Einleitung
Ihr Gehirn ist sozusagen die Hardware Ihrer Seele. Es ist die Hardware Ihres Innersten als menschliches Wesen. Sie können nicht sein, wer Sie sein möchten, wenn Ihr Gehirn nicht richtig funktioniert. Wie Ihr Gehirn funktioniert, entscheidet darüber, wie glücklich Sie sind, wie erfolgreich Sie sich fühlen und wie gut Sie mit anderen Menschen zurechtkommen. Ihre Hirnmuster unterstützen (oder beeinträchtigen) Sie in Ihrem Beziehungsleben, Ihrer Elternrolle, Ihrem Beruf und Ihrer religiösen Überzeugung, aber auch in Erfahrungen wie Genuss und Schmerz. Wenn Sie unter Angstzuständen, Depressionen, Zwangsstörungen, Wutausbrüchen oder Zerstreutheit leiden, nehmen Sie vielleicht an, diese Probleme bestünden »nur in Ihrer Einbildung«. Anders gesagt: Sie halten Ihr Problem für rein psychologisch. Forschungen zeigen jedoch, dass diese Probleme mit der Physiologie des Gehirns zu tun haben. Die gute Nachricht lautet: Wir haben Beweise, dass Sie diese Physiologie verändern können. Sie können in vielen Fällen das Übel Ihrer Probleme beheben.
Bis vor kurzem konnten Wissenschaftler über die Rolle, die das Gehirn für unsere Persönlichkeit und Entscheidungsfähigkeit spielt, nur spekulieren. Es existierten noch keine Geräte, um die Gehirnfunktion zu betrachten, und so gelangte man zu vielen falschen Annahmen über deren Auswirkungen auf unser Leben. Nun, da uns hoch entwickelte Bildgebungsverfahren zur Verfügung stehen, können wir Fragen über den Einfluss des Gehirns auf das Verhalten beantworten – Fragen, die sich unmittelbar auf Ihr Leben auswirken, von den Beziehungen zu Hause und am Arbeitsplatz bis zum Verständnis dessen, was uns zu einem einzigartigen Wesen werden lässt.
Ich beschäftige mich seit zehn Jahren mit dem Thema Hirnbildgebung. Meine ersten Studien führte ich mittels hoch entwickeltem quantitativem EEG durch; in den letzten acht Jahren verwendete ich eine nuklearmedizinische Untersuchungsmethode mit der Bezeichnung SPECT (single photon emission computed tomography, Einzelphotonen-Emissions-Tomographie), die den Blutfluss und die Muster der Stoffwechselaktivität im Gehirn misst. Diese zehn Jahre waren sowohl anregend als auch frustrierend. Anregend deshalb, weil wir durch diese Untersuchungen nun einen visuellen Nachweis von Gehirnmustern haben, die mit Verhalten, wie der Neigung zu Depressionen, Angstzuständen, Zerstreutheit, Obsessionen und Gewalttätigkeit, korrelieren. Dieser physiologische Nachweis von Phänomenen, die als vorwiegend »psychologischen« Ursprungs angesehen wurden, hat die Art, wie einige Mediziner Psychiatrie praktizieren, revolutioniert. Wir können nun Patienten und deren Familien den physiologischen Beweis im Gehirn für ihr Problem zeigen, was dazu beiträgt, dass die Behandlung besser akzeptiert und umgesetzt wird. Wir verfügen über mehr Informationen als je zuvor als Entscheidungsgrundlage für eine wirksame Behandlung in komplizierten Fällen. Und wir setzen das Wissen aus diesen Forschungen ein, um die Öffentlichkeit über die Auswirkungen von Drogenmissbrauch, Kopfverletzungen und sogar von »negativem Denken« auf das Gehirn aufzuklären. Es war wirklich eine bemerkenswerte Zeit.
Es war auch eine frustrierende Zeit, weil die Verbreitung dieser neuen Einsichten langsamer vor sich ging als gewünscht. In der Wissenschaft besteht ein natürlicher Widerstand gegen dramatische Veränderungen im Denken. Sobald ein Wissenschaftler Neues entdeckt, muss das erst in einem langen Verfahren von anderen Fachleuten begutachtet werden, und das kann Jahre dauern. Es freut mich, dass die Arbeit mit Hirnbildgebung, die wir begonnen haben, immer mehr Zustimmung in Medizin und Wissenschaft findet. Inzwischen hilft das Wissen aus diesen Forschungen Menschen auf der ganzen Welt. Es kann auch Ihnen helfen.
SEHEN HEISST GLAUBEN
Ich hatte nicht geplant, Forscher in Sachen Hirnbildgebung zu werden. Nach dem Medizinstudium an der Universität von Oklahoma machte ich mein Praktikum am Walter Reed Army Medical Center in Washington. Es war schon immer meine Überzeugung gewesen, dass zwischen seelischer und geistiger Gesundheit ein enger Zusammenhang besteht. Nichts in meiner Ausbildung brachte mich von dieser Vorstellung ab, ohne dass ich dabei allerdings ahnte, dass diese Verbindung in beiderlei Richtungen bestand. Ich absolvierte ein Praktikum in Kinder- und Jugendpsychiatrie in Honolulu, und lernte dort, wie eine schwierige Kindheit zu lebenslangen Problemen führen kann. Auf Hawaii begann ich darüber zu schreiben, wie man die Grundsätze geistiger Gesundheit auf den Alltag (Beziehungen, Arbeit und die Person selbst) anwenden könnte. Ich wollte es möglichst vielen Menschen ermöglichen, in ihrem Alltagsleben erfolgreicher zu sein. Aufgrund meiner Arbeit wurde ich in die Group for Advancement of Psychiatry (»Gruppe zur Förderung der Psychiatrie«) aufgenommen und erhielt einen Forschungspreis der American Psychiatric Association (»Amerikanische Psychiatrie-Gesellschaft«).
1986 verfasste ich ein Programm mit dem Titel Breaking Through: How to Be Effective Every Single Day of Your Life (»Durchbruch: Wie Sie an jedem Tag Ihres Lebens erfolgreich sein können«), in dem es darum ging, Verhaltensweisen, die den Erfolg blockieren, zu erkennen und abzulegen. Dieses Programm war für viele Leser hilfreich, dennoch benötigten manche Menschen noch mehr. In meiner Arbeit mit Menschen im ganzen Land und mit Patienten in meiner Praxis verzeichneten viele durch den Einsatz der Prinzipien aus dem Programm sehr positive Veränderungen, andere schienen jedoch nicht die Hilfe zu erhalten, die sie brauchten. Diese »resistenten« Fälle waren sehr frustrierend für mich. Ich fragte mich, was der Unterschied zwischen den Menschen war, die von dem Programm profitierten, und denen, die nicht davon profitierten. Waren manche Menschen bereit zu Veränderungen und andere nicht? Waren manche Menschen aufgrund tief liegender psychologischer Ursachen resistent gegenüber Veränderungen? War das Programm nur für bestimmte Persönlichkeitstypen gut, nicht aber für andere? Ich suchte nach Antworten. Als ich auf die Antwort stieß, veränderte sich der Kurs, den ich für mein Leben festgesetzt hatte.
Im Jahr 1990 arbeitete ich am psychiatrischen Krankenhaus in Fairfield, Kalifornien. Ich war Leiter einer Dualdiagnose-Einheit, die Patienten betreute, die sowohl drogensüchtig sind als auch psychiatrische Probleme aufweisen. Eines Tages hörte ich bei der Klinikkonferenz einen Vortrag des Nuklearmediziners Dr. Jack Paldi über SPECT-Aufnahmen des Gehirns. SPECT-Aufnahmen sind nuklearmedizinische Studien, die den Blutfluss und die Aktivität im Gehirn messen. Dr. Paldi zeigte »funktionelle« Hirnbilder von Menschen mit Störungen wie Demenz, Depressionen, Schizophrenie und Kopfverletzungen und verglich diese mit Bildern von gesunden Personen. Ich fragte mich, ob das Gehirn der fehlende Puzzleteil bei meinen resistenten Patienten war. Vielleicht, so mutmaßte ich, besaßen diese Personen ein Gehirn, in dem die neuen Programme, die ich »einspielen« wollte, nicht funktionierten, so wie komplizierte Software auf einem Computer nur dann laufen kann, wenn dieser schnell genug ist und ausreichend Arbeitsspeicher hat. Unter anderem faszinierten mich an Dr. Paldis Vortrag die Hirnbilder vor und nach der Behandlung. Eine medikamentöse Behandlung veränderte tatsächlich die physiologische Funktion des Gehirns! Darüber wollte ich mehr wissen.
In der gleichen Woche, in der Dr. Paldi seinen Vortrag gehalten hatte, veröffentlichte Dr. Alan Zametkin von den National Institutes of Health einen Artikel im New England Journal of Medicine über den Einsatz von PET (Positronen-Emissions-Tomographie) -Untersuchungen bei Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS). Da ADS eines meiner Spezialgebiete war, erweckte der Artikel mein Interesse. Dr. Zametkin zeigte, dass bei Erwachsenen mit ADS die Aktivität im präfrontalen Cortex abnimmt, wenn sie versuchen, sich zu konzentrieren, ganz im Gegensatz zum erwarteten Anstieg, den man bei normalen »Kontrollpersonen« beobachten konnte. Hier war ein physiologischer Nachweis für ein Problem, das viele Menschen für psychologisch hielten! Ein drittes Ereignis in dieser Woche half mir, das neu Gelernte einzuordnen: Ich lernte Sally kennen.
Sally war eine von mir betreute, stationär aufgenommene vierzigjährige Frau, die an Depressionen, Angstzuständen und Selbstmordgedanken litt. Im Gespräch mit ihr fiel mir auf, dass sie viele ADS-Symptome des Erwachsenenalters (wie kurze Aufmerksamkeitsspanne, Ablenkbarkeit, Desorganisation und Unruhe) aufwies. Sie hatte einen Sohn mit ADS (ein häufiger Hinweis für eine ADS-Diagnose bei Erwachsenen). Trotz eines IQs von 140 hatte sie das College nie abgeschlossen und arbeitete (unter ihren Fähigkeiten) als Labortechnikerin. Ich beschloss, bei Sally eine SPECT-Untersuchung anzuordnen. Sallys Aufnahmen waren abnorm. Wenn sie entspannt war, hatte sie eine gute Hirnaktivität, besonders im präfrontalen Cortex. Sobald sie aber ein mathematisches Problem zu lösen hatte (eine Aufgabe, die ihre Konzentrationsfähigkeit fordern sollte), nahm die Aktivität im gesamten Gehirn deutlich ab, besonders im präfrontalen Cortex! Mit dieser Information verschrieb ich ihr niedrigdosiertes Ritalin (Methylphenidat), ein Hirnstimulans zur Behandlung von ADS bei Kindern und Erwachsenen. Sally sprach großartig darauf an. Ihre Gemütsverfassung besserte sich, sie war weniger ängstlich und konnte sich über längere Zeiträume konzentrieren. Schließlich holte sie ihren Schulabschluss nach. Sie betrachtete sich nicht länger als jemanden, dessen Leistungen unter den Erwartungen liegen, sondern als jemanden, der ein...