Teil II
Rückzug und Depression
Wenn es einmal im Leben nicht allzu wunschgemäß läuft, wenn die Luft raus oder der Wurm drin ist, dann ist es gut, zu wissen, nicht allein dazustehen. Dann sind Freunde und Partner wertvoll. Aber auch die können oft nicht das leisten, was sich der Bedürftige erhofft, nämlich daß er gestärkt und aufgefangen wird. Selbst Lebenspartner sind damit vielfach überfordert, obwohl sie sich wirklich sehr bemühen. Wie kommt es zu resignativen Zuständen, zur Interesselosigkeit nicht nur alten und neuen Partnern gegenüber, sondern am eigenen Leben insgesamt?
Ein wesentlicher Auslöser auf der persönlichen Ebene ist die Erfahrung, daß Frauen und Männer zwar auf der gleichen Erde herumlaufen, daß sie aber in zwei sehr unterschiedlichen Welten leben. Es gibt mehr oder minder auffällige Asymmetrien in der Lebensausrichtung. Der spürbarste Unterschied liegt darin, daß Frauen und Männer zwei verschiedene Sprachen sprechen. Sie sprechen zwar miteinander, doch sie reden sehr leicht sehr gravierend aneinander vorbei, aber das ist nicht erst bekannt, seitdem viele sehr klug erscheinende Bücher darüber geschrieben worden sind.
Es gibt auf der rational erfassbaren Ebene immer wieder neue Versuche, eine Verständigung in allen Bereichen des Lebens zu erreichen, doch die scheint unmöglich zu sein. Und so ist es sehr zu bezweifeln, daß sich durch sprachwissenschaftlich erarbeitete Versuchsreihen mit anschließenden Schulungen die Rate der Missverständnisse senken läßt.
Wie auch sollte es möglich sein, durch rational abgesteckte Kommunikationswege bisher unbegehbare Gebiete "auf der anderen Seite" zu erschließen, wenn die Brücken dorthin nur aus einseitig ausgewähltem Material bestehen und insofern nicht gut begehbar und nur wenig tragfähig sind? Intellekt, Ratio, Vernunft sind bekanntlich nicht alles, was uns Menschen ausmacht.
Männer und Frauen sind verschieden, und daß sie einander nicht verstehen können, zeigt sich auf der Ebene des sprachlichen Austausches ganz deutlich. Sowie im Alltagsleben die verbindende sachliche Ebene von Börsenjargon und Juristendeutsch verlassen wird, ist es schon aus. Dann treten sehr schnell sehr unterschiedliche Erwartungen zutage, dann geht es um unterschiedliche Ansprüche. In der Kantine kommen beim Mittagessen sehr schnell die Unterschiede heraus. Jeder kennt das.
Daß sprachliche Unterschiede auf tief liegenden Unverträglichkeiten - zum Beispiel einer recht stark voneinander abweichenden Emotionalverfassung - basieren, die eben naturgemäß Probleme macht, will kaum jemand wahrhaben.
Dazu kommt, daß es eine unemotional und vom Pragmatismus geprägte Sprache, die im Geschäftsleben, im Behördenverkehr usw. gebräuchlich ist und die von Männern und Frauen gleichermaßen benutzt wird (und die Übereinstimmung simuliert), im persönlichen, im rein privaten Miteinander nie geben kann. Warum nicht? Weil beide Geschlechter - abgesehen von den rein äußerlich erkennbaren Verschiedenheiten - intuitiv um ihre tiefer liegenden Unterschiedlichkeiten wissen, und weil diese immer wieder thematisiert und herausgearbeitet werden müssen... weil sonst noch viel mehr schief läuft.
Doch die Spannung zwischen den Geschlechtern, diese geheimnisvolle, aufregende, immer interessante und manchmal auch schon nervendaufreibende Elektrizität in der Luft soll - das spürt an sich fast jeder - aus uns übergeordneten Gründen aufrechterhalten bleiben.
Mann und Frau wissen dabei auch um die schlummernden Konfliktpotentiale, und sie tun viel für das Verstehen, denn sie wollen gut miteinander auskommen.
Das ist eigentlich heutzutage die Regel, und diesem Bemühen soll ja auch dieses Buch dienen. Nur - es muß auch einmal festgestellt werden, daß die sprachlich erkennbaren Unterschiede auf große Differenzen im Bereich Lebensplanung und Glückserwartung schließen lassen.
Doch davon will meist niemand sprechen, denn die Alltagsbewältigung mit allen Beziehungskisten, Familien-, Ehe- und Berufsproblemen ist oft aufreibend genug. Leider kommt in vielen Fällen ein Erwachen durch eingetretene gravierende „Miss-Stände“ in Beziehung, Ehe und Familie so spät, daß nur noch Scherben gekehrt werden können.
Die kulturellen Überlieferungen unserer Breiten gipfeln in diesem Bereich im Tod von Romeo und Julia, denen es nicht vergönnt war, das Glück ihrer Liebe zu leben. Und genau diesen Punkt in der menschlichen Tragik hat der große Shakespeare getroffen, als er der Sehnsucht vom gemeinsamen Glück den Riegel vorschob.
Hier liegt der Grund für Leid, Enttäuschung, Rückzug, Entfremdung und Zerfall. Aber es ist auch die große Gelegenheit, hinter den Schleier der Äußerlichkeit zu blicken.
Es ist vor allem die große Aufforderung, unabhängiger zu werden, und das nicht nur von Partnern, sondern gerade auch von den eigenen Vorstellungen und Erwartungen an die Welt und das Leben. Und das ist nicht fatalistisch zu interpretieren. Im Gegenteil. Jeder Mensch versucht auf mehr oder weniger gelungene Weise, Gefühlen und Bedürfnissen zu folgen.
Doch nicht immer sind tiefe Gefühle auch mit Begegnung, Erfüllung und Glück verbunden. Das selige Verschmelzen und der Trennungsschmerz liegen oft so dicht beieinander, daß Frauen und Männer mit der Bewältigung und Verarbeitung überfordert sind.
Sie resignieren dann, ziehen sich zurück und verweigern sich dem Spiel der Anziehungskräfte. Eines Tages hat sich beim einen oder anderen nicht nur das Potential an Hoffnung und Erwartung an das Glück erschöpft, sondern vor allem die Batterie, die dann einfach leer ist.
Es gibt manchmal im Leben jedes einzelnen einen Wendepunkt. Hier liegt die große Chance, ein tieferes Verständnis aus Hilflosigkeit, Verzweiflung und Trauer entstehen zu lassen.
Wenn der Mensch sich gegen diesen Wandel stellt und an den alten Denk- und Fühlmechanismen starr festhält, kehrt sich die Lebensenergie, die uns alle in unserer Entwicklung voranbringen möchte, gegen den Menschen. Dann kann es zu einem "Absturz" kommen, der gerade in den großen Städten unübersehbar zum Stadtbild gehört.
Auf die Frage, ob es in der Geschichte allgemein nachvollziehbare Lösungsmöglichkeiten für diese Fragen gegeben hat, kann eigentlich nur mit dem Wort "Fehlanzeige" geantwortet werden.
Dem unerfüllbaren ewigen Traum von der Liebe soll dennoch kein Denkmal erreichtet werden, denn damit wäre einer ungesunden und auch unnötigen Resignation Vorschub geleistet.
Skeptiker weisen darauf hin, daß es trotz aller Sehnsüchte im Menschen mit Liebe und Beziehung nicht geklappt hat, und daß alle kleinen Erfolge im Zusammensein der Geschlechter nur kleine Schritte in eine richtige Richtung waren, die durch neue unerwartete Fehlentwicklungen allerdings zu großen Teilen wieder zunichte gemacht wurden. Es dauert bis heute an...
Es gab Versuche...
Viele ehemals als groß und bahnbrechend und als allgemeingültig revolutionierend angesehene avangardistische Projekte und die der legendären „K1“ folgenden Wohngemeinschafts-Experimente der Studentenbewegung haben durchaus etwas bewegt - bis hin zu den heutigen und als selbstverständlich existierenden Angelegenheiten wie Peep-Show, Telefonsex und allen Soft- und Hardporno-Angeboten in vielerlei Angebotsformen, besonders auch im Internet. – Und alles baut sich letztlich auf den Pionierleistungen von Menschen wie Wilhelm Reich, Oswald Kolle, Alice Schwarzer und Beate Uhse auf.
So obskur alles sein kann, so schön und real kann unser Leben sein beziehungsweise werden, sobald wir Ereignisse als Gelegenheiten zum Wachstum erkennen, und sobald es uns gelingt, unser eigenes Wollen und Trachten nicht mehr zum Maßstab aller Dinge zu machen. Und genau hier liegt der Schlüssel zum tieferen Verständnis, das den Rück-zug beenden und die Traurigkeit und Mutlosigkeit vertreiben kann.
Wenn wir gelernt haben, ein Stück von unseren Ansprüchen an Partnerinnen und Partner aufzugeben und in Verbindung damit den Frust loslassen können, geht es uns besser. Dann werden Rotlichtbezirk, Reeperbahn, Reisen nach Bangkok und Manila überflüssiger - weil im eigenen Innern etwas aufgeblüht ist, das ungleich befriedigender ist als allzu egoistisch und trotzig herbeigeführte Frustrationskompensierungen.
Ein Rückzug kann für eine Weile sehr wichtig und heilend und erhellend sein. Danach ist auch wieder die Kontaktaufnahme mit der Welt angesagt. Wer sich ihr aus dem Weltschmerz des Enttäuschten heraus verschließen will, was letztlich nichts als Ego ist, wird weder der Welt noch sich selbst einen Gefallen tun.
Jedes vermeintlich noch so unerträgliche und schlimme Ende trägt in sich den Keim des Neuanfangs - irgendwo, unerwartet und irgendwie - vielleicht auf eine viel wichtigere Weise und in einem anderen Lebensbereich als dem der intimen Beziehung, die den Einsamen als der wichtigste der Welt erscheint. - Und wenn nicht gleich, dann zu einem späteren Zeitpunkt, der für uns richtig ist.
Gerade die älteren Singles, denen das hier sehr bekannt vorkommt, und die sich nicht mehr so hineinbeißen in Partnersuche und äußere Vergnügungen, können für jüngere Menschen, die "noch nicht so abgeklärt" sind, eine große Hilfe sein. Vielleicht sollte gerade hier einmal der Austausch zwischen den Generationen aufleben.
"Wo stehen wir jetzt? Wo wollen wir hin? Was wollen wir "noch" erreichen und erleben - und was gilt es jetzt zu verstehen?" Diese Fragen bleiben. Wer einsam ist und ohne...