama in der Spätantike – Ausblick122
Literaturhinweise125
Register127

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