I.
Der Hain, in dem die Druidentagung des Jahres 1886 stattgefunden hat, liegt auf der Höhe gegenüber dem Schloss Mainberg, der gegen Süden von Weinbergen, gegen Osten vom Bachtal begrenzt wird. Der Hain ist ein herrlicher Eichenwald, der an seinem südlichen Rande einen prachtvollen Ausblick auf das Maintal bis zum Steigerwald und Schwanberg eröffnet. Dieser Hain bildete einst den Mittelpunkt eines Reiches, das vor der deutschen Völkerwanderung von den über Mittel- und Süddeutschland, Belgien und Frankreich, die Alpen und Oberitalien ausgedehnten Kelten, einem zweifellos hochbegabten Volke, bewohnt war. Äußerlich glichen sie den Germanen, sprachlich aber waren sie in ebenso viele Abarten geteilt wie die Landschaften, die die einzelnen Stämme bewohnten. Ein englischer Forscher will sechzig verschiedene Mundarten erkannt haben. Die durch Jahrhunderte währende Nachbarschaft, Handelschaft und Vermischung von Kelten und Deutschen hat, nach den überkommenen Fluss-, Flur-, Orts- und Personennamen zu schließen, in unserer Gegend ein eigenes Sprachidiom erzeugt, wie es auch bei anderen Völkern unter ähnlichen Verhältnissen sich herausbildete. Deutsche Namen wurden keltisiert, keltische Worte hinwiederum ins Deutsche umgemodelt, sodass oft schwer zu sagen ist, von welchem Ursprung sie sind. In sozialer Beziehung unterschieden sich die Kelten in Priester (Druiden) und Edelleute einerseits, in Handwerker und Bauern andererseits. Die Druiden standen im gleichen Rang mit den Edelleuten und nahmen vornehmlich aus diesen Familien ihren Ersatz. Sie waren also die herrschende Aristokratie, die nicht bloß durch ihren materiellen Besitz und ihre politische Macht, sondern auch durch ihre religiöse Bedeutung und überragende Bildung den maßgebenden Einfluss auf das gesamte Volkstum ausübte. Aber auch die Götter sterben.
Zahlreiche Ausgrabungen liefern die urkundlichen Beweise für das Dasein der Kelten im Maingebiet, wenn auch die Gelehrten nicht von einer keltischen, sondern von der Hallstattzeit sprechen, so benannt von dem Ort Hallstadt bei Ischl, in dessen Nähe im Jahre 1846 ein ganzes Gräberfeld mit allen möglichen Fundstücken aufgedeckt wurde. Unter der Hallstattzeit versteht man jene Periode in der Entwicklung des Menschengeschlechtes, die etwa die Jahre von 1200 bis 550 vor Christus begreift und durch die Einführung des Eisens neben der Bronze sich kennzeichnet. Die deutschen Gelehrten betrachten sie weniger vom völkergeschichtlichen als vom kultur- und stilgeschichtlichen Standpunkte. Wenn aber einige von ihnen die Hallstattzeit gar den Deutschen zuweisen, die in der Kultur noch sehr rückständig waren, so ist das der Ausdruck eines falschen Patriotismus. Gewiss sind an der Kultur dieser Periode keltische Elemente am stärksten beteiligt. Eine ausgesprochene keltische Kultur mit vielfach neuen eigenartigen Formen haben wir in der Latnezeit, etwa 500-100 vor Christus vor uns. Diese Bezeichnung nach dem Fundort Latne in der französischen Schweiz scheint mir ebenso unglücklich wie die Bezeichnung Hallstattzeit. Mit größerem Recht durfte man doch die beiden Zeiten als keltische zusammenfassen, wenn auch unter den Funden solche sich befinden, die auf illyrische oder rhätische Herkunft schließen lassen. Wer kann denn behaupten, dass diese Völker nicht stammverwandt waren, zumal es kaum geleugnet werden kann, dass die Kelten in dem Jahrtausend vor Christus die Länder von Spanien bis Ungarn und von Oberitalien bis Mitteldeutschland besessen haben?! Auch geben die Depotfunde (versteckte Warenniederlagen aus der Keltenzeit) von den regen Handelsbeziehungen, die zwischen den Völkern südlich und nördlich der Alpen bestanden haben, Zeugnis davon. Einsicht in diese Funde geben die Sammlungen in Würzburg. Die größten Verdienste um die Erforschung dieser Kulturperiode im Maingebiet hat sich der Konservator der staatlichen Sammlungen Herr Universitätsprofessor Dr. Georg Hock erworben, von dessen unermüdlicher Tätigkeit auch die sehr interessanten Sammlungen des städtischen Museums zu Würzburg mit seinen Töpferarbeiten, Schmucksachen, Waffen und Geräten aus Bronze und Eisen rühmliches Zeugnis ablegen.
Zweifellos waren die Kelten in unserem Mainland ein bodenständiges, geistig regsames, wirtschaftlich entwickeltes, gewerblich tätiges, künstlerisch veranlagtes und bildungsfähiges Volk, das die Nachbarn an Kultur überragte. Als die Nation auf der Höhe stand und vom Thüringer Wald bis zu den Alpen herrschte, vereinigte wohl noch ein König die zentrale Macht in seiner Hand. Dafür zeugt, dass heute noch sein Titel „Kini“ für König in Altbayern allgemein gang und gäbe ist. Im Englischen heißt der König King, die Königin Queen (sprich Kin). Zwar hatten die westlichen Kelten keinen König, als Julius Cäsar die Eroberung Galliens in Angriff nahm; dort war aber das Druidentum noch lebendig und unter seiner Beihilfe gelang es der Tatkraft des Verzingetorix, die Kelten zur Verteidigung ihres Vaterlandes zu sammeln, so dass der Römer acht Jahre benötigte, um den Widerstand der hartnäckigen Gegner vollends zu brechen. Und auch das gelang ihm erst, als er einen zwischen den Druiden und dem Adel ausgebrochenen Zwist zu seinen Gunsten ausnutzen konnte. Um eine neue Erhebung zu verhindern, forderte er die Auslieferung des Verzingetorix, den er im Triumphzug zu Rom aufführen und dann hinrichten ließ. Den östlichen Kelten war kein solcher Führer erstanden. Wohl hatten sie wie alle keltischen Völker einen ausgebildeten Wachpostendienst und dieser genügte auch, um die Bevölkerung vor Gefahren zu warnen und sie zur Abwehr aufzurufen, nicht aber um den Mangel einer umfassenden Wehrorganisation zu ersetzen. So wurden sie allmählich auf das mittlere Maingebiet zusammengedrängt und erlagen dann den von Norden her vordringenden Deutschen.
Französischen Historikern gebührt das Verdienst, in die verworrene Geschichte der Kelten Ordnung und Zusammenhang gebracht zu haben. Nach ihrer Darstellung sind die Deutschen aus militärischen und wirtschaftlichen Gründen zuerst in die Rheinebene und erst dann in das Berg- und Hügelland des Maingebietes vorgedrungen, weil dieses ihnen größere Hindernisse bereiten konnte. Ohne einen solchen gewaltigen Druck von feindlicher Seite hätten die senonischen Gallier sich kaum dazu veranlasst gesehen, ihre schöne Heimat, eines der fruchtbarsten und gesündesten Gefilde des mittleren Frankreichs, das von den Vogesen bis ins Yonnegebiet reichte, zu verlassen und ums Jahr 390 v. Chr. mit Kind und Kegel den abenteuerlichen Zug über die Alpen zu unternehmen. Sie schlugen die Römer, erschienen vor Rom und steckten es in Brand, verschafften aber den Gänsen des Kapitols den unsterblichen Ruhm, durch ihre Wachsamkeit dieses gerettet und hierdurch den Römern einen Friedensvertrag verschafft zu haben, der in seiner Ausführung als Vorbild des von den Nachkommen der Kelten erzwungenen Versailler Friedens von 1919 gelten kann. Als nämlich dem Häuptling Brennus das ausbedungene Gold vorgewogen wurde, warf er sein Schwert in die Waagschale, um noch mehr zu erpressen. Nach ihrem Abzug von Rom nahmen die Kelten in Mittelitalien Besitz von dem ertragreichen Lande Umbrien. Hundert Jahre später schlossen sie ein Bündnis mit den Etruskern und anderen benachbarten Völkerschaften gegen die Römer, von denen sie aber diesmal besiegt und dauernd unterworfen wurden. Ihr Land wurde Provinz unter dem Namen Sena Gallia (heute Sinagaglia).
In der nämlichen Zeit, da die Gallier im nördlichen Italien gegen Rom sich erhoben, rückten die Deutschen vom Norden her in Thüringen vor. Ein Teil der Eingeborenen wendete sich zur Flucht, während ein anderer Teil blieb. Deutsche Geschichtsschreiber nehmen nun an, dass die Flüchtlinge den Weg nach Westen zu ihren Stammesgenossen jenseits des Rheins eingeschlagen haben. Französische Militärschriftsteller hinwiederum halten das für unwahrscheinlich, weil bereits deutsche Völker entlang dem Rheinstrom zwischen die westlichen und östlichen Kelten sich geschoben hatten, wodurch die Flüchtlinge wohl aus den Krallen des Teufels entronnen, aber in die Hände des Belzebub gefallen wären. Glaubhafter ist wohl die Annahme, dass die Flüchtlinge vom Main zu ihren aus Oberitalien nach Südungarn und Bosnien ausgewanderten Landsleuten gezogen sind und dort jene Bewegung in Fluss gebracht haben, die in der Geschichte als der Zug Brennus II und seiner 200000 Kelten nach Mazedonien und Griechenland bekannt ist. Von den Griechen im Jahre 279 v. Chr. bei Delphi geschlagen, wandte sich ein Rest in der Stärke von 20000 Mann nach Kleinasien. Nach wiederholten Kämpfen mit den Eingeborenen, dann mit den Römern ließen sie sich in der ihnen zugewiesenen Provinz Galatien nieder. Dank ihrer natürlichen Begabung, einem keltischen Erbteil, erlernten sie bald die in Kleinasien geltende griechische Verkehrssprache, so dass sie von den Römern Gräcogalli (griechische Gallier) genannt wurden. Dahin kam dann auch der Apostel Paulus auf seinen Missionsreisen. Sein Brief an die Galater ist ein Beweis, dass die von ihm Bekehrten nicht wie anderwärts Juden, sondern Heiden waren, die von den ihm überall nachreisenden Sendboten der orthodoxen Pharisäer zum Abfall von der neuen Lehre gebracht werden sollten. Durch den heiligen Hieronymus erfahren wir, dass die Galater noch im vierten Jahrhundert außer griechisch noch keltisch sprachen. Er war erstaunt, in Trier die gleiche Sprache zu treffen wie bei den Galatern in Kleinasien. Wie einst in unserem Franken, so trieben die Kelten auch in Kleinasien Ackerbau und Viehzucht und pflegten besonders alle Zweige des Handwerks.
Deutsche Geschichtsschreiber verlegen die gänzliche Besitznahme des Maingebietes durch den deutschen Volksstamm der Thüringer in das 3. Jahrhundert. Der Franzose Déchelette, der hervorragendste Forscher...